Ruhig war es nie beim Stadtforum in der Wallstraße. Teils unter Gebrüll wurde das Zusammenwachsen der Stadt gestaltet Foto: David Brandt

Sie planten das neue Berlin

BAUEN Vor 25 Jahren wurde das Stadtforum Berlin aus der Taufe gehoben. Es war das zentrale Instrument der Stadtplanung in der wilden Nachwendezeit. Auch heute wird wieder daran angeknüpft

von Rolf Lautenschläger

Im Oktober 1991 wurde es im Gebäude der ehemaligen DDR-Bauinformation in der Wallstraße in Mitte richtig laut. „Von FAZ bis taz – alles Scheiße“, platzte der Architekt Hardt-Waltherr Hämer in die rund 60 Personen starke Runde nebst 200 Zuhörern und hielt ein paar Zeitungen in die Höhe. Gerade hatte Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) im „Stadtforum Berlin“ die neuen Architekturentwürfe für den Potsdamer Platz dem Planungsgremium vorgestellt und von „guten Ergebnissen“ gesprochen. Da funkte Hämer, einst mächtiger Direktor der Internationalen Bauausstellung in Kreuzberg, dazwischen. „Gut finden Sie das! Alle anderen sehen das nicht so, wie in der Zeitung nachzulesen ist.“

Volker Hassemer ficht der Auftritt bis heute nicht an. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, die Stadtentwicklung Berlins vom Senatorenstuhl aus allein zu manövrieren. Es ging um mehr. Die Aufgabe, die gespaltene Stadt wieder zusammenzubauen, „war eine Herausforderung, wie wir sie nicht kannten“, sagt er. Um das hinzukriegen, mussten der Rat und die Kritik von ganz vielen her, ist sich Hassemer noch immer sicher. „Nur so konnten wir klüger werden, um angemessen reagieren zu können.“ Kritik, auch lautstarke, gehörte im Stadt­forum gewissermaßen zum Programm.

Dabei hatte es vor 25 Jahren ganz christlich begonnen. Im September 1990, im Souterrain des Französischen Doms am noch grauen Gendarmenmarkt, hatten Mitglieder des Deutschen Werkbunds und der Evangelischen Akademien Berlin Ost und West zur Tagung gerufen, um über die kommenden baulichen Aufgaben für das „neue Berlin“ zu diskutieren. Eingeladen waren neben dem Stadtentwicklungssenator ein Dutzend Planer und Architekten, dazu Hochschullehrer und Denkmalexperten, Vertreter von Parteien und Verbänden wie etwa der IHK sowie Stadtsoziologen.

Die Debatte über die Zukunft der wiedervereinigten Stadt war dringend nötig, geriet Berlin doch immer mehr in den Sog des ersten Booms nach 1989. Der Veränderungsdruck durch die Investoren stieg. Hinzu kamen die Auseinandersetzungen aufgrund des sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandels – von einer anschwellenden Diskussion über einen neuen Flächennutzungsplan (FNP), die Olympiabewerbung 2000 und mögliche Hauptstadtfunktionen ganz zu schweigen.

Es lässt sich fast schon symbolisch deuten, dass an dem bröckelnden Ort in Ostberlin, in der noch halben Ruine des Französischen Doms, die ersten großen übergeordneten Themen der zukünftigen Berliner Stadtentwicklung nach dem Mauerfall aus der Taufe gehoben wurden. Gerade in den maroden, unfertigen Ostberliner Ecken entstanden nach dem Mauerfall die besten Ideen. Die regulären Sitzungen des Forums fanden dann später in der Wallstraße statt.

Stichwortgeberin für den Titel und Inhalt des „Stadtforums Berlin“ war Helga Fassbinder, Professorin für Stadt­erneuerung an der holländischen Universität Eindhoven. Hassemer bezeichnete die Einladung Fassbinders später einmal als „Glücksfall“. Schlug diese doch auf der Tagung vor, angesichts der komplexen stadtentwicklungspolitischen Aufgaben für Berlin neue Wege zu gehen und neue Beratungsverfahren in der Planung auszuprobieren.

Der Vorschlag Fassbinders bedeutete einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr der Senat und die Verwaltung allein sollten über die Stadtplanung und die großen Projekte, die Perspektiven der Stadt entscheiden. „Alle, die es betrifft“ – sollten dabei sein, so die Hochschullehrerin. Sie sprach sich für ein „Stadtforum“ als Ort für den Meinungsaustausch und die „kooperative Planung“ aus. Das Gremium hatte die Aufgabe, „die politischen Entscheidungsträger zu beraten und zu leiten“, wie Fassbinder das Modell umriss.

Kult in der Planungsszene

Die Institution Stadtforum war bis 1996, dem Ende von Hassemer im Amt als Stadtentwicklungssenator, Kult in der Planungsszene. Nicht nur in Berlin, auch international. Es war der Rock’n’ Roll für Architekten. Gleichwohl konnte es auch anstrengend werden in der Wallstraße. Man tagte zum Teil mehrmals monatlich.

Bis heute gilt das Stadtforum als der entscheidende Planungsrat für das Berlin nach der Wiedervereinigung – legitimiert vom Abgeordnetenhaus, ausgestattet mit Millionen. Eine fünfköpfige Lenkungsgruppe bereitete die Sitzungen vor, ein Präsidium leitete das Forum. Rund 60 feste Mitglieder waren in sogenannten Bänken zusammengefasst, besetzt mit Persönlichkeiten der Stadt sowie mit auswärtigen Gästen. Die Sitzungen waren öffentlich und wurden im Schnitt von 250 Zuhörern besucht. Londons Bürgermeister, Wiens Stadtbaudirektor, Bonn-Berlin-Umzugschef Klaus Töpfer, Die-Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, Sir Norman Foster, Umweltschützer und Denkmalinitiativen aus Ostberlin und andere hielten Vorträge und diskutierten.

Günter Schlusche war damals Mitarbeiter und Autor im Stadtforum, heute leitet er die baulichen Erweiterungen der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Er hebt das demokratische Element als das wesentliche Leitbild hervor: „Das Stadtforum entstand quasi aus einem zivilgesellschaftlichen Engagement heraus und funktionierte so. Hassemer war zwar der Kopf, aber es war von ihm ein kluger Zug, die parteipolitischen Interessen zurückzunehmen und zu versuchen, alle gesellschaftlichen Gruppen mit einzubinden.“

Die Stärke dieses Debatten- und Planungskollektivs bestand darin, die vielen offenen Fragen, Unsicherheiten und Interessen im „neuen Berlin“ nicht aus der Hand zu geben. Am Bild des zukünftigen Berlin strickten damals viele herum. Investoren, Lobbyisten, das „alte Westberlin“, Ostberliner Milieus. Auch konkurrierende Senatsverwaltungen übten zunehmend Druck auf die Stadtentwicklungsabteilung aus. Dem musste begegnet werden. „Wir müssen den Tiger reiten“, war Hassemers Losung für das Stadtforum.

Kanzleramt und Olympia

Alle relevanten Stadtentwicklungsthemen wurden hier angestoßen, sagt Schlusche. Die Architektenwettbewerbe für den Reichstagsumbau zum Bundestag, das Holocaust-Mahnmal, das Kanzleramt oder den Hauptbahnhof. Sitzungen fanden statt etwa zu den Themen Umland-Stadt, zu Olympia und zum Potsdamer Platz. Zu Berlin-Mitte, zu den Verkehrskonzepten für die Bahn und zum Regierungsviertel im Spreebogen.

Das Stadtforum Berlin gelangte in der ganzen Republik, aber auch international zu großem Ansehen. Ähnlich wie das Konzept der „behutsamen Stadterneuerung Berlins“ in den 1980er Jahren wurde es zum Exportschlager – besonders für ostdeutsche Städte.

In Potsdam wurde 1998 das „Stadt Forum Potsdam“ gegründet. Es beschäftigt sich bis dato mit dem Stadtumbau und den Fragen des historischen Wiederaufbaus. Strukturiert ist es ähnlich wie das Berliner Vorbild mit Politikern, Fachleuten und Vertretern der Zivilgesellschaft.

2004 wurde das „Stadtforum Leipzig – für behutsamen Stadtumbau“ gegründet. Es ist stark von engagierten Bürgern geprägt, die sich besonders für den Erhalt des gewachsenen Stadtbilds mit seiner hohen Denkmaldichte einsetzen. (rola)

Der Alexanderplatz, die Friedrichstraße oder die Spreeinsel, Suburbanisierung und Landschaftsschutz – all das und vieles mehr stand auf der Tagesordnung. „Das Stadtforum setzte die Themen, es war aber auch getrieben von den Begehrlichkeiten, die beispielsweise vom Bund oder der Bahn kamen“, erinnert sich Schlusche. So gesehen habe das Experiment Stadtforum auch nur begrenzt erfolgreich sein können.

Das Stadtforum wurde auch als „Hassemers Quatschbude“ denunziert. Richtig ist: Es hat wichtige Räume in der Stadt „vernachlässigt“ – wie das Kulturforum oder die City West und die alte Mitte. Dort konnte das spätere „Planwerk Innenstadt“ von Senatsbaudirektor Hans Stimmann dann umso stärker auf die Stadtgestaltung einwirken.

Provozierend stellt sich nach 25 Jahren dennoch die Frage, ob die Hast und die Perspektive, mit der die Themen in der Wallstraße durchgejagt wurden, nicht die nötige Selbstkritik und Reflexion aufgeweicht haben, die für Stadtplanung nötig sind. Wurde der Potsdamer Platz wirklich zu dem, was für Berlin richtig war und ist?

Die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Werner Sewing haben zudem darauf ­verwiesen, dass die Ver­engung der sozialen Räume der Stadt durch Gentrifizierung und Kommerzialisierung nicht ausreichend im Stadtforum debattiert wurde. Das Gremium und Hassemer seien viel zu sehr auf den Hotspot „das neue ­Berlin“, auf seine „Neudefinition“ fokussiert gewesen. Was Konsequenzen hatte: In der Folge ent­standen Gegenmodelle. Das „Stadtforum von unten“ wurde von Bürger­initiativen ge­gründet.

1996 kam das Ende des Stadtforums, der CDU-Mann Hassemer wurde von Peter Strieder (SPD) als Stadtentwicklungs­senator abgelöst. Dieser führte das Stadtforum zwar weiter, baute seine Struktur aber zurück und funktionierte es zu einer Vortragsreihe um. An kooperativer Planung im Sinne Helga Fassbinders war Strieder nicht interessiert.

Die Marke Stadtforum hingegen gibt es bis heute, als spezifisches Berliner Planungsinstrument, das auch anderswo kopiert wird (siehe Kasten). Die Hauptstädter scheinen sich für den politischen Diskurs über Stadtentwickelung dauerhaft zu begeistern. Bausenator Andreas Geisel (SPD) nimmt dieses Interesse ernst. Seit ein paar Monaten gibt es wieder ein Stadtforum Berlin.