Recht

Wie umgehen mit Flüchtlingen, die vor Verfolgung und Not hierherkommen? Dazu gibt es jetzt neue Paragrafen

"Wir tun den Menschen damit Unrecht an"

HAFT Nun werden sich die Abschiebeknäste wieder füllen, fürchtet der Berliner
Flüchtlingsbetreuer Hillebrand. Was die Behörden "Gewahrsam" nennen, fühlt sich wie Gefängnis an

Ludger Hillebrand S.J.

52, ist seit 7 Jahren Mitarbeiter des jesuitischen Flüchtlingsdienstes. Er betreut Asylsuchende in der Abschiebungshaft Berlin und Eisenhüttenstadt und kämpft unter anderem gegen die Abschiebungshaft am neu entstehenden Flughafen BER

taz: Pater Hillebrand, heute wird im Bundestag ein Gesetz zur Änderung des Bleibe- und Aufenthaltsrechts beschlossen. Dabei werden unter anderem die Möglichkeiten zur Verhaftung von Flüchtlingen ausgeweitet. Welche Auswirkungen hat das?

Ludger Hillebrand: Ich befürchte, dass wieder Flüchtlinge beim ersten Betreten Deutschlands festgenommen werden. Wenn ein Mensch aus Syrien über Bulgarien in die Bundesrepublik einreist, an der Grenze kontrolliert wird und dann erzählt, dass er über Bulgarien gekommen ist und womöglich Geld für Schleuser bezahlt hat, besteht wieder die Möglichkeit ihn direkt zu verhaften.

Das Dublin-Abkommen, nach dem Menschen in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie das erste Mal europäischen Boden betreten haben, gilt nicht erst seit gestern. Wie wird bisher mit diesen Flüchtlingen umgegangen, die trotzdem nach Deutschland kommen?

Derzeit ist es gesetzlich fast unmöglich, jemanden beim ersten Betreten Deutschlands in Abschiebehaft zu stecken. Seit Sommer letzten Jahres sind die Haftanstalten deshalb ziemlich leer. In Berlin sitzen momentan fünf, in allen sechs Haftanstalten Deutschlands ungefähr 60 Flüchtlinge.

Und Sie vermuten, dass sich die Gefängnisse nun wieder füllen werden?

Ja. Mit dem neuen Gesetz können Flüchtlinge zum Beispiel eingesperrt werden, weil sie viel Geld an Schleuser bezahlt haben. Das ist widersinnig. Es gibt fast keinen legalen Weg nach Europa. Daraus kann man den Flüchtlingen nicht nachträglich einen Strick drehen.

Sie arbeiten als Seelsorger in der Abschiebehaft in Berlin. Wie gehen die Flüchtlinge damit um, wenn sie nach einer traumatisierenden Flucht in Deutschland ankommen und sofort verhaftet werden?

Die verstehen das nicht. Sie fragen, was sie getan haben, dass man sie ins Gefängnis steckt. Ich erinnere mich an einen Syrer, der zu mir sagte, Assad wäre ein schlimmer Diktator, aber in Syrien sei er nie ins Gefängnis gekommen. Man sollte sich ernsthaft fragen, ob das Instrument der Abschiebehaft politisch sinnvoll ist. Wir tun Menschen damit Unrecht an, die nichts getan haben.

Abschiebehaft gilt explizit nicht als Strafhaft. Unter welchen Bedingungen leben die Flüchtlinge dort?

Im Unterschied zu Strafgefangenen sind die Zellen nicht geschlossen, es gibt längere Besucherzeiten und sie dürfen mittlerweile ihre eigenen Handys benutzen. Politiker vermeiden den Begriff Gefängnis und sprechen lieber von Gewahrsam. Aber vor den Fenstern sind Gitter, auf dem Gang sind Gitter und um den Hof sind Mauern. Vom Gefühl her ist das ein Gefängnis. Inhaftierte Syrer, die über Bulgarien gekommen sind, und dorthin zurück sollen, sagen oft: “Schickt uns lieber wieder zurück nach Syrien als nach Bulgarien, dort ging es uns besser.“

Haben die Flüchtlinge in den Gefängnissen eine Chance, dort wieder herauszukommen und doch noch Asyl in Deutschland zu beantragen?

Theoretisch ja. Aber im Unterschied zu Strafgefangenen bekommen Flüchtlinge keinen Pflichtverteidiger. Und selbst an einen Anwalt heranzukommen ist für sie schwierig. Wir übernehmen Kosten der Rechtsberatung für inhaftierte Flüchtlinge. Im Jahr 2014 haben wir 164 Flüchtlingen in Bayern, Berlin und Brandenburg einen Anwalt besorgt. 119 haben wir frei bekommen. Das heißt, dass die Haft in mehr als 2/3 der Fälle unrechtmäßig war. Das heißt aber noch nicht, dass sie in Deutschland bleiben dürfen.

Interview: Josephine Schulz