Asche Mit dem Tod hat er kein Problem, sagt Herr Melzer. Als Tierbestatter legt er Wert auf Würde
: Eine Urne muss nicht sein

Bis zu fünfzig Kilogramm Gewicht kann eine Haustierleiche haben, sagt Herr Melzer Foto: Karsten Thielker

Von Thomas Feix

Auf Wunsch kommt Herr Melzer auch nachts vorbei. Was genau passiert ist, fragt er, nachdem der Kunde ihn zu sich hereingebeten hat. Den Trauerfall lässt er sich stets schildern, den Übergang findet der Kunde meist von allein. Eine Urne muss nicht sein, sagt Herr Melzer dann immer, eine schöne Dose tut es ebenso. Selbst eine Keksschachtel für die Asche des verstorbenen Lieblings ginge.

Dass er ausschließlich Kremieren macht, sagt Herr Melzer. Für Erdbegräbnisse sind andere Berliner Tierbestatter da. Und auch das Einäschern erledigt er genau genommen nicht selbst. Seine Dienstleistung ist es, das dahingegangene Haustier beim Kunden abzuholen und es ins Tierkrematorium in Pankow zu bringen.

Eine kleine schwarze Plastiktüte mit der Asche des Hundes oder der Katze händigt er dann dem Kunden aus. Der ist frei in der Entscheidung darüber, was weiterhin mit der Asche geschieht. Den Katalog mit den Urnen jedenfalls hat Herr Melzer immer dabei.

Die Konkurrenz in dem Geschäft ist ihm erträglich. Das ist ihm der Hauptgrund für den Einstieg vor zweieinhalb Jahren gewesen. Als Konkurrenz sieht Herr Melzer nur die Kleinen an, nur die, die so wie er einen Einmannbetrieb haben. An die fünf oder sechs Wettbewerber wären sie im Augenblick. In seinem Umkreis ist er der einzige kleine Tierbestatter, im Berliner Kiez von Halensee rings um das obere Ende des Kurfürstendamms herum.

Er wohnt da jetzt seit fünfunddreißig Jahren. Eine der gutbürgerlichen Gegenden im Westen der Stadt. Dort hat er in einer stillen Seitenstraße auch sein Ladenbüro. Die Leute im Kiez, sagt er, kennen einander alle, und von dem, was er macht, wissen sie ebenfalls alle, und er hofft deshalb darauf, dass sie von Mund zu Mund über den Kiez hinaus weitertragen, dass es ihn als Tierbestatter gibt.

Zwei große republikweite Tierbestattungsunternehmen haben Filialen in der Stadt. Beide hatte er sie sich angesehen, bevor er ans Einrichten seines Büros ging. Schöne, weitläufige Räumlichkeiten haben die, sagt er.

Ganz anders als bei den Kleinen. Deren Büros sind sehr bescheiden und eher im Hinterhof gelegen, als dass sie vorne an der Straße wären. Zu seinen Konkurrenten möchte er aber nicht so viel sagen, ihnen Abträgliches gleich gar nicht.

In gedecktem Mintgrün hat er sich seine eigenen Räume gestaltet. Den Farbton hatte er sich von der Vespa abgeguckt, die immer vor seiner Haustür geparkt ist. Grün ist Zuversicht, sagt er.

Er wollte es nicht so wehmütig, so triefend vor Mitgefühl, so mit Kreuz an der Wand womöglich oder ähnlich Sakralem. Zweckmäßig und neutral in der Ausstattung. Diejenigen, die zu ihm ins Büro kommen, sind ohnehin in Kummer, sagt er.

Statt eines Kreuzes oder ähnlich Sakralem hat er sich Fotografien von Katzen und Hunden an die Wand hinter dem Schreibtisch hingehängt, und von einem Freischwinger aus hat der Besucher Sicht auf die Schwarz-Weiß-Galerie.

Die Kühltruhe ist nebenan

In einem der Nebenzimmer steht eine Kühltruhe. Für eine Weile lagert Herr Melzer manchmal ein totes Tier darin, etwa dann, wenn ein Kunde es ihm nachts mitgegeben hat. Nur jeder zehnte seiner Kunden kommt mit dem verblichenen Haustier zu ihm ins Büro. Zu den anderen allen fährt Herr Melzer hin.

Bis zu fünfzig Kilogramm Gewicht kann so eine Haustierleiche haben, sagt er. In dem Fall bittet er den Kunden darum, ihm beim Hinuntertragen zum Auto und beim Hineinheben in den Kofferraum behilflich zu sein. Zwanzig, auch fünfundzwanzig Kilogramm, das schafft er allein. Für alles, was darüber liegt, braucht er Hilfe.

Schmal von Statur ist Herr Melzer und dabei nicht sehr groß. So schmal, dass er asketisch wirkt. Aber das passt zu seiner Tätigkeit. Genauso wie der graue Haarkranz, der ihm hinten bis in den Nacken fällt, genauso wie der sanfte Klang seiner Stimme, wie die dezente Brille und der gestutzte Vollbart.

Bevor er Tierbestatter wurde, ist Herr Melzer fünfunddreißig Jahre lang freier Mitarbeiter beim Fernsehen gewesen, zuerst als Fahrer und als Aufnahmeleiter, dann als Produktionsleiter für Abendserien. Mit dem Tod, wie er ihm in Gestalt der Tierleichname entgegentritt, hat er kein Problem, sagt er, und auch sonst nicht. Seine Frau hat ihm der Krebs genommen, und dem Vater hat er am Sterbebett die Hand gehalten. Es ist sogar so, dass ihn ein Todesfall in der Familie vor sechs Jahren auf die Idee gebracht hat, es als Tierbestatter zu versuchen.

Lucy war da gestorben, die Tibetterrierdame seiner Tochter. Die wollte die kleine Hundeleiche eingeäschert haben, und genau so kam es dann.

Damals begann es auch, dass es für Herrn Melzer als freien Mitarbeiter nicht mehr so lief, wie es früher einmal für ihn gelaufen war. Die Anzahl an Aufträgen verringerte sich stetig, bald dass sie gegen null ging, und er saß mit dem Gedanken daran zu Hause herum, was in Zukunft mit ihm werden sollte.

Er hat Erspartes, er hätte davon leben können, aber eines Tages wäre es wohl alle gewesen, und was dann.

Mit Rente als Freier ist es schlecht, sagt er. Besser das Geld in etwas mit Chance auf Ertrag stecken, als es nur zu verbrauchen.

Eine Kantine in einem Krankenhaus oder in einer Behörde hatte er anfangs im Blick. Eine sichere Sache, weil praktisch ohne Konkurrenz. Da ist immer Publikum drin, da kommt immer was nach. Aber an eine Kantine war kein Rankommen für ihn. Alles dicht, alles wie auf Jahrzehnte hinaus vergeben.

An ein Café oder Bistro hatte er als Nächstes gedacht und hatte sich wieder kundig gemacht. Viel an Konkurrenz, stellte er fest, ihm viel zu viel. Wahrscheinlich hätte er sich eher die Beine in den Bauch gestanden, als dass vielleicht mal ein Gast zu ihm hereingesehen hätte. Beim Überlegen, wie nun weiter, ist er irgendwie auf Lucys Bestattung gekommen. Jetzt ist ihr Porträt auf der mintgrünen Internetseite der Firma Michael Melzer und auf den Flyern.

Das Kaufmännische gibt am Ende den Ausschlag, sagt er, das Verhältnis von Aufwand und Nutzen. In der Hinsicht erschien ihm das Vorhaben, sich eine Existenz als Tierbestatter aufzubauen, ein Einsatz mit Chance auf Ertrag zu sein. Wenig Konkurrenz und dabei eine Arbeit, die er ohne Personal verrichten kann, weil er einzig als Mittler zwischen Kunde und Krematorium auftritt. Er weiß, wie es bei jemandem wie ihm ist, bei jemandem, der neu mit einem Gewerbe angefangen hat. Dass er mindestens zwei Jahre braucht, um die Gewinnzone zu erreichen.

Grün ist Zuversicht

Er wollte es nicht so wehmütig, so triefend vor ­Mitgefühl, mit Kreuz an der Wand womöglich. In ­gedecktem ­Mintgrün hat er sich seine Räume gestaltet. Den ­Farbton hat er sich von der Vespa abgeguckt, die immer vor seiner Haustür geparkt ist. Grün ist Zuversicht, sagt er

Ende eines Sittichs

Lange hatte er sich im Kiez nach einem Ladenbüro umgesehen. Viele von den Hausbesitzern aber wollten einen Tierbestatter nicht in ihrem Haus. Er ist froh darüber, dass er sein Büro jetzt in dieser Seitenstraße hat. Als Adresse für einen Tierbestatter richtig schön intim. Eine Einkaufs- oder Durchgangsstraße mit ihrer Hast hätte sich als geschäftsschädigend für ihn herausstellen können.

Zur Werbung hatte er sich ­alle Tierärzte in Berlin aufgelistet, vierhundertfünfzig Praxen. Er hatte sich Flyer gemacht, hatte die Tierärzte alle nacheinander abgefahren und die Flyer bei ­ihnen abgegeben. Alle Vierteljahre wiederholt er das. Fährt die ganzen Berliner Tierärzte ab.

Gerade ist er wieder dabei. Bis jetzt hat er an die dreihundert Stellen angefahren und Handzettel dagelassen. Sechs Wochen lang insgesamt dauert das immer, die vierhundertfünfzig vollzumachen.

Seinen ersten Kunden hatte Herr Melzer in Berlin-Spandau. Der hatte ihm seine verstorbene Katze übergeben. Das Tier mit dem bisher geringsten Gewicht war ein Wellensittich, der einem jungen Paar gehört hatte. Auch die Leichname von weißen Ratten hat Herr Melzer schon zum Krematorium gefahren.

Für den Transport hat er einen schwarzen Kunststoffkasten mit Deckel im Kofferraum seines Wagens. Die toten Tiere fasst Herr Melzer immer nur mit Handschuhen an, und dem Veterinäramt gegenüber hat er schriftlich Nachweis über jede einzelne Einäscherung zu führen.

Seinen Erkenntnissen zufolge stirbt ein Viertel der Haustiere einen natürlichen Tod, Dreiviertel von ihnen schläfert der Tierarzt ein, überwiegend wegen Krebs.

Herr Melzer sagt, in erster Linie wollten die Kunden von ihm wissen, ob sie auch tatsächlich die Asche ihres verstorbenen Tieres bekommen. Um Verwechslungen vorzubeugen, erklärt er ihnen dann, tun die Angestellten des Krematoriums jeweils einen Schamottstein mit einer Nummer darauf in die voneinander abgetrennten Brennkammern hinein. Der nummerierte Stein liegt der Asche dann selbstverständlich mit bei.

Dass die Kunden ihm dankbar dafür sind, dass er ihnen eine Last abnimmt, das spürt Herr Melzer jedes Mal aufs Neue. Dass er die Antwort auf die Frage hat, vor die sie sich plötzlich gestellt sehen. Wohin mit dem toten Haustier, und das in Würde.