BERLINER SZENEN
: Der Gastrospion

Eine Woche Freibier

Ein Restaurant ist mir zu kitschig, ein anderes zu voll

Mittwochabend. Ich bin beim Späti bei mir um die Ecke. Thanh, der Verkäufer, begrüßt mich mit seinem herzlichen Lächeln. Ich hole mir ein Bier. Hien, der Besitzer des Ladens, ist ebenfalls anwesend. Hien fragt, ob er mich auf das Bier einladen dürfe, denn er habe da ein paar Fragen.

Wir sitzen auf der Bank vor dem Späti. Hien erklärt mir, dass er ein vietnamesisches Restaurant in Prenzlauer Berg eröffnen möchte. Von mir will er wissen, was die Deutschen mögen. „Puh“, antworte ich, „ich bin kein Experte für vietnamesische Küche.“ – „Nein, nein“, sagt Hien, „du kannst das. Pass auf, ich habe da eine Idee: Würdest du mit mir zu einigen vietnamesischen Restaurants fahren und mir sagen, was du von ihnen hältst?“ – „Wann“, frage ich. „Jetzt“, sagt er.

Ein wenig später sitzen wir in seinem nagelneuen BMW. Wir fahren zur Gleimstraße, zum Wasserturm, zur Pappelallee, besichtigen insgesamt fünf Restaurants. Hien parkt seinen BMW immer etwas Abseits. Er möchte nicht gesehen werden, denn die Leute dort, sagt er, würden ihn alle kennen. Ich gehe in die Restaurants, schaue mir das Interieur an, werfe einen Blick auf die Speisekarte, fühle mich wie ein Gastrospion und berichte Hien im Auto von meinen Eindrücken. Ein Restaurant ist mir zu kitschig, ein anderes zu voll gestopft, dort finde ich die Speisekarte zu lang, und wiederum woanders imponiert mir die schlichte Eleganz der Einrichtung. Wir unterhalten uns über mögliche Preise und die Zusammensetzung der Speisekarte.

Wir fahren zurück zum Laden, sitzen wieder auf der Bank. Hien erläutert mir seinen Businessplan, er ist voller Tatendrang. Dann fragt er mich noch, ob ich demnächst mit meiner Frau zu ihm nach Hause zu einem Testessen kommen könnte. „Klar“, sage ich, „machen wir.“ Hien ist glücklich und sagt zu Thanh, dass all meine Getränke diese Woche auf Kosten des Hauses gehen.

Alem Grabovac