Rechtes Motiv passte
„nicht ins Schema“

AUFKLÄRUNG Exgeheimdienstler berichtet vor NSU-Ausschuss in Hessen über Mord in Kassel

Akten, sagt Peter S., habe er sich ­„bewusst“ nicht vorher angesehen

WIESBADEN taz | Fast 34 Jahre lang, bis 2007, war Peter S. beim hessischen Verfassungsschutz. Davon fast acht Jahre lang als Leiter der Abteilung für Rechts- und Linksextremismus. Doch dass die Serie der NSU-Morde an migrantischen Kleinhändlern einen rechten Hintergrund hatte, habe er damals nicht für möglich gehalten, sagt S. am Montag vor dem hessischen NSU-Untersuchungsausschuss.

Wie bereits die geladenen Oberstaatsanwälte in den Sitzungen des Ausschusses zuvor beharrt auch der ehemalige Verfassungsschützer darauf, dass die Morde nicht ins „typische Schema Rechtsterrorismus“ gepasst hätten. Nur der Nagelbombenanschlag in Köln würde aus heutiger Sicht zum Rechtsterrorismus aus den 70ern und 80ern passen. Hermann Schaus, Parlamentsgeschäftsführer der Linken, lässt das nicht gelten: „Immer wenn es heikel wurde, hat S. nichts gewusst. Aber das war erwartbar.“

Peter S. schildert indes auch, dass der hessische Verfassungsschutz damals über „besonders enge“ Kontakte mit dem Thüringer Dienst verfügte – weil Kollegen nach der Wende dorthin gewechselt waren. Auch dass Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes, der Keimzelle des NSU, 1998 in Kassel waren, um gegen die Wehrmachtsausstellung zu demonstrieren, wusste S. noch.

Politisch interessant ist auch S.‘ Einschätzung, dass Hessen schon immer ein Schwerpunkt des Rechtsextremismus sei. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte 2008, damals noch Innenminister, gesagt, dass Neonazis einen „großen Bogen“ um Hessen machen würden.

Und noch etwas kommt zutage: Ausgerechnet 2006, als der Mord an dem türkischen Internetcafébetreiber Halit Yozgat in Kassel geschah, war das Dezernat Rechtsextremismus im hessischen Verfassungsschutz unbesetzt – für ganze zehn Monate. Zudem waren 2006 ganze 26 Mitarbeiter für das Thema „Ausländerkriminalität“ zuständig – bei gerade mal neun für Rechtsextremismus. „Das ist auch durch politische Entscheidungen bestimmt“, erklärt S. auf Nachfragen der Linken. Nach dem 11. September habe der Schwerpunkt ganz eindeutig auf dem Thema Islamismus und Ausländerkriminalität gelegen.

Auch wenn sich S. an anderer Stelle an viele Details erinnert, etwa wie viele Akten es zu einem Rechtsextremisten in den neunziger Jahren gab: An andere Details kann er sich nicht mehr erinnern. Die Akten habe er sich „bewusst nicht angesehen“, bevor er als Zeuge geladen wurde, sagt S. Und zu allgemeineren Fragen zum Thema Rechtsextremismus hat er einen Vorschlag: Diese solle man in den hessischen Verfassungsschutzberichten nachlesen, sagt er lapidar. Alina Leimbach