Debatte Erbschaftsteuer für Firmenerben: Ein Lehrstück des Lobbyismus

Die Wirtschaft macht Druck bei der Neuregelung der Erbschaftsteuer für Firmenerben. Diese beschäftigt Ende der Woche Bundestag und -rat.

Junge, der durch ein Fluss watet.

Für deutsche Erben ist es einfacher an Geld zu kommen. Dieser junge Inder muss es mit einem Magneten versuchen. Foto: reuters

Mitglieder deutscher Unternehmerdynastien, die man in Russland, der Ukraine oder Griechenland als Oligarchen bezeichnen würde, können unter bestimmten Voraussetzungen ganze Firmenimperien an ihre Nachfolger übertragen, ohne dass diese dafür Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuer entrichten müssten. Möglich sind eine Regelverschonung von 85 Prozent des Betriebsvermögens, wenn die Lohnsumme fünf Jahre lang halbwegs konstant gehalten wird, sowie eine optionale Vollverschonung, wenn die Lohnsumme sieben Jahre lang etwa gleich hoch bleibt.

In seinem Urteil vom 17. Dezember 2014 räumte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zwar das Recht ein, Betriebsvermögen aus gewichtigen Sach- oder Gemeinwohlgründen gegenüber anderen Vermögensarten zu bevorzugen. Es bemängelte aber die Freistellung der meisten Unternehmen von der Lohnsummenpflicht, die Begünstigung sehr großer Vermögen sowie die Verwaltungsvermögensregelung: Von dem begünstigten Betriebsvermögen dürfen (im Fall der Regelverschonung) 50 Prozent beziehungsweise (im Fall der Vollverschonung) 10 Prozent aus Verwaltungsvermögen bestehen.

Dazu zählen etwa Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke und Bauten, Kunstgegenstände und Wertpapiere, aber neben Bargeld bis 2013 auch nicht sonstige Geldforderungen, was Steuertrickser mit der „Cash-GmbH“, einem Festgeldkonto im Firmengewand, ausnutzten.

Finanzminister Wolfgang Schäuble legte im Februar 2015 seine Eckwerte zur Neuregelung der Erbschaftsteuer für Unternehmensvermögen vor. Nunmehr muss das begünstigte Vermögen seinem Hauptzweck nach einer originär land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dienen.

Obergrenze 20 Mio Euro?

Waren bisher Betriebe mit 20 oder weniger Beschäftigten von der Lohnsummenpflicht befreit, wollte Schäuble auf die Prüfung der Lohnsumme bei Unternehmen mit einem Wert bis 1 Million Euro verzichten. Für die Verschonung des begünstigten Vermögens sollte eine Obergrenze in Höhe von 20 Millionen Euro eingezogen werden.

Wenn es diese Freigrenze übersteigt, hätte das Finanzamt im Rahmen einer „individuellen Bedürfnisprüfung“ zu ermitteln, ob der Begünstigte die Steuerschuld aus dem mit übertragenen (nichtbetrieblichen) oder dem sonstigen, bereits vorhandenen (Privat-)Vermögen begleichen kann. Zumutbar wäre der Einsatz von 50 Prozent des verfügbaren Vermögens.

Obwohl sich Schäuble nach eigenen Worten auf „minimalinvasive Korrekturen“ beschränkte, liefen Wirtschaftslobbyisten, allen voran die Sgemeinnützige Stiftung Familienunternehmen und der Verband „Die Familienunternehmer – ASU“, dagegen Sturm. Unternehmerverbände schürten die Angst vor ausländischen „Heuschrecken“, die zuhauf mittelständische deutsche Firmen übernehmen könnten, wenn Schäubles Plänen nicht Einhalt geboten würde.

Während führende SPD-Politiker diesen vorbehaltlos zustimmten, lehnten die CSU und der CDU-Wirtschaftsflügel die Bagatellgrenze (1 Million Euro), den Schwellenwert für die Verschonungsbedürfnisprüfung (20 Millionen Euro) sowie den Rückgriff auf das Privatvermögen ab. Widerspruch regte sich auch bei den Ländern. Neben Bayern, das eine Regionalisierung der Erbschaft- und Schenkungsteuer favorisiert, um durch Steuerdumping noch mehr Großunternehmer ins Land locken zu können, wollte auch das grün-rot regierte Baden-Württemberg den Unternehmerfamilien mit einer auf 100 Millionen Euro angehobenen Prüfschwelle weiter entgegenkommen.

Konzessionen der Kanzlerin

Schäuble knickte im Streit um die Neuregelung rasch ein. Zuerst ließ er die am Unternehmenswert festgemachte Bagatellgrenze fallen und setzte an deren Stelle die Beschränkung auf Betriebe mit höchstens drei Beschäftigten als Obergrenze für die Ausnahme von der Lohnsummenregelung. Unternehmen, die qua Gesellschaftsvertrag oder Satzung für Konzerne typischen Kapitalbindungen unterliegen, billigte Schäuble eine höhere Prüfschwelle von 40 Millionen Euro zu.

Schließlich gewährte er den Erwerbern von Großvermögen oberhalb der Prüfschwellen ein Wahlrecht im Hinblick auf die Verschonungsbedarfsprüfung: Wer sein Privatvermögen nicht einsetzen und/oder nicht offenlegen möchte, wird auch nur moderat besteuert.

Auf dem von der Stiftung Familienunternehmen nicht zum ersten Mal mit der Bundeskanzlerin als Gastrednerin veranstalteten „Tag des deutschen Familienunternehmens“ am 12. Juni 2015 in Berlin stärkte Angela Merkel nicht etwa ihrem Finanzminister den Rücken, sondern unterstützte die Lobbyisten. Sie wies die „werten Familienunternehmer“ auf das Struck’sche Gesetz hin, wonach kein Gesetzentwurf unverändert aus dem Bundestag herauskommt, und versprach, S“dass wir uns Mühe geben, Regelungen zu finden, die Ihnen helfen“.

Der großkoalitionäre Regierungsentwurf, den jetzt das Parlament berät, macht den Unternehmerfamilien tatsächlich noch mehr Zugeständnisse. So wird die Freigrenze, bis zu der keine Verschonungsbedarfsprüfung erfolgt, nochmals auf 26 Millionen Euro (für normale Familienunternehmen) beziehungsweise 52 Millionen Euro (für Familienunternehmen mit Konzernstrukturen) angehoben.

Schlupflöcher gibt es weiterhin

Da die Bestimmungen des neuen Gesetzes erst vom Tag seiner Verkündung an gelten sollen, bleibt den hiesigen Oligarchen eine Schonfrist zur Ausnutzung der bisherigen Vergünstigungen. Schlupflöcher, um Riesenvermögen ohne Zugriff des Finanzamtes zu übertragen, gibt es auch weiterhin. So bietet sich die Unternehmensübergabe an Kinder zu einem sehr frühen Zeitpunkt an.

Ohne nennenswertes Vermögen zu besitzen, können sie einen Riesenkonzern steuerfrei vereinnahmen. Ist das Unternehmen milliardenschwer und der Begünstigte sehr vermögend, aber nicht willens, seine Besitzverhältnisse offenzulegen, muss er dafür bei vollständiger Einhaltung der Lohnsummenregel nur 19,5 Prozent Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuer entrichten – weniger, als der Staat selbst Durchschnittsverdienern bei der Einkommensteuer zumutet. Bislang haben die Lobbyisten auf ganzer Linie gesiegt.

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geboren 1951, erforscht seit Jahrzehnten wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Bis 2016 lehrte der Politikwissenschaftler als Professor an der Universität Köln. Von 1970 bis 1975 und von 1987 bis 2005 Mitglied der SPD, kandidierte er als Parteiloser 2017 auf Vorschlag der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten. Gerade ist sein neuestes Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ im PapyRossa Verlag erschienen.

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