Debatte: Eine Demokratie rächt nicht

Die Hinrichtung Saddam Husseins hat die Wiederherstellung des Rechts im Irak untergraben. Ohne die Unterstützung der UNO hat die Regierung keine Chance.

Der Prozess gegen Saddam Hussein sollte die Geburtsstunde der irakischen Demokratie sein. Daran glaubte die US-amerikanische Regierung bis zuletzt. Doch daraus wurde nichts - genauso wenig wie so oft zuvor: im April 2003, als die Saddam-Statue auf dem Firdos-Platz fiel; im Dezember 2003, als Saddam Hussein von US-Soldaten aus seinem Erdlochversteck in der Nähe von Tikrit geholt wird; im Juni 2004, als die irakische Regierung offiziell die Macht von der US-Zivilverwaltung übernahm; im Januar 2005, als die ersten freie Wahlen im Irak seit 50 Jahren stattfanden; oder im Oktober 2005, als 78 Prozent der Iraker in einem Referendum die Verfassung annahmen.

Kein Datum wurde zur Geburtsstunde einer irakischen Demokratie, wie es US-Präsident George W. Bush einst prophezeit hatte. Jetzt, nach Saddam Husseins Hinrichtung, ist diese Vorstellung ohnehin Makulatur.

Im Gegensatz zur offiziellen Darstellung ist klar, dass sowohl das Verfahren gegen Saddam als auch das Urteil und die Hinrichtung nicht allein Sache der Iraker waren. Die Ermittlungen wurden vom FBI und einer Einheit des US-Justizministeriums geführt. Die Vereinigten Staaten haben nicht nur das Sondertribunal finanziell unterstützt und die Richter in einem gerade mal zweiwöchigen Crashkurs ausgebildet, sondern den Prozess ebenso nach Kräften vorangetrieben. Der Beschluss, Saddam im Morgengrauen am islamischen Opferfest Eid al-Adha hinzurichten, ist zudem bei einem Treffen von irakischen und amerikanischen Offiziellen gefällt worden. Amerikanische Militärs übergaben den Diktator erst kurz vor der Hinrichtung den irakischen Behörden und kontrollierten offiziell sogar die Zeugen vor Betreten der Exekutionskammer auf mitgebrachte Handys.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht darüber hinaus zu Recht von einem unfairen Verfahren voller Mängel, das die Wiederherstellung des Rechts im Irak untergraben habe. Weder die Richter noch die Rechtsanwälte waren hinreichend für ein derartiges Verfahren qualifiziert. Viele Dokumente wurden der Verteidigung nicht zur Verfügung gestellt. Das Gericht arbeitete nicht unabhängig. Zudem wurde die Sicherheit der Verteidigung nicht gewährleistet - das wäre aber eine grundlegende Bedingung für ein rechtsstaatliches Verfahren gewesen.

Schwerwiegender noch wiegt eine Besonderheit dieses Sondertribunals: Der Angeklagte wurde hingerichtet, bevor seine größten Verbrechen überhaupt aufgerollt waren - etwa die Anfal-Militärkampagne, bei der wahrscheinlich mehr als 180.000 Kurden ermordet wurden. Die noch anstehenden Prozesse sollen zwar weitergeführt werden. Ob es dazu kommen wird, ist aber ungewiss. Fest steht, dass eine detaillierte Aufarbeitung der Schreckensherrschaft Husseins gegenüber dem irakischen Volk in den bisherigen Prozessen nicht erfolgte und nun nach dessen Exekution geradezu unmöglich sein dürfte.

Dies wird in der arabischen Welt Kritik laut werden lassen, die USA hätten die Exekution nur forciert, um die Verfahren gegen Saddam gezielt zu beenden, da sonst die Verwicklung Amerikas in die Verbrechen Saddams ans Tageslicht gekommen wäre. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre die einst enge Kooperation der USA mit Saddams Regime angesprochen worden, ebenso wie die billigende Duldung von Massenmord oder des bewussten Verstoßes gegen Kriegs- und Völkerrecht. Unzweifelhaft ist, dass Saddam ohne Unterstützung aus Washington, Paris und Moskau kaum zu einer solch grausamen Diktatur fähig gewesen wäre.

Unabhängig von allen Verfahrensdefiziten wird die grundsätzliche Frage nach der Legitimität des Tribunals die internationale Gemeinschaft noch lange beschäftigen: Wäre nicht ein internationales Gericht - wie in Den Haag für die ehemaligen jugoslawischen Kriegsverbrechen - angemessener gewesen? Wegen der Verfahrensgerechtigkeit, der Professionalität, der internationalen Transparenz, der Objektivität sowie der Neutralität. Eindeutig. Darüber hinaus aber gleichfalls aus Gründen der menschlichen Würde. Denn wer sich die per Handykamera aufgenommen Videobilder der Exekution Saddam Husseins anschaut, für den tun sich Abgründe auf.

Die unwürdigen Vorgänge während der Hinrichtungsprozedur werden den Mythos Saddam eventuell bis zum Märtyrer steigern und die Vorwürfe weiter nähren, der Prozess sei einseitig und zudem Rachejustiz der Sieger gewesen. Im Umgang mit Saddam hätten die USA viel gewinnen können, wenn der Exdiktator ein völkerrechtlich sauberes Verfahren erhalten hätte. Die Exekution hingegen facht den irakischen Bürgerkrieg weiter an. Die staatliche Verfassung des Landes ist in den vergangenen drei Jahren in einer Form kollabiert, dass vermutlich nichts und niemand mehr es vereinen kann.

Als entscheidende und vielleicht allerletzte Chance wird sich nun für ein irakisches Nation Building die Frage erweisen, ob es überhaupt noch der gegenwärtigen irakischen Regierung gelingen kann, die Sunniten in den politischen Prozess erfolgreich einzubeziehen. Dies darf zu Recht bezweifelt werden. Dennoch wird man sich folgende Fragen stellen müssen: Wie sollen die noch ausstehenden Prozesse gegen das Saddam-Regime geführt werden? In welcher Form soll die Aufarbeitung der Vergangenheit stattfinden, damit sie auch als Grundlage eines neuen Staatsverständnis und einer Demokratisierung dienen kann? Und wie kann Versöhnung zwischen den verschiedenen Volksgruppen erreicht werden kann?

1. Zuerst einmal bedarf es einer einfachen Einsicht: Eine Demokratie straft, aber rächt nicht. Deshalb sollte man auf weitere Hinrichtungen verzichten. Dies wäre gerade in einem Land mit einer langen Tradition der Rachejustiz eine symbolträchtige Zäsur. Indem sich der Irak so hinter die grundlegende Vereinbarung der Vereinten Nationen von 1948 stellte, käme dies einer Rückkehr des Irak in die internationale Gemeinschaft gleich.

2. Wenn die irakische Regierung kein internationales Gericht will, sollte sie ähnlich dem UN-Tribunal in Kambodscha ihren unerfahrenen Richtern ausländische Richter beiordnen. So ließe sich die internationale Gemeinschaft zur Mitarbeit zwingen und die juristische Aufarbeitung der irakischen Vergangenheit könnte zu einer Erfolgsgeschichte werden.

3. Ein runder Tisch der verschiedenen religiösen Anführer sollte einberufen werden. Erst wenn sich die Politik im Irak nicht mehr an den ethnisch-religiösen Grenzen entlang organisiert, kann es zur Formierung von politischen Weltanschauungsparteien über die Interessen einer Volksgruppe hinweg kommen. Dies ist ein essentieller Bestandteil einer funktionierenden Willensbildung in Demokratien.

4. Schrittweise müsste ein Versöhnungsprogramm mit dem Ziel der Entwaffnung aller Milizen im Land aufgebaut werden. Aufgrund der Abhängigkeit der derzeitigen Regierungsparteien von ethnisch-religiösen Bewegungen und der Involviertheit der Besatzerkoalition kann dies nur glaubwürdig durch die UNO bewerkstelligt werden.

5. Die Regierung muss Verbrechen und Kriege der Vorgänger öffentlich aufarbeiten und die unbefristete Durchführung aller anstehenden Prozesse gegen Verbrechen aus der Zeit der Diktatur garantieren. Es darf dabei keine Rücksichtsnahme auf den ethnisch-religiösen Hintergrund der Opfer geben. Zudem sollte der Staat über alle ethnisch-religiösen Grenzen hinweg die Opfer zumindest symbolisch finanziell entschädigen. Nur so kann in einem mehrjährigen heilsamen Prozess das Land - ähnlich wie in Südafrika - zu Ruhe, Recht und Ordnung finden.

6. Alle Gremien des Staates bedürfen einer Quotierung gemäß den verschiedenen ethnisch-religiösen Volksgruppen. Wenn kein Proporz möglich ist, so muss zumindest eine Mindestquote die Teilhabe aller Volksgruppen sichern. Dies muss vor allem für alle Tribunale, normalen Gerichte, aber auch für alle Ministerien und Behörden, für Armee und Polizei gelten - und das natürlich in allen Teilen des Landes, auch in den Gebieten, in denen eine Volksgruppe die deutliche Mehrheit stellt.

Diese sechs Vorschläge mögen zwar keine "Meilensteine" sein, aber sie sind vielleicht ein Ansatz, um einen neuerlichen Anlauf zur Staatswerdung und Demokratisierung, aber vor allem zur Befriedung des Irak zu ermöglichen. ULRICH ARNSWALD

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