Wahlen: Flandern zieht Belgien nach rechts

Bei den Wahlen in Belgien hat Premier Verhofstadt verloren. Er zieht sich aus der Politik zurück. Die Regierungsbildung wird schwierig.

Abschied aus der Politik: Belgiens Premier Verhofstadt Bild: AP

ANTWERPEN (taz) Die belgische Parlamentswahl ist erstaunlich deutlich ausgegangen: "Flandern hat rechts gewählt", lautet die einhellige Zusammenfassung in Belgien. Liberale, Sozialisten und Grüne kommen in Flandern nur noch auf 40 Prozent. Von diesem Rechtsruck konnte der rechtsextreme Vlaams Belang jedoch kaum profitieren. Die rassistische Partei verbesserte sich nur von 17,9 auf 19 Prozent. Das ist die eigentliche Überraschung der Wahl. Gesiegt haben in Flandern stattdessen die Christdemokraten mit knapp 30 Prozent - und eine neue nationalliberale Partei, die nach ihrem Gründer Jean-Marie Dedecker einfach nur "Liste Dedecker" heißt und auf Anhieb 6,5 Prozent erreichte.

Die flämischen Christdemokraten setzten bei der Wahl auf "Sicherheit, Geborgenheit und Rechtschaffenheit" und übernahmen damit zum Teil die Agenda des Vlaams Belang, der stets auf die beiden Themen Immigration und Kriminalität gesetzt hat. Zudem versprachen die Christdemokraten noch mehr Autonomie für Flandern - auch damit wollte man den rechten Wählern entgegenkommen. Im Programm hieß es: "Die Unterschiede zwischen den Teilstaaten sind zu groß, um sie noch durch eine föderale Regierung zu beherrschen." Diesen Wunsch nach flämischer Selbstständigkeit bedient auch die "Liste Dedecker".

Die Regierungsbildung dürfte mühsam werden, denn die Wallonen haben in ihrem Landesteil völlig anders gewählt: Dort sind die Liberalen die stärkste Partei, gefolgt von den Sozialisten. Gemeinsam haben sie eine deutliche Mehrheit von 60 Prozent. Dafür kommen die Christdemokraten in Wallonien nur auf ganze 15,9 Prozent. Es gilt jedoch als ungeschriebenes Gesetz in Belgien, dass die Regierung in Brüssel auch die Mehrheit in den beiden großen Landesteilen haben muss. Zudem lehnen es alle wallonischen Parteien strikt ab, dass die Regionen noch mehr Autonomie erhalten. Der ärmere Süden fürchtet um die Unterstützung aus dem reicheren Norden.

So steht bisher nur der Verlierer fest: Der liberale Premier Guy Verhofstadt kündigte noch am Sonntagabend seinen Abschied aus der Politik an. Seine "lila Koalition" aus Liberalen und Sozialisten hat Belgien seit 1999 regiert. Bis 2003 saßen auch die Grünen im Kabinett, verfehlten dann aber in Flandern die 5-Prozent-Hürde.

Diesmal haben es die flämischen Grünen mit 6,3 Prozent zwar knapp geschafft, dennoch waren sie enttäuscht, dass sie kaum von den weltweiten Klimadiskussionen profitiert haben. Auch bei den Grünen zeigt sich die Spaltung des Landes: Ihre Schwesterpartei "Ecolo" hat in Wallonien 13 Prozent erreicht und konnte die Zahl der Abgeordneten glatt verdoppeln.

Im neuen Parlament werden knapp die Hälfte der Abgeordneten weiblich sein, denn in Belgien sind quotierte Listen vorgeschrieben. Auch die ersten beiden Plätze müssen jeweils an einen Mann und eine Frau gehen. Dennoch hatten allein die flämischen Grünen mit Vera Dua eine Frontfrau.

Der belgische Rechtsruck ist ökonomisch nicht zu erklären: Die Wirtschaft wuchs im letzten Jahr um 3 Prozent, die Arbeitslosenquote sank von 8,3 auf 7,2 Prozent. Dennoch machen die Kommentatoren eine "unterschwellige Unzufriedenheit" aus. Sie entlädt sich dann an den Urnen, weil in Belgien mit Ordnungsgeld bewehrte Wahlpflicht herrscht. Wer anderswo Nichtwähler wäre, wird so zum Protestwähler.

Diesmal haben die Unzufriedenen den Weg nicht so sehr zu Vlaams Belang, sondern zur "Liste Dedecker" gefunden. Auffallend war schon am Wahlabend, dass die flämischen Christdemokraten bereit waren, mit Jean-Marie Dedecker über eine Regierungsbeteiligung zu sprechen - ihn also nicht unter jene politische Quarantäne zu setzen, mit der die demokratischen Parteien jede Koalition mit dem rechtsextremen Vlaams Belang ausschließen.

Trotz der komplizierten Regierungsbildung: Der nächste Premier dürfte Yves Leterme heißen. Der 46-Jährige ist der Spitzenkandidat der flämischen Christdemokraten. Für die Wallonen würde sich damit eine ungeliebte Tradition fortsetzen, denn es ist schon 30 Jahre her, dass ein französischsprachiger Premier regierte.

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