Erst Realo, dann Radikalo

Gerd Nowakowski war vor dem Fall der Mauer ins Visier der autonomen Szene geraten, weil er zum Realo-Flügel der taz gehörte. Nach seiner Rückkehr als Ressortleiter hat er Opposition gegen den Berliner Größenwahn betrieben

Einen klassischen Lokalteil haben wir in der taz nie gemacht, das wollten wir auch gar nicht. Nicht nur, weil dafür der Umfang zu gering war oder wir auch nicht so viel Leute wie der Tagespiegel oder die Morgenpost hatten.Wir wollten stattdessen die Entwicklung der Stadt reflektieren und die Themen setzen, die uns wichtig waren.

Dazu gehörte die Berichterstattung über die DDR und die dortige Opposition – eine Lokalredaktion macht Außenpolitik. Es war Konsens, dass wir uns nicht offiziell, das heißt bei den zuständigen Stellen in Ostberlin akkreditieren würden, sondern stattdessen unsere Kontakte zu den Dissidenten nutzen, um eine ganz andere Berichterstattung zu machen als die, die sonst im Westen üblich war.

Das ging nicht ohne Probleme. Immer wieder flog jemand auf, gab es Einreiseverbote und wir mussten jemand anders suchen. Und dann gab es da auch noch Stasi-Spitzel, auch innerhalb der taz den Redakteur Till Meyer.

Aber viel haben die nicht mitbekommen, auch wenn wir damals nicht wussten, wer für die Stasi arbeitete. Besprochen wurde die Berichterstattung nur im kleinsten Kreis, um möglichst sicherzustellen, dass alles Redaktionsgeheimnis bleibt. Die DDR-Berichterstattung ist eine bleibende Leistung der Lokalredaktion.

Ein zentrales Thema der Berlin-Berichterstattung war in den Achtzigerjahren auch die autonome Szene. Es gab in der taz immer wieder sehr heftige Diskussionen darüber, ob man die radikale Linke kritisieren darf oder nicht.

Das war für mich persönlich eine ganz absurde Diskussion, da ich mehrfach von Angehörigen der Szene angegriffen wurde, weil ich ihre Aktionen kritisiert habe. Ich bekam Prügel, es gab einen Brandanschlag auf meine Wohnung, einmal bekam ich als „Warnung“ scharfe Munition geschickt.

Jahrelang stand auf der Wand gegenüber dem taz-Gebäude in der Wattstraße: Nowakowski, deine Angst ist berechtigt. Ich fand es besonders demütigend, dass sich die Gesamtredaktion trotz mehrfacher Bitte nicht in der Lage sah, Anzeige gegen „unbekannt“ zu erstatten.

Nach den Steinwürfen auf mein fahrendes Auto bin ich dann persönlich zur Polizei gegangen und habe Anzeige erstattet – was mir in der taz erneut Kritik einbrachte. In der Berlin-Redaktion hatte ich aber immer den vollen Rückhalt der Kollegen und Kolleginnen.

Vielleicht kann man das im Rückblick so sagen: Vor dem Fall der Mauer saß im Berlin-Teil im Vergleich zur Gesamttaz die Realo-Fraktion, nach dem Fall der Mauer war es genau umgekehrt. Ich kann das deshalb ganz gut unterscheiden, weil ich nach den ganzen Angriffen gegen mich 1988 als Parlamentskorrespondent der taz nach Bonn gegangen bin.

Als ich Anfang 1992 wieder als Ressortleiter in die Berlin-Redaktion kam, war die Situation eine völlig andere. In der Stadt herrschte eine Metropolen-Euphorie, ein überzogener Wachstumsglaube. Da haben wir als einzige Zeitung der Stadt dagegengehalten.

Wir waren auch der einzige Berlin-Teil, der entschieden Position gegen die Olympiabewerbung der Stadt bezogen hat. Auch haben wir immer deutlich gemacht, was Pressefreiheit bedeutet. So haben wir mit der Polizei nicht zusammengearbeitet, wenn es darum ging, Bekennerschreiben auszuhändigen. Diese Weigerung hat sogar dazu geführt, dass die Polizei einmal meine ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hat.

Heute ist der Berlin-Teil für mich eine Zeitung, die in der Stadt ernst genommen wird. Die Bedeutung ist höher als die Auflage. Das war früher vielleicht anders. GERD NOWAKOWSKI