Politik und Plastikbecher

RESUMEE Erster Tag des Festivals„Pop-Kultur“ im Berliner Berghain

Während in manchen Gegenden Deutschlands Flüchtlingsheime brennen, wird im Berliner Berghain Sekt ausgeschenkt. So geschehen beim Festival „Pop-Kultur“, das gestern offiziell in Berlin eröffnet wurde. Anlässlich von Bildern mit randalierenden Rassisten, sagt Staatskanzleichef Björn Böhning (SPD) in seiner Begrüßungsrede, solle „Pop-Kultur Signal sein für Weltoffenheit“ und ein Ort der Begegnung.

Es ist der Moment, an dem es zum Auftakt am Mittwoch politisch wird. Ansonsten gleicht das Berghain eher einem Branchentreff der Musikwirtschaft. Was einst „Popkomm“ hieß, dann „Berlin Music Week“, wird jetzt also „Pop-Kultur“ genannt. Veranstalter des Festivals ist das Musicboard, eine Einrichtung des Senats, die „Popmusik einfallsreich fördern sowie den Diskurs zur Popkultur lebendig halten“ will. Einfallsreichtum ist vorhanden, zumindest beim Festivalprogramm. Da trifft etwa der Technoproduzent T.Raumschmiere auf die Sirene Anika, und der bildende Künstler Norbert Bisky spricht mit dem Neurowissenschaftler Tom Fritz über die Wirkung von Techno auf das menschliche Gehirn.

Womit wir beim Diskurs wären. Mittwochnacht diskutieren Björn Beneditz von der Hamburger Band Deichkind und Bonaparte-Sänger Tobias Jundt kurz vor Mitternacht über ihre Liveshows. Jundt erklärt, warum man einen Konzertfilm drehen sollte: „Man weiß nie, was dann passiert: Der eine kriegt Kinder, der andere verliert ein Bein.“ Zur Uhrzeit passt auch die Session von Sebastian Schipper. Der Regisseur von „Victoria“ soll über seinen Film sprechen. Stattdessen zeigt er einfach die letzten 60 Minuten des Films ohne Ton und legt dazu seine Lieblingsplatten auf. „Pop-Kultur“ soll mehr sein als eine Aneinanderreihung guter Konzerte, auch wenn man hier wahrscheinlich packende Gigs von jungen Bands wie Isolation Berlin oder den spielfreudigen Frauen von Hinds sehen kann. Höhepunkt des ersten Festivaltages ist aber der Genre-sprengende Auftritt von Bianca Casady, der einen Hälfte des Schwesternduos CocoRosie. In einer Art Film-Tanz-Theater-Performance stellt die US-Künstlerin ihr Soloalbum vor.

Eine „Berlinale der Musik“ soll „Pop-Kultur“ werden, erklärt Böhning das langfristige Ziel. Im Anschluss erzählen Sven Regener und Andreas Dorau lustige Geschichten aus einer Zeit, als es im Musikbusiness noch richtig viel Geld und Cocktails gab statt Sekt aus Plastikbechern wie im Berghain. Begegnen lässt sich derweil vielleicht im Biergarten. JULIANE STREICH