China

Knapp eine Woche nach dem schweren Chemieunglück in Binhai-Distrikt von Tianjin fordern Anwohner Antworten von der Regierung

Wer weiß, was zu tun ist?

China Die Katastrophe im Hafenviertel der Stadt Tianjin ist offenbar auf den falschen Umgang mit dort gelagerten Chemikalien zurückzuführen

In Deutschland gibt es die Analytische Task Force, die im Kata­strophenfall in Aktion tritt

BERLIN taz | Die Brände sind unter Kontrolle, langsam legt sich der Rauch über den ausgebrannten Containern: Dass es bei den schweren Explosionen im ­Hafen der chinesischen Metro­pole mindestens 112 Todesopfer gab, ist bisher bestätigt, fast 100 Menschen werden noch vermisst.

Inzwischen hat das chinesische Militär bestätigt, dass in den brennenden Containern „mehrere hundert Tonnen“ Na­triumcyanid gelagert waren. Dieser Stoff bildet bei Kontakt mit Wasser hochgiftige Blausäure, die beim Einatmen zum Tod durch Ersticken führen kann. Da die Feuerwehrleute vor Ort vermutlich versucht haben, den Brand mit Wasser zu löschen, wurden möglicherweise große Mengen Blausäure freigesetzt. Deshalb wohl die vielen Toten.

Ein weiterer Stoff, der möglicherweise auf dem Lagergelände aufbewahrt wurde, ist das sogenannte Kalziumkarbid. Dieses weiße Salz bildet mit Wasser das explosive Gas Ethin. Die Kombination aus Lösch­wasser, der Hitze des Feuers und den Chemikalien könnte die beiden verheerenden Explosionen ausgelöst haben, denen viele der Feuerwehrleute vor Ort zum Opfer fielen.

Einen Brand dieser beiden Stoffe mit Wasser zu löschen ist gefährlich. Ob die Einsatzkräfte nicht wussten, was in den brennenden Containern lagerte oder wie man mit den Chemikalien umzugehen hatte, ist unklar. „Man sollte keine Schuld zuweisen, solange nicht genau geklärt ist, wie sämtliche Rahmenbedingungen aussahen“, sagt Hendrik Frese von der Feuerwehr Hamburg.

Auch in Deutschland lagern gefährliche Chemikalien. Um ein ähnliches Desaster wie in Tianjin zu verhindern, gibt es verschiedene Ebenen und Institutionen, die für die Sicherheit zuständig sind. „Grundsätzlich entscheidet jede Kommune selbst, wie viel Wert sie auf den Katastrophenschutz legt“, sagt Roman Trebbe vom Bundesministerium für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Die 2007 gegründete Analytische Task Force (ATF) etwa hat die Aufgabe, im Falle einer sogenannten ABC-Lage – also einer atomaren, biologischen oder chemischen Bedrohung – schnelle und zuverlässige Analysen der Situation zu liefern und so die Einsatzkräfte zu koordinieren. So kann zum Beispiel herausgefunden werden, welche Chemikalien ausgetreten sind und wie man sie unschädlich machen kann. Die ATF operiert von sieben Standorten in Deutschland aus, vor allem in Gebieten, in denen viel chemische Industrie beheimatet ist oder gefährliche Stoffe bewegt werden, etwa am Rhein, in Hamburg oder im Ruhrgebiet.

Innerhalb von zwei Stunden kann die Task Force jeden Ort im Bundesgebiet erreichen. Pro Standort fallen Kosten von jährlich etwa 90.000 Euro an, insgesamt hat die ATF rund 180 Einsätze pro Jahr.

Dass eine Einrichtung wie die ATF das Unglück in Tianjin hätte verhindern können, bezweifelt Trebbe: „Wir wissen noch nicht, was genau vorgefallen ist. Kritik an dem Vorgehen der Einsatzkräfte vor Ort wäre nichts anderes als Spekulation.“

Dominik Schneider