Kratzbürstige Verlierer

FEHLSTART Nach dem Beinahe-Abstieg aus der Fußball-Bundesliga befindet sich Hannover 96 noch in der Findungsphase. Gegen das Spitzenteam aus Leverkusen verloren die Niedersachsen verdient mit 0:1

Die Angriffslust erreichte erst nach Spielschluss ihren Höhepunkt. Auf typische Nachfragen zu einem Spiel der Fußball-Bundesliga antworteten die Profis von Hannover 96 mit kratzbürstigen Gegenfragen. Torhüter Ron-Robert Zieler etwa sollte erklären, wie er den Schuss des Tages erlebt hatte. Ein Frei­stoß von Hakan Çalhanoğlu war im linken Torwinkel gelandet. Frage: „Herr Zieler, wie haben Sie das erlebt?“ „Was ist das denn für eine Frage?“, raunzte der Kapitän einer Mannschaft zurück, die völlig verdient mit 0:1 gegen Bayer Leverkusen verloren hatte. Das Dumme an dieser Niederlage bleibt: Sie lässt sich nicht darauf reduzieren, dass Çalhanoğlu ein begnadeter Frei­stoßschütze ist.

Die Heimpremiere gegen einen der besten deutschen Profiklubs, zu der nur 39.100 Zuschauer erschienen waren, blieb vor allem mit spielerischen Mängeln behaftet. Trotzdem beharrten die Spieler darauf, dass man auf dem richtigen Weg sei. „Wir haben guten Fußball gezeigt. Ich bin guter Dinge“, meinte Neuzugang Oliver Sorg. Der Linksverteidiger spielte solide und fand es ganz offensichtlich unangebracht, kritische Nachfragen beantworten zu müssen. „Haben Sie die letzte halbe Stunde nicht gesehen? Da waren wir nur in der Hälfte von Leverkusen“, sagte Sorg. Sein Tonfall hörte sich ähnlich wie der von Zieler an. Er sollte wohl signalisieren, dass jegliche Kritik an Hannover 96 verfrüht und deshalb unverschämt sei.

Ganz fachlich und sachlich betrachtet haben die beiden Miesepeter Recht. Es ist ungerecht, einen Fast-Absteiger wie Hannover 96 mit einem Champions-League-Anwärter namens Bayer Leverkusen zu vergleichen. Die Niedersachsen sortieren sich gerade neu, nehmen Ende des Monats Abschied von ihrem erfolglosen Sportdirektor Dirk Dufner und setzen sich kleine Ziele für die neue Spielzeit. „Leverkusen ist kein Gegner, an dem wir uns orientieren sollten“, befand 96-Trainer Michael Frontzeck. Er war ehrlich genug, die spielerischen Mängel seines Teams zu thematisieren. Es war mutig von ihm, mit Mevlüt Erdinç und Charlison Benschop gleich zwei Neuzugänge als Sturmduo aufzubieten. Doch diese Variante für die Startformation zeigte keinerlei Wirkung. Hannover spielte harmlos und ideenlos.

Schiedsrichter Wolfgang Stark war in dieser eher mäßigen Begegnung ein stark gefragter Mann. Immer wieder hatte Hannover den dominierenden Kontrahenten aus Leverkusen durch Fouls stoppen müssen, was dazu führte, dass sich Çalhanoğlu ständig als außergewöhnlich guter Freistoßschütze beweisen durfte. Nach seinem siegbringenden Treffer in der 18. Minute hatte er in der 2. Halbzeit mit voller Wucht das rechte Lattenkreuz getroffen. Das scheppernde Geräusch, für das sein Schuss gesorgt hatte, war im Stadion gut zu hören. Es klang ein wenig wie eine Ohrfeige für einen sieglosen Gastgeber, der seine Rolle in der neuen Saison erst noch finden muss. Der Verdacht liegt allerdings jetzt schon nahe, dass es sich um eine Hauptrolle im Abstiegskampf handeln wird. Christian Otto