ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Papierstau bei Blatt fünf

Gewalt, Sex, Tod: Im Copyshop geht es ab

Neulich wollte ich ein vergriffenes Buch für eine Freundin vervielfältigen. Ich ging in einen Copyshop. Für diejenigen unter den Lesern, die für so profane Tätigkeiten wie das Kopieren ihre Sekretärinnen, Praktikanten und andere dienstbare Geister einsetzen können, sei kurz erklärt: Ein Copyshop ist ein Geschäft, in dem Kopien gemacht werden. Gut, so weit hätte Ihr Englisch auch noch gereicht. Nun ist es aber leider nicht so, dass man dort Kopien machen lässt und dafür bezahlt. Nein: Man muss die Kopien selber machen. Und dafür bezahlen.

Wenigstens musste ich nicht warten. Gerade wurde ein Gerät frei. Da mein vergriffenes Buch selbst schon eine Kopie war, stopfte ich die gut 200 Seiten in den automatischen Einzug. Alle drei Sekunden eine Kopie versprach ein Aufkleber, in zehn Minuten müsste ich draußen sein.

Es ging gut bis zur Seite fünf. Dann war Schluss. „Papierstau“ stand auf dem blinkenden Display. Ich ging zur Kasse, hinter der ein junger Mann saß. Er hatte breite Schultern und einen – wie man in unseren Kreisen sagt – „Migrationshintergrund“. Ich zeigte auf das defekte Gerät und sagte ebenfalls:

– „Papierstau“.

– „Verdammter Arsch“, antwortete der junge Mann.

Da hab ich erst einmal nach Luft geschnappt. Während ich noch überlegte, ob ich empört mit „Na, hören Sie mal, was fällt Ihnen ein?“ antworten sollte oder defensiver „Kenne ich Sie? Oder vielleicht Ihre Schwester oder Freundin?“, legte der Kerl nach:

– „Schwein, du!“

Konnte ich noch fliehen, ohne meine Würde zu verlieren? Oder musste ich kämpfen, um in diesem Stadtteil weiter auf die Straße gehen zu können? Erwartete er vielleicht sogar, dass ich in gleicher Münze zurückzahlte? Gerade, als ich erwog, ihn wie hier in solchen Situationen üblich des Beischlafs mit der eigenen Mutter zu bezichtigen, stand er auf und eilte auf mich zu. Er hatte wirklich breite Schultern. Ich trat feige einen Schritt zur Seite. Der Mann sprang geradezu an mir vorbei. Er hatte es gar nicht auf mich abgesehen – sondern auf das Gerät. Schon stand er vor dem Kopierer, auf dem fünf kopierte und 195 noch nicht kopierte Blätter lagen und starrte auf das Display.

– „Papierstau“, stellte er genervt fest und fügte hinzu: „Arschloch.“

Er beleidigte nicht die Kunden, sondern sein Arbeitsmittel. Er verfluchte den Kopierer! Es war wirklich seltsam, zu beobachten, wie er ebenso geübt wie geschickt ein stecken gebliebenes Blatt aus den Eingeweide der Maschine zog und diese dabei ohne Unterlass mit Tiernamen und Begriffen für das menschliche Gesäß und das primäre weibliche Geschlechtsorgan bedachte.

Ich stand ein wenig verlegen dabei, wollte mich aber nicht beklagen, denn zu mir war er freundlich, geradezu höflich: „Entschuldigen Sie bitte, es geht gleich weiter. Leider kann ich nicht versprechen, dass die ***** es diesmal schafft.“ Er hatte augenscheinlich kein Sprachproblem und schien auch im Umgang nicht gestört – jedenfalls nicht mit Menschen.

Es muss etwas besonders Hassenswertes an den Kopierern sein. Wahrscheinlich sind die Manieren des ganzen Berufstands verdorben. Früher sagte man: „Er fluchte wie ein Droschkenkutscher.“ Heute – wo es nicht einmal mehr in Berlin Droschken gibt – sollte man besser sagen: „Er fluchte wie ein Copyshop-Angestellter“.

Dieser Copyshop-Angestellte erließ mir am Ende großzügig die Kosten für ein paar Fehldrucke und schenkte mir eine Heftklammer als Entschuldigung, weil „die alte Sau“ nicht richtig funktionierte und ich deshalb doch Zeit verloren hätte, was ihm Leid tue. Ein vorbildlicher Geschäftsmann. Ich sah mich schon als Stammkunden. Nur die Kinder würde man hier wahrscheinlich nicht zum Kopieren schicken.

Fotohinweis: ROBIN ALEXANDER SCHICKSAL Du ******? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany ist GONZO