Kranke Kreuze
beschäftigen Kliniken

RÜCKENLEIDEN Immer mehr Patienten suchen Hilfe im Krankenhaus, Kassen bezweifeln den Nutzen

Barmer: Wenn‘s hier zwickt, nicht sofort in die Klinik Foto: Arno Burgi/dpa

BERLIN taz | Hauptsache oft und schnell unter’s Messer. Immer wieder stehen deutsche Krankenhäuser in der Kritik, aus Kostengründen lieber einmal mehr zu operieren und die Patienten hinterher zeitnah vor die Tür zu setzen. Das ist ein Ergebnis der Krankenkasse Barmer GEK, die in ihrem diesjährigen Krankenhausreport die Zahl der Klinikaufenthalte von 2006 bis 2014 unter die Lupe genommen hat. Schwerpunkt: Patienten mit Rückenschmerzen.

Von Problemen im Kreuz können viele Menschen ein Lied singen. Bundesweit sind laut Report rund 18 Millionen Personen in Behandlung. 2014 landeten davon 415.000 im Krankenhaus – oft nach einer jahrelangen Odyssee durch das Gesundheitssystem. Von 2006 bis 2014 ist damit die Zahl der stationären Behandlungen um fast 50 Prozent gestiegen. Die Vertreter der Krankenkasse halten das für unnötig – aus Sicht der Kostenträger keine wirklich überraschende Position.

Ein Drittel der Rückenpatienten kommt laut Kassenreport im Krankenhaus unters Messer. Der Trend wachsender OP-Zahlen bestätigt sich darin, ebenso die kurze Dauer der Klinikaufenthalte. So seien Eingriffe an Bandscheiben seit 2006 um 12,2 Prozent gestiegen, Operationen wegen Wirbelsäulenversteifungen um 83,1 Prozent. Gleichzeitig sinke die Zahl der Behandlungstage.

Barmer-Vorstand Christoph Straub zweifelt an der Sinnhaftigkeit solcher OPs, denn laut Umfragen ist nur die Hälfte der Patienten anderthalb Jahre später zufrieden und schmerzfrei. „Wenn ich eine Münze werfen kann, ob eine Operation erfolgreich ist, sollte ich mir sehr genau überlegen, ob ich mich dafür entscheide.“ Von den Patienten, die zwar ins Krankenhaus gehen, dort aber nicht operiert werden, bekommt ein weiteres Drittel eine Spritzentherapie. „Das kann man auch ambulant machen“, findet Straub.

Das letzte Drittel der Klinikpatienten ist den Kassen ein besonderes Dorn im Auge. Die bekommen weder Schmerztherapie noch Operation, sondern vor allem weitere Diagnosen. Röntgenaufnahmen oder Kernspintomografien im Krankenhaus kommen die Krankenkassen in der Regel teurer zu stehen, als wenn ein niedergelassener Arzt sich darum kümmert. „Patienten sollten im Krankenhaus auch tatsächlich eine Behandlung erhalten, sonst gehören sie nicht dorthin“, findet Straub.

„Man sollte sich OPs genau überlegen“

Christoph Straub

Aber warum gehen die Menschen ins Krankenhaus, wenn dort scheinbar nur den wenigsten geholfen werden kann? Die Autorin der Studie, Eva Maria Bitzer, vermutet schlechte Erreichbarkeit oder Terminengpässe bei niedergelassenen Ärzten und das wachsende Angebot der Krankenhäuser als Gründe. „Oft sind die Patienten nach jahrelangen vergeblichen Behandlungen auch einfach hilflos.“

Hilflos scheinen aber auch die Ärzte. Bitzer plädiert dafür, den Patienten unrealistische Erwartungen zu nehmen. „Ärzte müssen klar über Chancen und Risiken aufklären und deutlich machen, dass sie für viele Rückenleiden einfach keine Lösung haben.“ Barmer-Vorstand Straub fordert eine interdisziplinäre Behandlung aus Psychiatern, Physiotherapeuten und Orthopäden – ambulant und durch den Hausarzt koordiniert. Im besten Fall lange bevor die Rückenschmerzen chronisch werden. Josefine Schulz