„Ich bin ziemlich schüchtern“

SCHLAG Die Mixed Martial Arts sind eine der brutalsten Kampfsportarten. Aber auch nicht schlimmer als eine Geburt, sagt Danielle West, die einstecken kann. Nicht nur im Ring

■ Die Frau: Danielle West, 35, wurde in Boston geboren, seit Anfang Januar lebt sie in Singapur. Seit rund einem Jahrzehnt ist sie Mixed-Martial-Arts-Kämpferin. Nach einem Kampf schenkt sie ihren Gegnerinnen zum Dank selbst gemachte Seife. Zuletzt stieg West im Dezember in Japan in den Ring und verlor nach Punkten. Kurz zuvor erschien bei dem kleinen US-Verlag Burning Horse ihr erster Roman: „All Change Please“. Die sonntaz traf Danielle West vor ihrem Umzug in London.

■ Der Sport: Die Mixed Martial Arts, kurz MMA und zu Deutsch: gemischte Kampfkünste, sind eine Kombination aus allen Kampfsportarten. Elemente kommen etwa aus dem Boxen, Kick- und Thaiboxen, Taekwondo, Ringen, Brazilian Jiu-Jitsu und Judo. Der Sport hat in den letzten Jahren auf der ganzen Welt immer mehr Anhänger gefunden. Seit 2012 wird in den USA die „Invicta Fighting Championship“ ausgetragen, ein Wettbewerb ausschließlich für MMA-Frauenkämpfe.

GESPRÄCH BERND PICKERT
FOTOS SONJA TRABANDT

sonntaz: Frau West, kürzlich ist „All Change Please“ erschienen, Ihr erster Roman. Ist es härter, einen Roman zu schreiben oder für einen Mixed-Martial-Arts-Kampf in den Käfig zu steigen?

Danielle West: Beides ist hart. Ich habe sieben Jahre an dem Buch geschrieben und zweieinhalb Jahre gebraucht, um einen Verleger zu finden. Auf einen Kampf bereitet man sich sechs Wochen lang vor. Wenn du ein Buch schreibst, ist da niemand, der dich daran hindern will. Wenn du einen Kampf hast, will dir deine Gegnerin eine Niederlage beibringen. Da wird eine ganz andere Energie frei. Ein Buch zu schreiben ist viel einfacher und entspannter. Allerdings ist die Fallhöhe größer: Wenn ich einen Kampf verliere, geht die Welt nicht unter, wenn das Buch floppt, wäre das hart.

Das Buch wird ja vor allem mit Ihrer Person beworben: eine Mixed-Martial-Arts-Kämpferin, eine Frau, die als Go-Go-Dancer gearbeitet hat …

… bei einer Punkband in Boston! Meine Bezahlung bestand aus Bier und Falafel.

Dabei waren Sie einmal kurz davor, ein Kunststudium anzufangen.

Als ich 19 war, hatte ich ein paar Kunstausstellungen mit Bleistiftzeichnungen, ich hab sogar einige Arbeiten verkauft. Ich wollte auf die Kunstschule gehen, aber als ich mit 17 schwanger wurde, bin ich nach Kanada geflohen. Mein Leben änderte sich vollkommen. Ich hab es aber nie bedauert. Ich glaube, ich wäre eine dieser überhypten Künstlerinnen geworden, so wie Tracey Emin oder Damien Hirst.

Sie wurden in Boston geboren. Was haben Ihre Eltern gemacht?

Mein Vater war Lkw-Fahrer. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hatte er einen schweren Unfall, blieb zu Hause und lebte von Arbeitsunfähigkeitsrente. Ich glaube, heute ist er im öffentlichen Dienst in irgendeiner Kleinstadt außerhalb Bostons. Meine Mutter arbeitet heute in der Versicherungsbranche; als ich klein war, war sie Hausfrau.

Sie sind früh von zu Hause ausgezogen.

Ich bin ins Kinderheim gekommen.

Warum?

Als ich zwölf war, erwischten mich meine Eltern beim Rauchen. Ich bekam Stubenarrest. Ich wollte zu einer Schulparty, durfte aber nicht hin. Für mich bedeutete das das Ende der Welt, also bin ich ausgerissen und hingegangen. Mein Vater kam hinterher. Was dann passierte, unterscheidet mich wahrscheinlich von den meisten Menschen: Er prügelte vor den Augen der gesamten Schule die Scheiße aus mir raus. Und ich rede nicht von Ohrfeigen. Er schlug mich mit der Faust, trat mich, er schmiss mich über einen Tresen, er trampelte auf mich ein. Die meisten meiner Mixed-Martial-Arts-Kämpfe waren leichter als diese Prügel von meinem Vater. Mein Vater wurde angezeigt und verurteilt. Meine Eltern waren sehr wütend und gaben mir die Schuld.

Und dann?

Kam ich ins Kinderheim und habe monatelang nicht mit meinen Eltern geredet. Ich hab ein paarmal versucht, wieder nach Hause zu gehen, aber das hat nie funktioniert.

Hat dieser Teil Ihrer Biografie etwas damit zu tun, dass Sie zur Kämpferin wurden?

Ich hab gemerkt, dass viele – nicht alle – Frauen in diesem Sport sehr ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Das verändert sich heute, wo der Sport populärer wird, aber wenn man sich die Kindheitserfahrungen von denen ansieht, die den Sport begonnen haben – die sind ein bisschen, äh, wechselhaft. Als das losging, war es Punk.

Sie sind kaum zur Schule gegangen. Wurde im Heim nicht darauf geachtet?

Doch, außer du rennst immer weg, lebst im Wald, in besetzten Häusern oder in Pappkartons.

Warum haben Sie das gemacht?

Das Problem mit Heimen ist, dass da Leute bezahlt werden, um auf die Kinder aufzupassen, die dazu oft nicht wirklich Lust haben. Als Teenager hatte ich für die Heimregeln auch nicht viel übrig. Und es gab eine Reihe von Heimen, in denen ich das Gefühl hatte: Wenn ich hierbleibe, wird mich der Typ da sexuell belästigen. Dann bin ich weg. Es gab immer viele Gründe, abzuhauen. Das ist noch heute so: Wenn mir irgendwas nicht gefällt, will ich sofort weg. Die Leute sagen mir: Warte, probier das doch erst mal ein bisschen! Schaff’ ich meist nicht.

Mit 17 sind Schwangerschaften oft nicht gewollt.

Ich hab mich sofort für meine Tochter entschieden. Ich hatte mit einer Menge Sozialarbeitern zu tun. Einer sagte mir, wenn ich das Kind bekomme, würde ich den Rest meines Lebens als Teenage Mum von Sozialhilfe leben. Ich hab ihn ein paar Jahre später wiedergetroffen und ihm gesagt, er soll sich ins Knie ficken.

Hatten Sie damals eine stabile Beziehung zum Vater Ihrer Tochter?

Ja, wir waren seit fünf Jahren zusammen. Er ist Indianer aus einem Stamm, der sich von Wisconsin bis Ontario ausdehnt. Er hatte die doppelte Staatsbürgerschaft, ich konnte mit ihm nach Kanada, mit nichts als einem Studentenausweis. Er machte mit mir Schluss, als unsere Tochter zwei war. Er meinte, er müsse sich um den Erhalt seiner Rasse kümmern, verließ mich für eine Indianerin und lebte dann etliche Jahre mit ihr in einem kanadischen Reservat.

Sie waren da 19 und alleinerziehend. Wovon haben Sie gelebt?

Ich habe für die Gewerkschaft einer Telefongesellschaft gearbeitet – ich hab es gehasst. Kennen Sie das Sprichwort: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert“? Daran muss ich immer denken, wenn ich was über Gewerkschaften höre.

Warum denken Sie so?

Es ist eine Superidee, wie der Kommunismus. Aber es funktioniert nie. Ich bekam Magenschmerzen, wenn ich nur an die Arbeit dachte. Ich wurde gemobbt und wurde immer dünner, weil ich fast nichts mehr aß. Ich hab sechs Monate da gearbeitet und war gut darin, alles zu schaffen. Ich hab gewartet, bis Hochsaison war, dann bin ich von einem Tag auf den anderen gegangen. Das sollte ein Statement sein: Fuck you.

Und dann? Sie mussten ja sich und Ihr Kind versorgen.

Dann bin ich zu einer Anwaltskanzlei gegangen und habe für einen Insolvenzverwalter gearbeitet. Den vermutlich schlechtesten Insolvenzverwalter der Welt – eine Figur in meinem Roman ist ein wenig nach ihm geformt.

Da sind Sie aber auch nicht lange geblieben.

Ich hab mir selbst ein Portfolio zugelegt und mich bei Werbefirmen beworben. Ich hab einen Job bekommen und kleine Events organisiert. Da hab ich meinen Ehemann getroffen, der heute mein Exmann ist. Er ist Brite und arbeitete damals beim Film. Wir zogen dann nach London.

Wieder ein Neuanfang …

Ich stieg beim Onlinemarketing ein und verdiente damit gleich eine ganze Menge Geld. Ich glaube, ich gehöre heute zu den wirklich gut verdienenden Leuten in Großbritannien, gerade unterhalb der 50-Prozent-Einkommensteuer-Grenze. Das ist ziemlich klasse, wenn ich daran denke, dass ich keinen Abschluss und mit nichts begonnen habe.

Wie und warum sind Sie dann zum Kampfsport gekommen?

„So viele Optionen: Clinchen, Ringen, Kicks, Bodenkampf, Hebel, Würger. Das ist wie mein Leben“

Hier in Großbritannien. Mein Exmann war total introvertiert, er konnte nicht mit Leuten reden, überhaupt kommunizieren. Aber wenn du beim Film arbeitest, dann musst du dich selbst promoten können. Er nahm mich immer mit zu Treffen, ich musste den Small Talk für ihn erledigen. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich bin ziemlich schüchtern.

Glaub ich nicht.

Bin ich aber. Ich hab nur gelernt, es zu überwinden. Als ich auf der Straße überleben musste, wollte ich mich weder prostituieren noch stehlen, also hab ich gebettelt. Um das machen zu können, müssen Sie sehr überzeugend sein, Sie müssen Menschen einschätzen können, Sie müssen eine Verbindung herstellen können. Sie entwickeln diese Fähigkeiten, sonst überleben Sie nicht. Ich habe dann angefangen, die Kontakte für meinen Exmann herzustellen. Und er machte Fotos von Mixed-Martial-Arts-Veranstaltungen, ich schrieb die Berichte dazu.

Zu der Zeit haben Sie noch nicht selbst gekämpft?

Ich hatte angefangen, Judo und Capoeira zu trainieren, weil ich so fett geworden war. Dann brauchte eine Frau eine Gegnerin für einen Mixed-Martial-Arts-Kampf und konnte niemanden finden; da hab ich gesagt: Ich mach’s. Ich hatte fünf Wochen Zeit, um zehn Kilo abzuspecken und das Gewicht zu erreichen. Sie hat mich dann nach Strich und Faden verprügelt. Sie hat mir ins Gesicht gehauen, darauf war ich nicht vorbereitet.

Kann man sich darauf vorbereiten?

Na sicher! Deshalb macht man doch Sparring! Wenn ich mir alte Kämpfe von mir ansehe, dann dreh ich immer das Gesicht weg, wenn ich Schläge kassiere. Heute nicht mehr. Das ist sicher keine Fähigkeit, die du in deinen Lebenslauf schreibst: „Ist bereit, ins Gesicht geschlagen zu werden“, aber du kannst das lernen.

Und das wollten Sie unbedingt noch mal machen.

Ja.

Warum?

Du arbeitest Sachen ab. Eine Freundin von mir hat sich vor Kurzem meine Kämpfe angesehen und meinte: „Das ist das, was du schon immer gemacht hast. Überleben, besser werden, aus gefährlichen Situationen herauskommen. Du bist eine Kämpferin!“ Vielleicht bin ich das wirklich.

Willen und Entschlossenheit brauchen Profi-Fußball- und Basketballspieler auch.

Aber da wirst du nicht ins Gesicht gehauen.

Ja eben! Also, warum machen Sie ausgerechnet das?

Ich mochte den Körperkontakt. Im Kinderheim ist es verboten, andere anzufassen. Du hast zwei Meter Abstand um dich herum, du darfst niemanden berühren. Das ist eigentlich dazu da, Leute vor sexuellen Belästigungen oder Gewalt zu schützen. Das ist in Ordnung. Aber ich brauchte Körperkontakt.

Warum dann nicht Boxen, sondern ausgerechnet Mixed Martial Arts, was ja immer noch sehr umstritten ist?

Ich mag die vielen Möglichkeiten. Wenn du ein Boxer bist, und dein Gegner ist besser – was kannst du da machen? In meiner Sportart hast du viele Optionen: Clinchen, Ringen, Kicks, Bodenkampf, Hebel und Würger. Das ist wie mein Leben: Ich habe nie akzeptiert, dass ich nichts aus mir machen kann, nur weil ich kaum zur Schule gegangen bin.

Sie haben einen normalen Job. Wie ist es, wenn Sie am Montag nach einem Kampf gezeichnet ins Büro kommen?

Ich hab das von Anfang an als Hobby in meinen Lebenslauf geschrieben. Wenn ich mit einem blauen Auge komme, dann wissen alle Bescheid.

Stoßen Sie noch auf die Meinung, Frauen sollten überhaupt nicht kämpfen?

Solche Leute gibt es noch. Denen sage ich immer: Haben Sie mal eine Geburt gesehen? Was Brutaleres gibt es nicht. Dagegen ist es ein Klacks, sich ins Gesicht zu schlagen. In Ostlondon hatte ich eine Zeit lang Probleme, weil da etliche Muslime trainierten, die meinten, eine Frau im Gym sei gegen ihre Religion. Ich habe ihnen gesagt, dann müssen sie in die Moschee gehen, nicht ins Gym. Wenn ihr nicht in der Lage seid, mit allen zu trainieren, die da sind, dann verpisst euch.

Lassen Sie uns über das Buch sprechen. Sie haben den gesamten Roman in der Londoner U-Bahn auf Ihrem Blackberry geschrieben.

Das ist schön einfach: Man schreibt, e-mailt das an sich selbst und fügt es auf dem Computer zusammen. Ich schreib derzeit an meinem zweiten Buch auf dem Smartphone.

Das Wichtigste, um ein Buch zu verkaufen, ist, es überhaupt bekannt zu machen. Es gibt sehr viele Bücher. Ihr Buch wird mit Ihrer Person beworben, weniger mit der Story.

„Als ich auf der Straße lebte, wollte ich mich weder prostituieren noch stehlen, also hab ich gebettelt“

Ist das nicht oft so? Aber das Buch selbst ist auch interessant! Es geht um drei Leute Mitte zwanzig und wie sie mit dem Tod eines Freundes umgehen. Es geht um diesen Moment, wenn du versuchst herauszufinden, was du mit deinem Leben anstellen willst. Bist du glücklich? Solltest du was ganz anderes machen?

Ihr Leben hat so viele scharfe Wendungen genommen, aber ich erlebe Sie als unglaublich vernunftgesteuerte Person, die ihr Leben mit viel Disziplin plant und organisiert.

Man muss das machen, wenn man irgendetwas erreichen will.

Viele schaffen das nicht.

Vielleicht unterscheidet mich das von anderen? Ich finde es wichtig, einen Plan zu haben und Disziplin. Das Leben ist Chaos, Chaos ist überall. Du musst das für dich selbst ordnen und dir Regeln geben. Ich hab das gelernt, als ich obdachlos war. Wenn ich da nicht Regeln und Werte für mich selbst aufgestellt hätte, hätten die Dinge sehr schnell schiefgehen können.

Was für Regeln?

Nicht zu stehlen. Ich prostituierte mich nicht, trank keinen Alkohol, nahm keine Drogen, und ich versuchte, gut mit Leuten umzugehen. Den meisten Regeln folge ich heute noch, auch wenn ich inzwischen gern mal was trinke.

Was war die beste Entscheidung Ihres Lebens?

Die USA zu verlassen. Heute hab ich eine Krankenversicherung, einen prima Job, mache Mixed Martial Arts. Wenn ich in den USA geblieben wäre, wäre ich wahrscheinlich ungesund, übergewichtig, hätte einen Scheißjob und wäre unglücklich.

Bei Ihnen steht wieder eine große Veränderung an, Sie ziehen nach Singapur. Sie wollen Ihren Lebensgefährten heiraten und noch einmal Kinder haben.

Ich bin 35 und habe meine persönlichen Ziele im Kampfsport erreicht. Ich bin zufrieden mit meinem Leben und hab noch einiges vor: Ich will für mein neues Buch nicht wieder sieben Jahre brauchen. Ich will Sportmasseurin werden und gleichzeitig meinen gut bezahlten Job behalten, den ich auch aus Singapur machen kann. Das ist der Plan.

Frau West, was bedeutet Glück für Sie?

Kleine, einfache Momente. Ich bin einmal nachts nach Hause gegangen, unter einem wunderschönen Vollmond. Das war Glück. Neulich hab ich ein Eichhörnchen beobachtet, wie es aus einem Pappbecher Pudding essen wollte und mit dem Kopf stecken blieb. Das ist Glück. Und eine gute Umarmung, und ein voller Magen. Wenn du jemals Hunger gelitten hast, weißt du zu schätzen, wenn du zu essen hast.

Bernd Pickert, 47, ist taz-Auslandsredakteur und fasziniert von Mixed Martial Arts und Leuten, die sich dieser Form des Vollkontaktwettkampfes hingeben