Mit Mut und Idee zur Niederlage

Fussball Eine Halbzeit lang hält Hertha BSC den Favoriten VfL Wolfsburg vor 30.000 Zuschauern ordentlich auf Trab. Dann aber geht der alten Dame die Puste aus

Voller Einsatz: Hertha-Spieler Fabian Lustenberger und Wolfsburg-Spieler Julian Draxler (rechts) im Kopfballduell Foto: Peter Steffen/ap/dpa

von Christian Otto

Für einen Verlierer sah Tolga Cigerci ziemlich glücklich aus. Es war natürlich doof, am Ende doch noch mit 0:2 (0:0) beim VfL Wolfsburg verloren zu haben. Mit ein wenig mehr kühlem Kopf wäre zumindest ein Remis möglich gewesen. Aber für Cigerci blieb doch immer noch die Freude darüber, nach sechsmonatiger Pause endlich wieder eine Hauptrolle im Mittelfeld von Hertha BSC Berlin gespielt zu haben. Der Mann strahlte und war so zufrieden, wie man das als Teil einer Niederlage wohl gerade noch so sein darf. Cigerci war zurück in die Startelf der Hertha berufen worden und durfte ausgerechnet gegen seinen früheren Verein sein Können beweisen. „Ich bin hier in Wolfsburg aufgewachsen und Profi geworden. Etwas Schöneres, als dann hier spielen zu dürfen, gibt es für mich nicht“, sagte Cigerci über sein Comeback.

Aber natürlich wäre da noch etwas Schöneres denkbar gewesen. Denn das Hertha-Team um Cigerci trauerte vor 30.000 Zuschauern seiner großen Chance nach. Sie hatten den hohen Favoriten aus Wolfsburg, der vier Tage zuvor noch in der Champions League ZSKA Moskau mit 1:0 geschlagen hatte und sich wohl erst wieder an die Bundesliga gewöhnen musste, tüchtig geärgert. Eine Halbzeit lang, das fand auch Hertha-Trainer Pal Dardai, hatten sich zwei gute Mannschaften ein spannendes Duell geliefert. Dann aber kam die Szene in der 76. Minute, in der sich sein Team wohl sogar auf dem Weg zum Sieg gesehen hatte. Sieben mutige Hertha-Spieler waren an einem Angriff auf das VfL-Tor beteiligt, verloren aber im Zuge einer misslungenen Flanke von Mitchell Weiser den Ball und wurden Sekunden später bitter bestraft. Der kurz zuvor eingewechselte Wolfsburger Bas Dost erzielte das 1:0 und stutzte auf diesem Weg einen aufmüpfigen Herausforderer zurecht. „Diesen unbedingten Siegeswillen“, sagte Hertha-Trainer Dardei über sein Team, „werden wir kontrollieren müssen.“

Wie aber findet man die richtige Balance zwischen Übermut und Vernunft? Den Hertha-Profis war sie an diesem 5. Spieltag der Fußballbundesliga nicht vergönnt. Sie bereiteten Dost den Weg zum Führungstreffer für Wolfsburg. Und ein Foul von Fabian Lustenberger an Julian Draxler später stand es sogar 2:0 (88. Minute) – weil Dost auch vom Elfmeterpunkt getroffen hatte. Damit war die Strafe dafür kassiert, dass sich die Hertha bis in die Schlussphase hinein nicht eingeigelt, sondern mutig kombiniert und gestürmt hatte. „Wir müssen doch auch nach vorne spielen“, meinte Mittelfeldspieler Cigerci, wusste aber auch, dass seinem Team gegen Ende der Partie interne Probleme in die Quere gekommen waren.

Cigerci fehlte es wie Neuzugang Vedad Ibisevic, der erstmals von Beginn an mitgespielt hatte, am Ende an der nötigen Fitness für ein Aufmucken bis zur letzten Spielminute. Ihr Trainer hätte gern klug gewechselt und frisches Personal mit viel Puste zum Einsatz gebracht – war aber gezwungen, Torhüter Thomas Kraft und Innenverteidiger Sebastian Langkamp wegen Verletzungen vorzeitig vom Feld zu nehmen. Damit war auch so manche Möglichkeit verbaut, dem nicht enden wollenden Wolfsburger Druck bis zuletzt standzuhalten.

„Diesen unbedingten Siegeswillen müssen wir kontrollieren“

Hertha-Trainer Pal Dardei

Trotzdem wäre der erhoffte Geniestreich beinahe gelungen. Denn Dardais Schachzug mit Cigerci als Ballverteiler vor der Abwehr war ein richtig guter. Der 23-Jährige überzeugte als Takt- und Ideengeber der Hertha. Ihm war die Erleichterung darüber anzumerken, dass sein mehrmonatiges Reservistendasein wegen einer Zehenverletzung und eines Ermüdungsbruchs im Fuß ein Ende gefunden hatte.

Cigerci gab nach der Niederlage in Wolfsburg erstaunlich viele Interviews, begrüßte immer wieder alte Bekannte und fühlt sich offenbar sehr wohl im Untergeschoss des Wolfsburger Stadions. Seit dem Sommer 2014 ist er nicht mehr eine Leihgabe des VfL Wolfsburg an Hertha BSC, sondern ein wirklicher Berliner Fußballer. Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann hat der Mann ziemlich große Lust, am morgigen Dienstag schon wieder seine Klasse unter Beweis zu stellen. Hertha empfängt ab 20 Uhr im Olympiastadion die Überraschungsmannschaft des 1. FC Köln. Cigerci hat sich eindrucksvoll für eine weitere Chance von Beginn an empfohlen, bleibt aber kleinlaut sowie bescheiden. Der Trainer, so seine Vorahnung, werde schon eine gute Entscheidung treffen.