Die innere Pressefreiheit

„Austs Zusammenspiel mit der Mischpoke von FAZ und Springer“: Beim „Spiegel“ spitzt sich die Kontroverse um Chefredakteur Aust und die politische Ausrichtung des Magazins zu

VON OLIVER GEHRS

Man kann es ja auch so sehen: Endlich war mal wieder was los am Montag beim Spiegel, wo es in den Konferenzen nach Augsteins Tod so ruhig geworden ist, dass sie intern schon mal als Schweigen der Lämmer bezeichnet werden. Anfang dieser Woche aber war es anders: Nachdem durch die taz (31. 10.) bekannt geworden war, dass sich Stefan Aust in der Gesellschafterversammlung des Spiegels am 16. November zur politischen Ausrichtung des Blattes äußern solle, machte im gut gefüllten Konferenzraum das Wort von der bedrohten Pressefreiheit die Runde – allerdings noch im Stillen.

In der anschließenden Ressortleiterkonferenz wurde dann schon heftiger über Grundsätzliches gestritten, und wenig später verschickte Stefan Aust eine Stellungnahme: „Eine Vorladung des Chefredakteurs mit dem Ziel, mit ihm redaktionelle Inhalte zu erörtern, widerspricht Wortlaut und Inhalt der Satzung“, so Aust, „die journalistische Unabhängigkeit des Spiegel ist für mich von vorrangiger Bedeutung.“

Gemeinsam gegen die Rechtschreibreform

Doch genau das war für viele in den vergangenen Monaten nicht so recht spürbar, weshalb die politische Ausrichtung des Blattes ja überhaupt auf die Agenda kam. Wo, so fragten sich viele in der Redaktion und schließlich auch mancher im Eigentümer-Kreis, ist die Unabhängigkeit, wenn der Chefredakteur seine Freundschaft zum Springer-Verlag herausstellt, eine Goldene Kamera empfängt und gleichzeitig die kritische Berichterstattung über die Bild-Zeitung sanft entschläft. Wenn er gemeinsam mit Springer und FAZ gegen die Rechtschreibreform kämpft, wenn er wirtschaftskritische Geschichten aus dem Blatt schmeißt zugunsten von Polemiken gegen regenerative Energien („Der Windmühlen-Wahn“). Wenn etliche Redakteure freiwillig das Berliner Parlamentsbüro verlassen, wo vor der Wahl in nie gekanntem Ausmaß gegen Rot-Grün gefeuert wurde.

„Austs Zusammenspiel mit der Mischpoke von FAZ und Springer“, so wird denn auch gestern der Spiegel-Autor Olaf Ihlau von der Süddeutschen Zeitung zitiert, sei grenzwertig – noch am selben Tag konnte man sehen, wie die „Mischpoke“ funktioniert. Mit voller Verve schlug sich die FAZ auf Austs Seite und bezeichnete den Wunsch der Gesellschafter nach einer Diskussion über die Inhalte als „einzigartigen Vorgang, wie man ihn, wenn überhaupt, nur von Provinzzeitungen kenne“. Schuld seien vor allem Gerhard Schröder mit seinen Vorwürfen an die Medien und Augsteins Kinder, die nicht verwinden könnten, dass sie keine Mitsprache mehr hätten. In der Redaktion, so ferndiagnostizierte die Aust-treue FAZ, werde das Auftreten der Gesellschafter als Affront gewertet.

Das allerdings dürfte hauptsächlich auf das Chefzimmer zutreffen, in den übrigen Abteilungen gibt es schon lange Unmut über den neoliberalen Kurs des Blattes, der vor allem vom Berliner Büroleiter Gabor Steingart verantwortet wird. Der gab vor der Bundestagswahl im Wall Street Journal schon mal eine Wahlempfehlung für Angela Merkel. Steingart schrieb denn auch im allgemeinen Wirrwarr einen bösen Brief an den Sprecher der Mitarbeiter KG, Thomas Darnstädt, dem er vorwirft, das „hohe Gut der inneren Pressefreiheit aufs Spiel zu setzen“. Mit dem Versuch, „den Chefredakteur in den Gesellschafterkreis vorzuladen, haben Sie uns allen geschadet“. Wie groß die Verwerfungen zwischen Aust-Freunden und -Gegnern sind, zeigt, dass Steingarts Brief schon bei den Zeitungen gelandet war, bevor er Darnstädt erreichte.

Mit falschen Zahlen von Paul Kirchhof

Die Gesellschafter bemühen sich derweil, die Diskussion zu entschärfen. „Es geht nicht um einen Angriff auf die innere Pressefreiheit“, so ein Mitglied des Gremiums, sondern um die Sicherung der Qualität. „Der Spiegel steht für qualitätsvollen Politikjournalismus. Dass das weiter so ist, dafür müssen wir Sorge tragen.“ Dass dem zuletzt nicht immer so war, sieht selbst Aust zuweilen ein. Jedenfalls bekannte er unlängst, dass die Schwächen von Rot-Grün wohl ein bisschen zu oft auf dem Titel waren. Dass man mit falschen Zahlen von Kompetenzteam-Mitglied Paul Kirchhof Werbung für die CDU gemacht hat, steckt den Blattmachern aus Hamburg ebenfalls tief in den Knochen.

Unter den Eigentümern, zu denen neben der Mitarbeiter-KG (50,5 %), der Augstein-Familie (24 %) auch Gruner + Jahr (25,5 %) gehört, ist mancher zur Einsicht gekommen, dass der Spiegel dringender denn je einen Herausgeber benötigt. Dass sich Aust nach Augsteins Tod ganz forsch zum Alleinherrscher aufschwingen konnte, wird mittlerweile als Versäumnis gesehen.

Aust hatte in einer Hausmitteilung nach der Beerdigung geschrieben, dass es keinen Herausgeber mehr geben könne, weil die „Schuhe zu groß“ seien, und sich faktisch selbst inthronisiert. Obwohl in der momentan gern zitierten Gesellschaftersatzung anderes steht, unter § 6 Absatz 2 nämlich Folgendes: „Fällt Rudolf Augstein aus gleich welchen Gründen als Herausgeber fort, so üben die Geschäftsführer und die Chefredakteure des Spiegel die Rechte eines Herausgebers solange gemeinsam aus, bis die Gesellschafterversammlung … einen oder mehrere neue Herausgeber bestimmt hat.“

Tröstlich für Kritiker des Rechtsrucks im Spiegel ist auf jeden Fall schon jetzt, dass der Spiegel der SPD wieder richtig nah ist: nicht unbedingt im redaktionellen Teil, da ist mittlerweile selbst das Feuilleton an die CDU gefallen, aber im Willen zur Erneuerung durch Selbstzerfleischung.