Entertainmentprogramme an US-amerikaNischen Colleges
: Was Studenten heute alles gar nicht lustig finden

Foto: Archiv

Bridge & Tunnel

von

OPHELIA ABELER

Halte es sauber. Bitte vermeide obszöne, vulgäre, unzüchtige, rassistische oder sexuell ausgerichtete Sprache. Beschimpfe und bedrohe niemanden. Drohungen, andere zu verletzen, werden nicht toleriert.”

Dies sind typische Benimmregeln eines Campus Activities Board, wie es sie an jedem amerikanischen College gibt. Nichts daran ist besonders, es scheint höchstens etwas merkwürdig, dass ein Mindestmaß an Anstand überhaupt extra eingefordert werden muss.

Das Campus Activities Board entscheidet über das Entertainmentprogramm, das den Studenten im Lauf ihres Studiums auf dem Campus geboten wird. Das beinhaltet Konzerte, aber auch die Auftritte von Comedians, für die ein ziemlich ordentliches Budget da ist. Was aus der Außenwelt im Lauf des Studienjahres auf den Campus gelassen wird, schauen sich die Mitglieder des Boards auf einer Art Messe an. Und hier stellt sich die Frage, was Studenten heutzutage lustig finden.

Die Comedians zeigen einen fünfzehnminütigen Ausschnitt aus ihrer Show. Dabei werden diejenigen, die die meisten Lacher ernten, am Ende nicht unbedingt gebucht. Es muss nur eine Sache dabei sein, die bei einem einzelnen Studenten Unbehagen auslöst, sagen wir, ein Witz über Schwule, der von einem Nichtschwulen gemacht wird – und der Comedian kann einpacken.

Witze über Minderheiten können nur von Mitgliedern selbiger Minderheit gemacht werden, wenn überhaupt. Aber eigentlich lacht die Generation der Millennnials sowieso nicht über andersartige Lebensumstände von anders gearteten Menschen, sondern versucht, dieselben Lebensumstände für alle zu erschaffen. Was später, im echten Leben, passiert, daran mag hier noch keiner denken, und die Gelegenheit, sich dafür zu wappnen, droht zu verstreichen.

Ein stinklangweiliger Dialektimitator ist am Ende erfolgreich. Derselbe Comedian wird später in einem Interview sagen, diesen Kids könne man nicht einmal mit Logik kommen, diese Generation fühle sich von allem angegriffen. Er kann es kaum abwarten, über sie herzufallen, sobald er nicht mehr auf Campusauftritte angewiesen ist. Jerry Seinfeld und Chris Rock ist es zu blöd geworden, vor Studenten aufzutreten.

Jerry Seinfeld und Chris Rock ist es zu blöd geworden, vor Studenten aufzutreten

Das Bemühen der Millennials darum, ja niemanden zu benachteiligen oder seine Anders­artigkeit zu thematisieren, hat eigentlich etwas Rührendes. Niemand soll sich je verletzt fühlen. Die Weigerung, sich mit schwierigen oder sogar unangenehmen Themen auseinanderzusetzen, hat jedoch etwas Realitätsfernes, Kindisches, und es wird mit einer Aggressivität auf ihr insistiert, die alle Benimmregeln dann sowieso außer Kraft setzt.

Die Waffe sind Social Media. Comedians können sich aussuchen, ob sie an den Colleges auftreten wollen, aber Professoren können nicht einfach das Handtuch schmeißen vor einer Generation von Studenten, die sich permanent als Opfer fühlt. Gnadenlos werden Karrieren aufgrund eines einzigen unbedachten Kommentars zerstört.

Der Campus ist zu einer Art Robinsonclub verkommen, in dem die Studenten ein Bildungsangebot konsumieren, das zu keinem Zeitpunkt emotionale Herausforderungen an sie stellen darf. Kürzlich verlangte eine Jurastudentin die Tilgung des Worts „violation” im Kontext von „ein Gesetz wurde verletzt“. Die Formulierung könne bei Opfern von Gewalt zu Retraumatisierung führen.

Bei Büchern wie dem „Great Gatsby“ werden Triggerwarnungen verlangt: Studenten möchten, bevor sie an eine unangenehme Stelle kommen, eine Warnung erhalten, um die Lektüre rechtzeitig abbrechen zu können.

Gleich drei umfassende Artikel im Atlantic und im New Yorker beschäftigen sich diesen Spätsommer mit der Frage, warum amerikanische Studenten nichts mehr aushalten können und wollen. Psychologen weisen darauf hin, dass es sich bei den jetzigen Undergraduates um die ersten Helikopterkinder handelt, also um die, die bis zu ihrem zehnten Lebensjahr nie etwas allein machen durften und deren Gegenüber beim Frühstück die Fotos der vermissten Kinder auf den Milchkartons waren.

Ein großer Teil von ihnen ist mit psychischen Erkrankungen diagnostiziert – ob diese Diagnosen stimmen oder nicht, steht auf einem anderen Blatt; auf jeden Fall aber prägt so eine Diagnose das Selbstbild. Der Spirit dieser Generation ist der des „catastrophizing“: Alles wird schlimmer wahrgenommen, als es ist. Wie schlimm diese Entwicklung ist, ist allerdings ohne Worte, aber selbst die sind wahrscheinlich verletzend.

Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York