Asyl: Terror im Irak kein Grund zur Flucht

Immer mehr Irakern in Deutschland wird der Status als Flüchtling aberkannt. Das UN-Flüchtlingswerk ist alarmiert.

Offensichtlich sicher: Nach Anschlag zerstörtes Hotel in Bagdad Bild: dpa

Ein freudiges Ereignis hat für Ali H. großes Unglück nach sich gezogen. Als der irakische Flüchtling beim Standesamt München die Geburt seines Sohnes meldete, reagierte das Bundesamt für Migration in Nürnberg auf seine Weise: Es widerrief H.s Asylrecht. Die Begründung: Nach dem Sturz Saddam Husseins sei von einer extremen Gefährdung nicht mehr auszugehen.

Seither lebt H. mit einem unsicheren Status in Deutschland und fürchtet sich vor einer Abschiebung. Aus der Heimat hört er Beängstigendes. Seine Angehörigen wurden kürzlich aus ihrem Heimatort vertrieben. Die Zahl der irakischen Flüchtlinge ist inzwischen auf 4,2 Millionen angestiegen, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in diesem Monat vermeldete.

Dessen ungeachtet stellt das Bundesamt für Migration die Weichen, um in Deutschland lebende Iraker zurückzuschicken. Reihenweise nimmt die Behörde Flüchtlingen, die in der Vergangenheit als Asylbewerber anerkannt wurden, ihren Schutzstatus wieder weg. 18.000 Irakern hat das Bundesamt bis Ende 2006 die Anerkennung entzogen - und sie damit, wie es die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl formuliert, "abschiebungsreif" gemacht.

Auch das UNHCR schlägt Alarm. Iraker brauchten mehr und nicht weniger Schutz, heißt es in einem jüngst veröffentlichten Bericht. Bei täglich mehr als 100 Toten im Irak könne von einem wirksamen Schutz für die Bevölkerung nicht die Rede sein. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) müssten die Veränderungen im Herkunftsland "dauerhaft und stabil" sein, bevor der Flüchtlingsstatus aberkannt werden kann. "Da sehen wir die Praxis des Bundesamts nicht im Einklang mit der GFK", sagt UNHCR-Sprecher Stefan Telöken.

Pro Asyl wirft dem Bundesamt für Migration vor, es betreibe mit den Widerrufsverfahren im großen Stil "ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm im eigenen Interesse". Der Hintergrund: Seit Jahren sinkt die Zahl der Asylbewerber - von 438.000 im Jahr 1992 auf nur noch 21.000 im vergangenen Jahr. "Da haben die Entscheider des Bundesamts Angst um ihre Stellen und suchen sich neue Aufgaben", sagt die Pro-Asyl-Mitarbeiterin Marei Pelzer. "Dabei werden gut integrierte Menschen gezielt desintegriert." Im Jahr 2000 hatte es nur 2.700 Widerrufsverfahren gegeben, drei Jahre später waren es schon 10.000 und 2004 sogar 18.000 Verfahren, nicht nur gegen Iraker. Seitdem ist die Zahl wieder etwas gesunken.

Zu den Vorwürfen sagt eine Sprecherin des Bundesamts nur, die Widerrufsverfahren seien "eine gesetzliche Pflichtaufgabe". Tatsächlich sieht das Zuwanderungsgesetz seit 2005 eine routinemäßige Überprüfung jedes anerkannten Flüchtlings nach drei Jahren vor. Dabei müssen die allermeisten damit rechnen, ihren Schutzstatus zu verlieren: bei rund 8.600 Entscheidungen, die das Bundesamt 2006 traf, blieb nur in 411 Fällen der Flüchtlingsstatus unangetastet.

Neben den Kapazitäten der Beamten und der geänderten Rechtslage sind Veränderungen in den Herkunftsländern ein dritter Grund für die Zunahme der Widerrufe. Nicht nur im Irak, auch im Kosovo hat das Regime gewechselt. Und im Unterschied zu Irakern, für die derzeit faktisch noch ein Abschiebestopp gilt, werden Kosovo-Albaner bereits ausgewiesen. Vereinzelt hat das Bundesamt auch Flüchtlingen aus Afghanistan den Schutzstatus entzogen.

Die Sprecherin des Bundesamts weist darauf hin, dass der Widerruf des Asyls nicht automatisch bedeutet, dass der Betroffene sein Aufenthaltsrecht verliert. Dafür sind die städtischen Ausländerbehörden zuständig, die auch andere Faktoren berücksichtigen: wie lange ein Mensch in Deutschland lebt, ob er hier Familie und Arbeit hat, ob es andere Schutzgründe gibt. Nach der Beobachtung von Pro Asyl verfahren die Städte sehr unterschiedlich. Auch die Gerichte urteilen nicht einheitlich.

Das Vorgehen der deutschen Behörden ist laut Pro Asyl einmalig in Europa. Wie bei Ali H., der nur die Geburt seines Kindes melden wollte, wird der Asylstatus neuerdings auch überprüft, wenn ein Flüchtling einen Antrag auf Einbürgerung oder auf Familiennachzug stellt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.