600 Stunden Sprachunterricht sieht ein Integrationskurs für Erwachsene vor Foto: Jens Büttner/dpa

Integration als Beruf

LERNEN Das Erlernen der Sprache ist Grundlage für eine erfolgreiche Integration. Der Fachverband „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ schätzt, dass bundesweit bis zu 20.000 LehrerInnen für Deutsch als Fremdsprache fehlen. Das liegt vor allem an der schlechten Vergütung, kritisiert Gewerkschaft GEW

von Birk Grüling

Katharina Melzner ist Deutschlehrerin mit einem Händchen für Menschen und mit Begeisterung für die Sprache. Doch in ihrem Referendariat an einem Gymnasium stellte die 32-Jährige fest, dass ihr zwar das Unterrichten liegt, nicht aber das System Schule. Auf der Suche nach einer Alternative verschlug es sie in die Erwachsenenbildung: Heute gibt sie Deutschkurse für Zuwanderer und studiert an der Universität Hildesheim „Deutsch als Zweisprache“.

Ein Glücksfall, wie sie findet: „Das Interesse und Engagement der Menschen in den Integrationskursen ist höher als im Schul­unterricht. Außerdem kann ich ihnen helfen, in der neuen Heimat Fuß zu fassen.“ Dabei ist die Pädagogin oft mehr als nur Wissensvermittlerin. Sie hilft auch beim Ausfüllen von Anträgen und hat immer ein offenes Ohr für Probleme.

Durch die wachsende Zahl der Flüchtlinge ist die Nachfrage nach engagierten SprachvermittlerInnen stark gestiegen. Bis zu 800.000 Flüchtlinge werden dieses Jahr in Deutschland erwartet. Ein großer Anteil von ihnen wird Deutschkurse besuchen.

Für Erwachsene sind Integrationskurse vorgesehen, mit 600 Stunden Sprachunterricht und 60 Stunden zu Geschichte, Kultur, Alltag, Recht und dem politischen System in Deutschland. So sollen die MigrantInnen besser im Behördendschungel zurecht kommen, eine Arbeit finden und den Kindern bei den Hausaufgaben helfen können.

Dazu kommt ein steigender Bedarf an den Schulen. In einjährigen Willkommensklassen sollen Kinder und Jugendlichen auf den regulären Unterricht vorbereitet werden. Einziger Haken: Bundesweit mangelt es an qualifizierten PädagogInnen. Der Fachverband Deutsch als Fremd- und Zweitsprache schätzt, dass bis 20.000 LehrerInnen fehlen. Die Lücke wird vielerorts durch engagierte, aber fachfremde PädagogInnen und Ehrenamtliche aufgefangen.

Es ist ein hausgemachter Mangel. Jahrelang habe die Politik am Berufsbild „Deutsch als Zweitsprache“ gespart, kritisiert die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Zuschüsse vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seien kaum kostendeckend. 2,94 Euro pro TeilnehmerIn und Kursstunde gibt es für einen Integrationskurs. Nur 20 Euro pro Unterrichtsstunde müssen die rund 1.800 zugelassenen privaten und öffentlichen Bildungsträger an ihre Lehrkräfte weitergeben.

Vor- und Nachbereitung wird dabei genauso wenig bezahlt wie Renten- und Krankenversicherung. Auch Urlaubsgeld gibt es selten. Die meisten der etwa 24.000 zugelassenen DozentInnen sind FreiberuflerInnen. Lange forderte die GEW vergeblich die Anhebung des Mindesthonorars auf 30 Euro pro Stunde und eine Festanstellung für die DozentInnen.

Nun scheint der Wind endlich zu drehen. An vielen allgemeinbildenden Schulen werden derzeit neue Stellen für DeutschlehrerInnen geschaffen. Auch die Bildungsträger müssen ihre Honorare anheben, damit ihnen die Lehrkräfte nicht weglaufen. Die Flüchtlingsbeauftragte des Bundesregierung Aydan Özoguz hat inzwischen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte gefordert – im gleichen Atemzug mit Deutschkursen für AsylbewerberInnen bereits in den Erstaufnahme-Einrichtungen. Dort sollen bereits erste Sprachkenntnisse vermittelt werden.

Für Elke Montanari, Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. „Der Erwerb der deutschen Sprache ist eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Integration“, sagt sie. Das habe die Politik inzwischen erkannt und die Integrationsbemühungen noch einmal verstärkt.

Das Studium „Deutsch als Zweitsprache“ beschäftigt sich sowohl mit der Didaktik und der Unterrichtsgestaltung als auch mit dem mündlichen und schriftlichen Spracherwerb sowie linguistischen Fragen.

Neben der Universität Hildesheim bieten auch andere Hochschulen in Norddeutschland entsprechende Studiengänge an: An der Uni Göttingen gibt es einen Master mit Schwerpunkt „Interkulturelle Germanistik und Deutsch als Fremdsprache“, auch Oldenburg und Kassel bieten entsprechende Studiengänge an.

Voraussetzung für die Masterstudiengänge ist ein erster Studienabschluss mit Schwerpunkt Pädagogik, Erwachsenenbildung oder Germanistik.

Einige Hochschulen bieten Vertiefungsmodule für angehende Deutschlehrer an Grund-, Haupt- und Realschulen an.

Auch an der Hildesheimer Hochschule wurden neue Stellen für wissenschaftliche MitarbeiterInnen im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ geschaffen und ein Deutschprojekt für Flüchtlinge in einer Erstaufnahme-Stelle ins Leben gerufen. Ab Oktober wird Katharina Melzner dort gemeinsam mit Lehramtsstudierenden Deutschkurse geben. Auf dem Industriegelände im Norden der Stadt leben derzeit 154 Menschen aus dem Balkan, Afrika und dem Nahen Osten. Maximal drei Monate bleiben die Flüchtlinge, danach geht es weiter in andere Unterkünfte. Das Leben hier ist trist, Freizeitmöglichkeiten gibt es kaum. Der tägliche Sprachunterricht ist eine willkommene Abwechslung und erste Perspektive.

„Wir wollen den Menschen einen Basiswortschatz vermitteln, mit dem sie sich im Alltag orientieren können“, erklärt Melzner. Begrüßung, Zahlen, Lebensmittel, einfache Fragen. Gelernt wird nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch mit Alltagsbezug, beim Kochen oder mit Ausflügen in der Stadt.

Die Lehramtsstudierenden können sich die Arbeit als Sozialpraktikum anrechnen lassen, Melzner selbst ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt.

Finanziert wird die Arbeit vom niedersächsischen Wissenschaftsministerium, vorläufig bis Ende des Jahres. Eine Verlängerung ist geplant. „Unser langfristiges Ziel ist der Aufbau einer durchgängige Sprachförderung“, sagt Montanari, und zwar von ersten Deutschkursen über Sprachlernklassen bis zur langfristigen Förderung, in der Schule, am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Und genau dafür braucht es gut ausgebildete PädagogInnen.