Umwelt? Nicht auf der Agenda

EUROPA Was die Umsetzung ökologischer Vorgaben aus Brüssel angeht, schlampt Deutschland. Nun muss es sich mit Vertragsverletzungsverfahren herumschlagen

Immerhin: Auch das Elektroaltgeräte-Gesetz hat gedauert – aber inzwischen ist es durch Foto: Thissen/ dpa

aus Berlin Anja Krüger

Die Europäische Union hat im vergangenen halben Jahr drei neue Vertragsverletzungsverfahren im Umweltbereich gegen Deutschland eingeleitet. Gleichzeitig hat die Bundesregierung nur eines der laufenden elf Verfahren erfolgreich abschließen können. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Antwort auf eine kleine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Peter Meiwald hervor, die der taz vorliegt.

Bei zwei der drei neuen Verfahren geht es um Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habi­tat-Richtlinie, die das Ziel hat, natürliche Lebensräume für alle wild lebenden und für Europa typischen Arten zu schaffen: Deutschland hat nicht genug Flächen unter Naturschutz gestellt; außerdem wurde bei der Genehmigung des Kohlekraftwerks Moorburg der Naturschutz nicht ausreichend berücksichtigt, lauten die Vorwürfe der EU.

Zu viel Stickoxide in der Luft

Beim dritten Verfahren moniert die Europäische Kommission, dass die Grenzwerte für Stickstoffoxide in Deutschland zu oft nicht eingehalten werden. Im vergangenen Jahr wurden an mehr als der Hälfte der 500 Messstationen die zulässigen Höchstmengen überschritten.

Die EU leitet Vertragsverletzungsverfahren ein, wenn ein Mitgliedstaat Richtlinien nicht ordnungsgemäß umsetzt. Die Verfahren haben mehrere Stufen vom Mahnschreiben der Kommission bis zur Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Schlimmstenfalls drohen Strafzahlungen. Gegen Deutschland sind jetzt insgesamt 14 Vertragsverletzungsverfahren in der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission anhängig. Vergleiche mit den Vorjahren sind schwierig, weil die EU ihre Vorgehensweise bei Rechtsverstößen geändert hat.

„Immer mehr Vertragsverletzungsverfahren zeigen: Die Große Koalition will in der Umweltpolitik nichts bewirken, keine Baustelle angehen“, sagte Meiwald, der umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion ist.

Dabei erledige die Regierung nicht einmal die Pflichtaufgaben. „EU-Konsenseinigungen sind nicht besonders anspruchsvoll“, so Meiwald. Das Bundesumweltministerium wollte weder zu den Vorwürfen noch zur gestiegenen Zahl der Verfahren Stellung nehmen.

Aktuell hat Deutschland 13 Richtlinien der EU nicht ordnungsgemäß umgesetzt, etwa zum Vogelschutz auf regionaler Ebene oder zur Festlegung von Flugrouten. In einem Fall ist eine Klage unterwegs, weil Deutschland die Umweltverträglichkeitsrichtlinie und Industrie­emmissionenrichtlinie bisher nicht umgesetzt hat.

„Die Große Koalition will keine Baustelle angehen“

Peter Meiwald, MdB
Insgesamt 1.347 Verfahren

Der 14. Fall betrifft die Vorgaben für den Umgang mit Elektro- und Elektronik-Altgeräten. Sie hat die Bundesregierung nicht schnell genug in nationales Recht umgewandelt. Das dazu erforderliche Gesetz ist aber inzwischen verabschiedet worden, sodass dieses Verfahren bald erledigt ist.

Verstöße gegen europäisches Umweltrecht sind die häufigsten Gründe für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission. Von den 1.347 gegen EU-Mitglieder laufenden Verfahren betrafen 322 die Umwelt, an zweiter Stelle liegen mit 223 Mobilität und Verkehr, 162 Verfahren beziehen sich auf Regelverstöße in Bezug auf den Binnenmarkt.

2014 gab es gegen Deutschland insgesamt 68 Verfahren. Die meisten wurden gegen Griechenland und Italien eingeleitet – je 89 –, die wenigsten – mit 10 und 16 – gegen Ungarn und Estland.