„Viele erleichterten sich einfach neben oder hinter den Toiletten“

Das bleibt von der Woche Die Stadt bekommt 15.000 neue Wohnungen in Leichtbauweise, der neue Integrationsbeauftragte wird nicht viel ausrichten können, Schulkinder stören sich wenig an vollen Klassenzimmern, und am Lollapalooza-Festival beeindruckten vor allem die langen Warteschlangen vor den schmutzigen Klos

Wenn schon leicht, dann auch billig

Neue Plattenbauten

Kommt da ein Programm, an dem vor allem die Bau­industrie verdient?

Andreas Geisel packt an. Am Freitag vergangener Woche erklärte er vor Architekten, Wohnungen in Leichtbauweise für 30.000 Menschen bauen zu wollen. Am Dienstag legte der SPD-Bausenator nach. Um seine ambitionierten Pläne schnell umsetzen zu können, soll das Bauen beschleunigt werden. Auch Bäume könnten fallen, bevor eine Baugenehmigung vorliegt. Umweltschützer haben nur mäßig protestiert. Der Druck, zu bauen, ist zu groß.

Ebenfalls am Dienstag hat Geisel erklärt, dass die 15.000 neuen Plattenbauten an 60 Standorten (die noch gesucht werden müssen) nicht nur Flüchtlingen zur Verfügung stehen sollen, sondern auch „normalen“ Wohnungssuchenden. Damit kehrte er sich von der bisherigen Senatsposition ab, die Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen formuliert hatte. Er halte nichts davon, den sozialen Wohnungsbau und die Flüchtlingsunterbringung miteinander zu verbinden, sagte der SPD-Politiker im taz-Interview. „Die Erfahrungen haben gezeigt, dass das schnell zu einer Neid-Diskussion führt.“

Ebenfalls mit der Stimmung in der Bevölkerung argumentierte nun Geisel. „Wenn die jetzt alle eine Wohnung bekommen, dann knallt’s“, habe ihm ein Nachbar zugerufen. Mit dem Bau der Wohnungen in Leichtbauweise wolle er verhindern, dass „normale Wohnungssuchende“ gegenüber Flüchtlingen benachteiligt werden.

Eines aber hat der Bausenator nicht verraten. Obwohl die Baupreise dieser neuen Wohnungen deutlich niedriger sind als sonst – es fehlt zum Beispiel die Unterkellerung –, sollen sie zu einer Kaltmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter vermietet werden. Entweder wird da wieder ein großes Konjunkturprogramm aufgelegt, an dem vor allem die Bauindustrie verdient. Oder aber die neuen Platten sind doch nur für Flüchtlinge gedacht. Für die zahlt zur Not der Staat. Wer dagegen die 6,50 aus eigener Tasche bezahlen muss, mietet sich lieber eine „richtige“ Wohnung. Uwe Rada

Mehr leuchtende Ideen bitte!

Integrationspolitik

Warum macht die Integrations­senatorin Dilek Kolat (SPD) das?

Nun hat Berlin also endlich einen neuen Integrationsbeauftragten. Der wichtige Posten in einer Stadt, die beliebtes Einwanderungsziel ist und deren PolitikerInnen derzeit unter steigenden Flüchtlingszahlen mehr ächzen als die Bürger selbst, war lange unbesetzt. Dass zum neuen Beauftragten der Stellvertreter der vorherigen wurde – bei einem anonymen Auswahlverfahren –, mag komisch anmuten, lässt sich aber erklären. Denn Andreas Germershausen, der Neue, bringt nach 14-jähriger Tätigkeit in der Integrationsbehörde sicher die gefragten Qualifikationen mit.

Trotzdem hat die Neubesetzung einen Nachgeschmack. Gleich nach ihrem Amtsantritt hatte Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) die Integra­tions­beauftragten in der Verwaltungshierarchie und damit in ihren politischen Äußerungs- und Einflussmöglichkeiten degradiert. Dass sie nun auf die bislang geübte externe Besetzung verzichtet und den Posten im Ergebnis nach Behörden-Usus besetzt, verdeutlicht erneut, welche politische Bedeutung sie ihm beimisst: eigentlich keine. Denn öffentlich gegen Senatspolitik opponieren wird Verwaltungsmann Germershausen wohl nicht.

Bleibt die Frage: Warum macht Kolat das? Grund könnte sein, dass sie selbst integrationspolitisch der hellstleuchtende Stern am Berliner Himmel sein will. Dann sollte die Senatorin allerdings mal ein paar wegweisende Ideen ins Spiel bringen. Das ist bisher nicht der Fall. Zur aktuellen Flüchtlingsproblematik hat man von ihr noch nichts gehört. Dass sie ein paar Hundert Flüchtlingen frühe Deutschkurse und eine Handvoll Praktika in Handwerksbetrieben verschafft, sind nette Kleinigkeiten. Die schwierigen Verhandlungen mit den Flüchtlingen, die den Oranienplatz besetzten, ließ sie die damalige Integrationsbeauftragte Monika Lüke führen – um dann deren Ergebnis stolz selbst zu präsentieren. Als Innensenator Frank Henkel (CDU) die Einigung ignorierte, sagte Kolat – nichts. Und wenn die Arbeits- und Integrationssenatorin gar sagt, bestehende Programme reichten zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt aus, zeugt das von praktischer Ahnungslosigkeit in beiden Themenfeldern. Zum richtig hellen Strahlen fehlt da noch was. Alke Wierth

Völlig gechillte Kinder

Umfrage zu Grundschulen

Die Kinder kritisieren nur die Eile in der Mensa und die ­stinkenden Toiletten

Dass Kinder aber auch immer so einfach zufriedenzustellen sind! Da startet der Paritätische Wohlfahrtsverband zusammen mit dem Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden eine groß angelegte Umfrage und fragt Berlins GrundschülerInnen, wie gerne sie zur Schule gehen, ob sie gerne mehr mitbestimmen würden und ob sie denn auch genug Platz zum Entspannen haben.

Und was macht die unberechenbare Brut? Bemängelt eine gewisse Eile bei der Schulspeisung, der man sich ausgesetzt sehe, und übel riechende Toi­letten. Mitbestimmung, Ruheräume? Gibt’s alles zur Genüge bei uns, sagt zwar nur die Hälfte der rund 250 befragten Kinder an 100 Grundschulen. Aber besonders vermissen tun die Kids weder die Demokratie noch ihr Kuschelkissen: Sollen das doch die ebenfalls befragten Eltern und PädagogInnen wichtig finden. Sie selbst wollen gemütlich essen und in Ruhe auf Klo gehen.

Dabei hätte die Umfrage so schön untermauern können, was Elterngremien, Gewerkschaften und die Bildungs­expertInnen der Opposition so gerne mantraartig wiederholen: Die Schulen sind voll, die Kinder folglich arm dran. Angesichts der drastischen Signale, die man mitunter aus den Schulen erhalte, hätte man doch mit einem etwas anderen Ergebnis gerechnet, rieb man sich vergangene Woche auch beim Paritätischen verwundert die Augen ob der (ganz ohne ausreichend Ruheräume) so völlig gechillten Kinder.

Und nun? Abwarten und eine neue Umfrage anpeilen – sagen wir, in zwei Jahren. Dann werden die Schulen angesichts beständig steigender Schülerzahlen wahrscheinlich so voll sein, dass in den Mensen im Stehen gegessen wird.

Ob das den Nachwuchs wohl politisieren wird? Na ja. Vielleicht demonstrieren sie dann ja wenigstens ordentlich für eine Aufstockung des „Schul­toiettensanierungsprogramms“ des Senats. Anna Klöpper

Wenig Platz und endlose Schlangen

Lollapalooza

In kommerzieller Hinsicht konnte man das „Experiment“ als Erfolg bezeichnen

Lollapalooza: Der Inbegriff der alternativen Festivalszene kommt ursprünglich aus Chicago, findet seit einigen Jahren aber auch in Argentinien, Brasilien und Chile statt. Am letzten Wochenende landete das Spektakel seine Europa-Premiere auf dem Gelände des Flughafen Tempelhofs. Alternative Musik suchte man zwischen Konzerten von Seeed, Macklemore und Sam Smith aber vergebens. Auch die durchgestylten Fressbuden, Getränkestände und Merchandisingzelte ließen darauf schließen, dass sich das Festival alles andere als abseits vom Mainstream verortet.

Auf sehr wenig Platz wollten die Veranstalter so viele Acts wie möglich unterbringen. Viele Künstler übertönten sich aufgrund der zu dicht nebeneinander aufgebauten Bühnen gegenseitig. „Berlin ist ein Experiment“, sagte Perry Farrell, Gründer der Show – und meinte damit wohl eher eine Art bunten Lollipop-Zirkus, der möglichst viel Profit abwerfen soll.

Das bekamen die Besucher an allen Ecken zu spüren: Für die mehr als 90.000 Besucher des an beiden Tagen ausverkauften Festivals gab es viel zu wenige und zum Teil überlaufende ­Dixi-Klos. Um die langen Schlangen zu umgehen, erleichterten sich viele einfach neben oder hinter den Toiletten am Bauzaun. Auf einen veganen Döner, einen fair gehandelten Kaffee oder einfach ein Stück Pizza wartete man locker eine Stunde – schließlich durften weder Butterstulle noch Wasserflasche mit aufs Gelände gebracht werden.

In kommerzieller Hinsicht konnte man das „Experiment“ wohl als Erfolg beschreiben – oder auch, wie Peter Fox es nach dem Konzert seiner Band Seeed ausdrückte: „War ganz okay.“ Ob er diesen Satz wohl ironisch meinte? In Amerika trägt zum Erfolg der Lollapalooza-Sause wohl auch der sperrige Name bei, der etwas „außergewöhnlich Beeindruckendes“ beschreiben soll. Außergewöhnlich beeindruckend waren in Berlin vorrangig die endlosen Schlangen vor den Buden und Klos. Letztere stellt der Veranstalter jetzt übrigens für die Flüchtlinge bereit, die in den Flughafen ziehen sollen. Wenigstens etwas.

Julia Schnatz