Nichts stimmte.
Nur der Film

Wiederentdeckung „Der Mann aus dem Osten“ erzählt über Aufbruch und Verunsicherung nach der Wende

Christoph Willems „Der Mann aus dem Osten“ gilt als erstes Beispiel für das, was später als Berliner Schule bekannt wurde Foto: Arsenal

von Matthias Dell

Im nächsten Jahr wird die Deutsche Film- und Fernsehakademie (DFFB) 50 Jahre alt, und in diesen Tagen beginnt die Deutsche Kinemathek im selben Haus mit der Aufbereitung des Archivs. Im Herbst soll eine Onlinepräsentation erstellt sein, die die Geschichte der Filmschule sichtbar macht.

In der Filmspotting-Reihe im Arsenal werden am Montag aus diesem Anlass eher unbekannte Kurzfilme von Harun Farocki, Gisela Tuchtenhagen oder Angela Schanelec gezeigt – eine programmatische Wahl, insofern das Filmemacher sind, die den Namen der DFFB gemacht haben. Etwas anders verhält es sich mit Christoph Willems, dessen 50-minütiger Abschlussfilm „Der Mann aus dem Osten“ im zweiten Teil des Abends zu sehen ist. Denn Willems’ Name sagt nur wenigen etwas – denen aber viel. Sein Geld hat der Absolvent später als Einzelfallbetreuer verdient.

Dabei ist „Der Mann aus dem Osten“ ein tolles, in seiner Einfachheit kluges Werk, dessen Reiz sich heute erst recht entfaltet. Ein Mann (Andrzej Szuttenbach) sitzt in einem kleinen Hotelzimmer in Kottenheim, Rhein-Nähe, Vordereifel, die Gegend, aus der Willems stammt. Der Mann stellt sich einer Videokamera vor: „Ich heiße Roman Orloff, bin 36 Jahre alt, 178 Zentimeter groß und wiege 68 Kilo. Unverheiratet, keine Kinder. Ich komme aus Lodz, aus Polen, wo ich als Verwaltungsbeamter arbeitete. Aber jetzt, seit drei Wochen bin ich im Westen.“

Denn Roman Orloff antwortet auf eine Kontaktanzeige, die eine Unternehmertochter (26, gespielt von Karin Plichta) aufgegeben hat. Die wünscht sich keine Dates, sondern eine Video-8-Korrespondenz. Also sieht man die beiden in Kameras sprechen und von sich erzählen, wobei Orloff sich im weiteren Verlauf vorstellt als – eine weitere künstlerische Rahmung – Autor eines Romans über einen Mann aus dem Osten, der sich durch geschickte Fälschungen eine Erbschaft von 2 Millionen Mark erschlichen hat.

„Der Mann aus dem Osten“ wirkt visionär in seinem medialen Begriff von Wirklichkeit

Bei „Der Mann aus dem Osten“ stellt nicht nur der Zuschauer bilddetektivische Überlegungen an – aus Mangel an anderer Handlung wird Nicole charakterisiert durch den Hintergrund, vor dem sie ihre Botschaften aufnimmt. Um sie zu treffen, muss Orloff folglich den Landschaftsausschnitt finden, den er als Standbild festgehalten hat. Der Schritt vom medialen vermittelten Kontakt zum Treffen im analogen Leben vollzieht sich also in etwa so, wie das aktuell Praxis ist in der Beziehung zwischen YouTubern und ihren Fans. Der Film wirkt vom digitalisierten Heute aus betrachtet visionär in seinem medialen Begriff von Wirklichkeit – wie Orloff mit Foto, Stift und Landkarte den Platz von Nicole ortet, das ist eine herrliche Vorwegnahme von allem, was Bilderkennungsprogramme zu leisten noch im Stande sein werden.

Seinerzeit wurde „Der Mann aus dem Osten“ durchaus geschätzt, er gilt neben dem zeitgleich an der DFFB entstandenen „Chronik des Regens“ von Michael Freerix (in dem Willems wie andere Kommilitonen, unter ihnen Christian Petzold, an der Seite von Mario Mentrup spielt) als „erste Emanation/Präsentation dessen, was man [später] so als Berliner Schule bezeichnet“ (Olaf Möller). Von Dominik Graf sind nach einer Vorführung des Films die schönen Worte überliefert: „Alles, was man zu dem Film sagen konnte, schien falsch. Nichts stimmte. Nur der Film.“

Graf setzte sich dann auch für Willems ein, der mit seinem Folgeprojekt „Der Mann, der immer kann“ allerdings keinen Fernsehredakteur überzeugen konnte: Es sollte um den Zusammenhang von Sex und Erfolg am Beispiel eines Pornodarstellers gehen, Willems hatte dafür in Hannover recherchiert, wo die deutsche „Porno-Queen“ Teresa Orlowski sich ein Millionen teures Studio hatte bauen lassen. Die Geilheit von Geld interessiert Willems noch immer, am liebsten würde er als Projekt eine Serie realisieren, die in der Immobilienbranche spielt und die „hinterfotzig und unanständig“ (Willems) ist. Und weil es ihm auch um Breitenwirkung ginge, denkt er sich als Ansprechpartner Til Schweiger.

Der Mann aus dem Osten: Kino Arsenal, 27. Juli, 21 Uhr