Syrien-Tagebuch Folge 14: Gefährliche Islamisten freigelassen

Der in Beirut lebende Aktivist Maher Esber (36) saß von 2006 bis 2011 in der syrischen Stadt Saidnaya im Gefängnis.

Kämpfer der Al-Nusra-Front in Schisr al-Schughour

Kämpfer der Al-Nusra-Front in der Stadt Schisr al-Schughour im Norden des Landes. Foto: reuters

BEIRUT taz | Wir wussten nicht, was wirklich passierte, weil wir im Gefängnis nur die staatlichen Zeitungen zu lesen bekamen. Die erste kleine Meldung war am 17.1.2011, dass der tunesische Präsident Ben Ali nach Saudi-Arabien gegangen ist. Wir dachten, das war ein Putsch, denn kein arabischer Führer würde einfach so die Macht abgeben und weggehen. In Libyen war von einer Verschwörung die Rede, ebenso im Jemen. Nur im Zusammenhang mit Ägypten berichtete die syrische Presse über Massenproteste und Forderungen des Volkes. Ich dachte mir schon, dass sich das auf Syrien auswirken würde.

Die Stimmung im Gefängnis von Saidnaya stand mal wieder kurz vor der Explosion. Wir hatten in den Jahren zuvor mehrere Revolten organisiert, weil wir bessere Haftbedingungen wollten. Es endete jedes Mal mit einem Blutbad. Um Druck abzubauen, haben sie uns im März 2011 Radio und Fernsehen gebracht. Einen Monat später kamen wir säkulare Aktivisten und viele Kurden im Zuge einer Amnestie frei.

Die gefährlichsten Islamisten, die Takfiris (die andersdenkende Muslime zu Ungläubigen erklären), hatte das Regime schon im Februar 2011 freigelassen – vor der Revolution. Die Geheimdienste wussten, dass etwas passieren würde, und haben sich vorbereitet. Im März 2011 haben sie etwa 30 Salafisten pro Tag freigelassen, sie gehörten zu Al Qaida, Jund Al Sham oder der Fatah Al Islam. Viele dieser Leute sind nun Anführer von Brigaden, ich kenne sie aus Saidnaya.

Als Mitte März 2011 die Revolution begann, machte Assad von Anfang an radikale Gruppen für die Proteste verantwortlich. Er wollte nicht mit einem demokratischen Gegner konfrontiert sein, der Rechte beansprucht und auch nicht mit einfachen Bürgern, die legitime Forderungen stellen. Er behauptete deshalb, Syrien würde von al-Qaida und islamistischen Organisationen angegriffen. Diese Gruppen und ihre Verbindungen zum syrischen Geheimdienst kenne ich sehr gut, weil ich fünf Jahre mit ihnen zusammengelebt habe.

Die Geheimdienste haben diese Leute ausgesät wie Samen. Sie wussten genau, was daraus erwächst. Sie wollten, dass aus den Forderungen des Volkes Radikalismus, Konfessionalismus und Hass auf Minderheiten entstehen. Denn Radikalismus schafft immer einen Gegen-Radikalismus. Es hat geklappt, die Nusra-Front ist jetzt militärisch eine der stärksten Kräfte in Syrien.

Protokoll: Kristin Helberg

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