BUNDESLIGA Neue Trainer hat das Land. Die Fußballlehrer, von denen Impulse erwartet werden, zeichnen sich durch Akribie, Intellektualität und Askese aus. Ihre Prototypen sind Pep Guardiola und Thomas Tuchel
: Gurus am Spielfeldrand

Thomas Tuchel Foto: ap

von Stefan Osterhaus

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, da erteilte ein unscheinbarer Mann der Fußballwelt eine Lektion. Diejenigen, die sehen wollten, was da auf dem Rasen geschah, waren verblüfft, manche erstaunt und andere schlichtweg aus dem Häuschen. Wie konnte es sein, dass Argentiniens Nationalcoach Alejandro Sabella, dieser umstrittene Trainer, dem es an Charisma so offensichtlich mangelte, sich im Verlauf weniger Spiele wandelte zu einem Mann, dem das Team an den Lippen hing?

Was war geschehen, dass Sa­bel­la und nicht Louis van Gaal jenes Schlachtenglück hatte, dass es zum Gewinn eines Halbfinals braucht? Argentinien wuchs damals von Spiel zu Spiel, und sein Trainer wuchs mit, oder umgekehrt. Und am Ende hatte gar nicht viel gefehlt, und der Mann, der allenthalben vor dem Turnier als überflüssig empfunden worden war, hätte Messi gegen Deutschland zum Weltmeister gemacht: Sabella hatte den besseren Schlachtplan als Joachim Löw, aber der hatte die bessere Mannschaft. Sabella, so konstatierte ein Kenner, habe trotz seines Erfolgs bei der Weltmeisterschaft gewirkt, als sei er aus der Zeit gefallen. Ein Mann, der kaum etwas falsch gemacht hatte, ein Trainer, der ein Team weiter geführt hatte, als es vorher anzunehmen war. Aber er tat es ohne jede Attitüde, die mancher Kollege nur allzu gern vor sich herschiebt. Sabella war vieles, nur war er kein Guru, und deshalb ist er vielleicht jetzt schon so gut wie vergessen.

Denn Gurus sind en vogue. Selten war der Glaube an die Wundertätigkeit des Trainers so ausgeprägt wie in unseren Tagen. Es sind nicht die Routiniers, auf die sich die Hoffnungen richten, kaum jemand diskutiert über den Ansatz von Wolfsburgs Dieter Hecking, obschon die Möglichkeiten, die ihm Wolfsburg bietet, zu einem veritablen Konkurrenten für Josep Guardiola und die Bayern werden lassen könnten. Viel Theater macht Hecking um seine Arbeit nicht, ihm eilt nicht der Ruf voraus, nachts mit der Wünschelrute ums Trainingslager zu rennen; er vermisst das Spielfeld nicht millimetergenau, und wenn er es tun würde, er würde vermutlich kaum darüber sprechen.

Auch wird wenig über die Arbeit des Leverkuseners Roger Schmidt gesprochen, der ein recht eindrucksvolles erstes Jahr hingelegt hat. Zwar gilt Schmidt, anders als der joviale Hecking, keineswegs als un­ka­pri­ziös, doch während der ersten Saison hat er sich den Ruf eines akribischen Trainers erworben, dessen Tun und Lassen Hand und Fuß hat.

Gurus sind en vogue. Selten war der Glaube an die Wunderfähigkeit eines Trainers so ausgeprägt wie heute

Zum Guru taugt Schmidt, eine athletische Erscheinung, genauso wenig wie Hecking, und noch weniger ist einer wie der Augsburger Markus Weinzierl für diese Rolle prädestiniert. Trainern wie ihnen wird der notwendige Pragmatismus von böswilligen Zeitgenossen im Zweifelsfall als mangelnde Weltläufigkeit ausgelegt.

Es ist, natürlich, vor allem Josep Guardiola, der den Ruf des Gurus verwaltet. Jetzt hat er im Neo-Dortmunder Thomas Tuchel einen harten Konkurrenten erhalten. Zwei besondere Trainer, das möchte kaum jemand bestreiten, zwei Fachleute, wie sie in der Bundesliga nicht alltäglich sind. Da ist schon die Erscheinung, die sie von manchem Konkurrenten abhebt. Als leptosom bezeichnete jüngst eine Kollege den Typus des Trainers, wie er gerade gern gesehen wird. Kein Athlet, sondern gertenschlank, hager, stets bedacht auf die Form. Pep Guardiola punktet ja nicht nur mit lustigem Deutsch, nein, auch die Slimline-Silhouette signalisiert, dass dieser Mann keinen Ballast mit sich herumschleppt. Und weil Guardiola der Ruf anhaftet, Bücher mit Gedichten drin zu lesen, hängt ihm beharrlich das Image eines verkopften, ja sogar intellektuellen Mannes an.

Galt Guardiola als verkopft, so ist Tuchel seine Steigerung. Voller Elan sei der Coach bei der Arbeit, das wird allenthalben betont, wenn es um die Borussia geht, als sei es nötig. Denn Tuchel, der, bevor er der Borussia das Ja-Wort gab, eine Auszeit von einem Jahr genommen hatte, ist in dieser Zeit von einem schlanken Trainer zu einem Size-zero-Trainer geworden. Zumindest da hat er Guar­dio­la jetzt schon übertroffen.

Ihre Erscheinung signalisiert Reduktion, Askese. Und ohne diesen asketischen Anstrich wäre es ihnen vielleicht gar nicht möglich, die teils dogmatische Lehre den Spielern zu vermitteln. Manches erscheint wie ein Glaubenssatz. Nicht wenige wunderten sich, dass Tuchel es seinen Spielern untersagte, Longline-Bälle zu spielen und sie stattdessen anwies, stets den Weg über das Mittelfeld zu gehen, bevor es auf die Außen geht.

Pep Guardiola Foto: ap

Augenscheinlich haben Guardiola und Tuchel wenig miteinander zu tun. Und doch ist die Gemeinsamkeit unübersehbar. Beide Trainer wissen sich meisterlich zu inszenieren. Schweigen spielt da, anders als bei Tuchels Vorgänger Jürgen Klopp, eine ganz wesentliche Rolle, und es fügt sich nahtlos zum asketischen Bild, das vor allem Tuchel verkörpert: Würde Rioja-Fan Louis van Gaal kaum glaubhaft wirken, predigte er den Verzicht auf Wein, so wirkt Tuchel überzeugend genug, um dem Team neue Essgewohnheiten zu verordnen. So kam es, dass der Dortmunder Pastalieferant eine guten Kunden verlor, und so kommt es vielleicht auch, das Mats Hummels plötzlich schlanker als zuvor erscheint.

Tuchel, so sagen Beobachter, sei von einem geradezu calvinistischen Arbeitseifer durchdrungen, den er dem Team überzustülpen versuche. Das ist zwar anstrengend, aber dagegen ist prinzipiell zunächst einmal wenig zu sagen. Dass er mit GPS-Sendern trainiert, dass er versucht, die Ergebnisse von Hirnforschung und Mathematik ins Training einfließen zu lassen, mag manchen Tradi­tio­nalisten skeptisch stimmen, muss aber zunächst gar nichts heißen – außer, dass es den Fortschrittsglauben Tuchels in einem Sport dokumentiert, dessen größte Erfolge nicht nur in den letzten Jahren durch Trainer (Heynckes, Ancelotti, Luis Enrique, Joachim Löw) gefeiert wurden, die vor allem als Meister des „man management“ galten – und gewiss nicht in dem Ruf stehen, das Spiel vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben.

Jenen Anstrich hatte sich allein Guardiola gegeben, der in die Phalanx der Traditionalisten einbrach, die vor ihm die Champions League gewannen. Doch auch er war maßgeblich von der Spiellaune seiner Genies anhängig.

Pep Guardiolas Slimline-Silhouette signalisiert, dass dieser Mann keinen Ballast mit sich herumschleppt

Dem Ruf des Katalanen war dies aber nicht abträglich. Vielmehr wurde er vor der Vertragsunterschrift in München in beinahe genauso so erstaunlichem Maße verklärt wie Tuchel in Dortmund, wenngleich seine Erfolge mit Barça, anders als die Vita des Exmainzers, wenigstens den einen oder anderen Anhaltspunkt dafür boten. Dass beide, Tuchel wie Guardiola, auf die Trainer Klopp beziehungsweise Heynckes folgten, die in ihren Klubs jeweils Maßstäbe setzten, vermochte das Theater nicht zu dämpfen, standen die Herren zuvor doch, ob zurecht oder nicht, im Ruf, für Innovation zu stehen – anders als die beiden Neuerer mit den Erkenntnissen aus dem Fußballlabor.

Dabei ist gar nicht auszuschließen, dass zu den herausragenden Qualitäten beider die Selbstinszenierung gehört. Und in diesem Punkt trafen sie sich einmal sogar im Wortsinn. In einer Münchner Bar dienten Gläser als Spielfiguren – und weil die Bar an einer großen Straße liegt und für Passanten gut einsehbar ist, verbreitete sich die Nachricht vom Gipfeltreffen der Taktiknerds in Windeseile. Die FAZ, eines der wenigen Blätter, die der Begeisterung um Tuchel mit einer gewissen Reserviertheit gegenübersteht, konstatierte: „Aber wie er dann davon erzählte, wie er in seiner Fußballpause zusammen mit Guar­diola am Tisch saß und Spielzüge mit ein paar Gläsern nachstellte, mehrte er mit dieser unhinterfragten Gleichsetzung wie beiläufig seinen auf dem Fußballplatz noch nicht erworbenen Ruhm.“

Näher als damals waren sie sich nie. Und es ist zweifelhaft, ob sie sich noch einmal so nahe kommen. Denn in München schwindet der Glaube an die Erlösung durch den Katalanen, der seinem Arbeitgeber offenbar nicht länger zur Last fallen will als unbedingt nötig. Gut für Tuchel. Deutschlands Fußballjünger werden dann keinen Messias neben ihm haben.