Zentralafrikanische Republik: UN-Geheimsache Kindesmissbrauch

Der UN-Bericht, der Vorwürfe gegen französische Soldaten erhebt, wird zum Skandal. Der Einzige, der die Schuldigen bestrafen will, ist suspendiert.

Französische Soldaten auf Patrouille auf einer Straße

Französische Soldaten auf Patrouille im 200 km von Bangui entfernten Sibut. Foto: ap

BERLIN taz | Der französische Soldat am Checkpoint Alpha 1 war „groß, jung, ein bisschen dick“, erinnert sich der Achtjährige. „Komm“, habe der Soldat ihm in der Landessprache zugerufen und ihm dann Kekse zugesteckt. Eines Abends habe der Soldat gesagt: „Lutsch erst mal meinen Schwanz.“ Also habe er das gemacht. Drei andere französische Soldaten standen daneben. Freunde des Kleinen erzählten schließlich seiner Mutter davon, und sie verprügelte ihn. Er lebt immer noch mit seinen sechs Geschwistern bei seiner Mutter, in einem Vertriebenenlager in Bangui, Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.

Die Aussage des kleinen Jungen sammelten französische Journalisten vor wenigen Wochen. Die Details waren identisch mit denen in einem unveröffentlichten UN-Untersuchungsbericht über „sexuellen Missbrauch durch Internationale Truppen in der Zentralafrikanischen Republik“. Der Bericht sorgt jetzt bis in höchste UN-Kreise hinauf für Furore – und für einen handfesten Skandal.

Denn ein hochrangiger UN-Mitarbeiter, der Schwede Anders Kompass, muss um seinen Job bangen, weil er den Bericht an die Regierung des Täterlandes Frankreich weitergegeben haben soll, statt den UN-Dienstweg einzuhalten. Aber wie die in den USA basierte Kinderschutzorganisation Aids Free World jetzt anhand internen UN-Schriftverkehrs enthüllt hat: Französische UN-Diplomaten baten Kompass um den Bericht – und andere französische UN-Diplomaten forderten dann seine Entlassung, weil er ihnen den Bericht geschickt hatte. Schlimmer noch: Die UNO sitzen seit einem Dreivierteljahr auf diesen explosiven Anschuldigungen, ohne selbst tätig zu werden oder auch nur die betroffenen Staaten zum Handeln aufzufordern.

Es war im Mai 2014, zum Höhepunkt der blutigen Pogrome und Massaker in Bangui, dass der Leiter einer lokalen Anlaufstelle für Straßenkinder der UN-Mission Minusca sagte, Kinder würden erzählen, sie erhielten von ausländischen Truppen Essen gegen Sex. Eine Mitarbeiterin der UN-Menschenrechtskommission OHCHR und ein lokaler Mitarbeiter des UN-Kinderhilfswerks Unicef führten daraufhin vom 19. Mai bis 24. Juni 2014 eine Reihe von Interviews im Vertriebenenlager M’Poko am von französischen Soldaten geschützten Flughafen von Bangui: Kinder im Alter zwischen 8 und 15 Jahren berichteten von Analverkehr und Oralsex. Insgesamt 13 Kinder beschuldigten sehr konkret 11 Soldaten aus Frankreich, drei aus dem Tschad und zwei aus Äquatorial-Guinea.

Tatenlosigkeit der Mitarbeiter

Das Land: Seit 2012 herrscht in dem riesigen dünn besiedelten Land im Herzen Afrikas Bürgerkrieg. 2013 stürzten muslimische Seleka-Rebellen den Präsidenten, 2014 wurden sie ihrerseits von antimuslimischen Anti-Balaka-Rebellen verjagt. Eine Übergangsregierung unter Präsidentin Catherine Sampa-Panza kontrolliert kaum mehr als die Hauptstadt. Anfang 2014 wurden fast alle Muslime des Landes von Milizen vertrieben oder getötet. Ein Zehntel der 4,6 Millionen Einwohner des Landes sind bis heute auf der Flucht.

UNO und Franzosen: Seit der Unabhängigkeit 1960 stehen französische Truppen im Land, meist am Flughafen der Hauptstadt Bangui. Ende 2013, als in hier heftige Kämpfe ausbrachen, startete die französische Intervention „Operation Sangaris“ zur Entwaffnung von Milizen. Dazu kamen afrikanische Eingreiftruppen. Aus Letzteren wurde 2014 die UN-Blauhelmtruppe Minusca. Die Sangaris-Truppe (1.700 Mann) blieb zur Unterstützung der Minusca (rund 10.000 Mann) stationiert.

Zentralafrikas Kinder: 42 Prozent der Landesbevölkerung sind 14 Jahre alt oder jünger, schon vor dem Krieg gingen nur zwei Drittel zur Schule. Nach Angaben von Save the Children sind 60 Prozent der Kinder von Krieg und Gewalt traumatisiert. (dj)

Bevor die OHCHR-Mitarbeiterin Bangui Mitte Juli wieder verließ, schickte sie ihren Abschlussbericht an ihre Chefs in Bangui, Genf und New York. „Bis Mitte Juli 2014“, so Aids Free World, „hatten mindestens zwölf UN-Mitarbeiter den Bericht erhalten.“ Keiner der Empfänger unternahm etwas, um die Kinder zu schützen.

Am 4. August aber rief ein französischer Polizist die OHCHR-Mitarbeiterin an und bat um ein Gespräch über die Anschuldigungen. Sie wunderte sich: Woher kannte Frankreichs Polizei den Bericht? Ihre Dienststelle habe ihn an die französische UN-Botschaft in Genf weitergeleitet, lautete die Antwort.

Der Absender des Berichts war Anders Kompass, OHCHR-Büroleiter für Feldoperationen. Der Schwede hatte ihn vom UN-Menschenrechtsbüro in Bangui bekommen und sich mit französischen Kollegen darüber unterhalten. Wie Kompass in einer Stellungnahme schreibt, bat ihn dann Frankreichs UN-Botschaft um den Bericht – „mit der Zusicherung, dass jede erhaltene Information mit höchster Vertraulichkeit behandelt und der Schutz aller Beteiligten gewährleistet“ werden würde.

Am 27. Juli landete der Bericht auf dem Tisch von Frankreichs Verteidigungsminister. Der französische UN-Botschafter Nicolas Niemtschinow bedankte sich schriftlich bei Kompass am 30. Juli. Zwei Tage später kamen französische Ermittler nach Bangui – und wollten UN-Mitarbeiter verhören. Die beriefen sich auf ihre Immunität und sagten, Fragen müssten schriftlich über den UN-Dienstweg gestellt werden.

Weiter geschah nichts. In UN-Berichten zur Situation in der Zentralafrikanischen Republik in den Folgemonaten werden Vorwürfe sexuellen Missbrauchs nicht erwähnt. Die französischen Ermittler in Bangui reisten wieder ab, ohne die Kinder angehört zu haben, nachdem ihnen französische Offiziere vor Ort versichert hatten, von Missbrauchsvorwürfen sei nichts bekannt.

Am 12. März 2015, nach Monaten des Nichtstuns, bat die UN-Menschenrechtskommission Anders Kompass, sein Amt niederzulegen. Der Grund: Kompass habe bei der Weiterleitung des Berichts die nötigen Protokolle zum Schutz von Zeugen und Informanten missachtet.

Kompass weigerte sich. Er antwortete: Die im Bericht genannten Namen der Kinder seien fiktiv, Gefährdung ausgeschlossen. Die Weiterleitung sei bekannt gewesen, damals habe man daran nichts auszusetzen gehabt.

Aus dem Büro eskortiert

Die stellvertretende UN-Menschenrechtskommissarin Flavia Pansieri, die die Rücktrittsforderung stellte, hatte den Bericht bereits am 8. August 2014 erhalten und darauf nicht reagiert. Ihr Chef, UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein, gestand, er habe lange gedacht, die Vorfälle seien in Mali geschehen, nicht in der Zentralafrikanischen Republik. Das spricht nicht dafür, dass er die Korrespondenz gelesen hat. Die höchste für Menschenrechte zuständige Abteilung der UNO hatte das Thema offensichtlich vergessen – und verlangte jetzt den Kopf ihres einzigen Mitarbeiters, der tatsächlich gehandelt hatte.

„Ich handelte einzig und allein aus dem Bestreben, den Missbrauch so schnell wie möglich zu stoppen“, schrieb Kompass in seiner Stellungnahme an seine Chefs. Die Franzosen hätten ihm schließlich zugesichert, etwas zu tun. Und er erhob einen schwerwiegenden Vorwurf: Der französische UN-Untergeneralsekretär Hervé Ladsous, Leiter der UN-Peacekeeping-Abteilung in New York, habe um Kompass’ Rücktritt gebeten. Inzwischen haben UN-Diplomaten dies gegenüber dem Nachrichtendienst Inner City Press bestätigt.

Im April schließlich nahm die UNO Ermittlungen auf – gegen Kompass, wegen unautorisierter Weitergabe eines internen UN-Dokuments. Der Schwede wurde am 13. April suspendiert und aus seinem Büro eskortiert. Er rief eine interne UN-Schiedsstelle an, die ihm mittlerweile Recht gegeben hat. Denn: Die für interne Ermittlungen zuständige UN-Behörde OIOS hatte sich für unzuständig erklärt mit dem Hinweis, sie werde von höherer Stelle unter Druck gesetzt.

Die Ermittlungen gegen den Schweden dauern an. Er ist abgetaucht.

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