Für Köln und die Nati

KARRIERE Rachel Rinast ist Deutsche und Schweizerin, Jüdin, Musikerin und Fußballerin

In Erwartung des Achtelfinales: Rachel Rinast Foto: ap

Regelrecht ausgeschimpft habe er sie, berichtet Rachel Rinast. Die Rede ist vom Spielerberater der Schweizer WM-Teilnehmerin. Dem habe sie nämlich mal beiläufig erzählt, dass sie neben der deutschen auch die schweize­rische Staatsbürgerschaft besitze. „Wieso ich nie etwas davon gesagt hätte“, habe er sie gefragt. Denn mit einer Karriere im deutschen Na­tio­nal­team war es bis dato nichts geworden für die gebürtige Bad Segebergerin.

Zwar war sie mal bei einem Sichtungslehrgang des DFB. Dort sagten ihr die Verantwortlichen, sie müsse technisch und taktisch drauflegen. Dann hatte „Ray“, wie ihre Mitspielerinnen sie rufen, auch noch Pech mit ihrer Vereinskarriere. Mit 21 wechselte sie zum Bundesligisten Bad Neuenahr. Mit dem Team aus Rheinland-Pfalz debütierte sie zwar im September 2012 in der obersten deutschen Spielklasse. Doch am Ende der Saison ging der Verein in die Insolvenz.

Rachel Rinast kehrte daraufhin in die 2. Liga zu ihrem Herzensklubs zurück – dem 1. FC Köln. In Köln studiert die 1,76 Meter große Außenbahnspielerin Sport und Deutsch auf Lehramt. Mit den Kölnerinnen hatte sie bereits zweimal knapp den Aufstieg verpasst. Doch 2015 sollte ihr Jahr werden. Kurz nach dem erwähnten Gespräch mit ihrem Berater war sie bereits von Martina Voss-Tecklenburg beobachtet worden.

Die ist Trainerin der Schweizer Nationalmannschaft und so etwas wie eine lebende Legende im deutschen Frauenfußball. Einst war sie jüngste Nationalspielerin des DFB und brachte es auf ins­gesamt 125 Einsätze im Trikot mit dem Adler. Sechsmal gewann sie die Deutsche, viermal die Europameisterschaft. Und sie ist die Trainerin, die nun erstmals die Schweiz zur einer Weltmeisterschaft führte. Zahlreiche ExpertInnen hätten sie gern als Nachfolgerin von Silvia Neid gesehen, die nach der WM ihr Amt aufgibt.

Jedenfalls musste Voss-Tecklenburg nicht lange überlegen, als sie Rachel Rinast bei ihren dynamischen Vorstößen über die linke Außenbahn sah. „Sie ist sehr athletisch und bei Leistungsdaten top“, schwärmte die Trainerin gegenüber der ARD. Bereits im März debütierte Rachel Rinast beim Algarve-Cup für die Nati. Gegen Weltklasseteams wie Brasilien, Norwegen und die USA war „Ray“ gleich voll gefordert.

Voss-Tecklenburg testete sie auf verschiedenen Positionen. Am Ende reichte es immerhin zu Platz acht von zwölf Teams. Ende April dann gab es einen großen Erfolg mit ihrem anderen rot-weißen Team zu feiern: Mit dem 1. FC Köln machte sie bereits vier Spieltage vor Saisonende die Zweitligameisterschaft und den damit verbundenen Aufstieg perfekt. Dann ging noch ein Traum in Erfüllung - die Nominierung für den WM-Kader. „Wobei ich mir diesen Traum nie erträumt hätte“, sagt Rinast, obwohl sie eigentlich von klein auf wusste, wo sie hin will.

Der Fußball war ihr immer ganz besonders wichtig. Dabei ist es durchaus nicht so, dass das Kicken ihre einzige Begabung ist. Als Kind begann sie mit dem Geigespielen, gewann später sogar beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ und bekam ein Gesangsstipendium. Das hat sie dann aber nicht wahrgenommen. „Ich wollte unbedingt Fußballspielen und an der Sporthochschule in Köln studieren. Sie habe sich dann gesagt, dass sie auch später noch Musik machen könne, während die Zeit im Leistungssport begrenzt sei. Trotzdem ließ Rinast es sich nicht nehmen, mit dem Kölner Rapper Danga das HipHop-Stück „Grau“ einzuspielen, in dem sie den Refrain singt.

Noch wichtiger als die Musik ist der jungen Frau ihre jüdische Herkunft. „Mein Vater ist Jude, und ich bin als Kind konvertiert und jüdisch aufgewachsen“, erzählt Rinast. 2013 nahm sie als Teil des deutschen Teams bei der Makkabiade in Israel teil. Sehr gern wäre sie auch bei den European Maccabi Games, die in diesem Sommer in Berlin stattfinden, dabei gewesen. Doch durch die überraschende WM-Teilnahme wurde das terminlich zu eng.

Zumal der WM-Traum noch nicht vorbei ist. In allen drei Gruppenspielen spielte Rinast 90 Minuten durch und das auf ihrer Lieblingsposition als linke Außenverteidigerin. Beim letzten Gruppenspiel gegen Kamerun verlor sie wie ihre Teamkolleginnen in der zweiten Halbzeit völlig den Faden und kassierte eine am Ende verdiente 1:2-Niederlage. Dennoch zog die Schweiz als einer der vier besten Gruppendritten ins Achtelfinale ein. Dort geht es in der Nacht auf Montag gegen Gastgeber Kanada. Vor vermutlich über 50.000 ZuschauerInnen in Vancouver ­–ein weiteres Kapitel im diesem Traumjahr der Rachel Rinast. André Anchuelo