Kommentar Flüchtlingspolitik: Fliehen Sie bitte woanders!

In Hamburg-Harvestehude darf kein Flüchtlingsheim entstehen. Das Viertel sei „besonders schützenswertes Wohngebiet“.

Das Kreiswehrersatzamt neben teurem Altbau

Das ehemalige Kreiswehrersatzamt (links) wird nun doch nicht umgebaut Foto: dpa

Dass AnwohnerInnen im Hamburger Nobelviertel Harvestehude gegen den Bau eines Flüchtlingsheims in ihrer Nachbarschaft protestieren, ist eine Sache. Hässlich genug, aber gegen Flüchtlingsheime in der Nachbarschaft wird immer und überall protestiert. Der Widerstand unterscheidet sich häufig nur in seiner Form: Während in Berlin-Marzahn auf der Baustelle randaliert wird, werfen Menschen in Brandenburg, Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt lieber Brandsätze in entstehende Gemeinschaftsunterkünfte oder kippen Benzin durch die Fenster.

Im Hamburger Reichenviertel macht man das anders. Hier zieht man dagegen vor Gericht. Die geplante Unterkunft sei mit dem geltenden Bebauungsplan nicht vereinbar, so die Argumentation. Der stammt aus dem Jahr 1955 und stuft die Gegend als „besonders schützenswertes Wohngebiet“ ein.

Ich erinnere noch mal kurz daran, worum es hier geht: um eine Unterkunft für Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, weil sie verfolgt werden oder aufgrund von Krieg oder Armut nicht länger da bleiben können, wo sie vorher gelebt haben. Also, wer ist hier besonders schützenswert?

Das Wohngebiet!, urteilte das Hamburger Oberverwaltungsgericht nun am Montag. Dort dürfe eben nur Wohnnutzung stattfinden – und eine Flüchtlingsunterkunft entspräche keiner Wohnnutzung im engeren Sinne, sondern wäre eher als „soziale Einrichtung“ zu verstehen.

Denn: Für eine Wohnnutzung sei erstens das Kriterium der Freiwilligkeit Voraussetzung und zweitens die Dauerhaftigkeit des Wohnens. Und außerdem eine „gewisse Privatsphäre“, die in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht gegeben sei. So sorry!

Und so bleiben die besonders schützenswerten Harvestehuderinnen und Harvestehuder weiterhin unter sich, frei nach dem Motto „Not in my posh backyard“. Und die Justiz liefert den Rechtsschutz für das Biotop für ganz besonders schützenswerte Weißbrote. Ich glaube, ich habe eine Glutenallergie.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

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