Berlusconi im Film: Horror und Folklore

Wie kommt man dem politischen Drama Berlusconi filmisch bei? Nanni Moretti hat es gewagt und einen klugen und rasanten Film gedreht: "Il Caimano"

Silvio Berlusconi (gespielt von Michele Placido, oben), umtanzt von Püppchen und Häschen, und der Regisseur Bruno (Silvio Orlando), angekriselt Bild: alamode film

Kurz bevor das Jawort sie für immer bindet, reißt Aidres aus. Sie ergreift die rote Kommunistenfahne, rammt sie ihrem Bräutigam in den Bauch, stürmt, von Schüssen verfolgt und Polizisten umzingelt, durchs Treppenhaus, und schwingt sich dann, bevor sich alle auf sie stürzen, mit wilder blonder Mähne aus dem Hochhaus, wo sie, mitten in der Luft, die Kamera für immer festhält - Aidres, die Frau, die niemand aufhalten kann. Es ist das Ende des Films. Beim Abspann zeigt sich der Titel: "Katarakte", der letzte Film des Produzenten Bruno Bonomo (Silvio Orlando), und die Hauptdarstellerin ist seine Frau, Paola (Margherita Buy), die sich im richtigen Leben gerade von ihm trennt. Sie möchte außerdem auch nichts mehr mit den Filmen von Bruno zu tun haben, und zur endgültigen Trennung fehlt nur noch, dass sie es ihren beiden Kindern sagen. So sieht es Paola; Bruno jedoch ist noch sehr weit davon entfernt.

Im neuen Film von Nanni Moretti, "Il Caimano" (der deutsche Titel hat aus dem Reptil "Der Italiener" gemacht), befindet sich Bruno in der Mitte seines Lebens und an einem Punkt, an dem sich alles auflöst. Seine Filmproduktion steht vor der Pleite, schon wird er als Filmfossil aus einer anderen Zeit behandelt, und in Filmvorführungen unterhält man sich lieber über seine letzten Misserfolge als über seinen letzten Film. Dabei war "Katarakte" doch ein Erfolg. Dennoch scheint Brunos Zeit abgelaufen.

Nur - Bruno lebt noch, und sein Herz schlägt filmisch. Die Gute-Nacht-Geschichten, die er seinen Jungs erzählt, stammen von seinen Filmen, und warum wohl weigern die sich einzuschlafen, bevor er ihnen nicht noch etwas von "Aidres, der Sklavin der Liebe" erzählt? Weil Bruno die schönsten Dinge von "Aidres" berichten kann. Was sich bei Bruno gerade auflöst, ist nicht nur das, was ihn ausmacht, es ist auch das, was er liebt. Seine Filme, die Titel wie "Die Killermokassins" oder "Die Polizistin mit den Stöckelschuhen" tragen, sind kleine Zeitreisen ins italienisches Actionkino der 70er-Jahre, sehr trashig, und in den aufwändigen Arrangements und Stunts immer eine Spur zu langsam, als würden auch die Filme dem eigenen Tempo nicht hinterherkommen, weshalb sie, unfreiwillig, sehr komisch sind. Sie haben etwas mit Bruno gemein. Der ist zwar nicht langsam, im Gegenteil, er schwimmt durch den Tag wie ein Ertrinkender, doch ohne dem Lauf der Dinge hinterherzukommen. Und wenn seine verzweifelte Lage nie richtig verzweifelt ist, dann deshalb, weil er nicht dazu kommt, verzweifelt zu sein.

Nur manchmal schaut er kurz auf, dann scheint er sich zu wundern. Es sind Momente, in denen Moretti die große Zentrifuge noch mal extra schnell drehen lässt, bis dann, im Zentrum des Sturms, die Einsamkeit des Einzelnen zu Tage tritt - und mit ihr die großen, ernsten Augen des Hauptdarstellers. Die Augen eines tragischen Helden, dem selbst das Lachen vergangen ist, der aber gerade deshalb umso mehr zum Lachen bringt.

Genau das unterscheidet ihn von einem anderen Helden, mit dem er sich bald genauer beschäftigen wird, mit Berlusconi. Dem nämlich vergeht das Lachen nie. Während einer schlaflosen Nachtstunde im Notquartier zwischen den Filmrollen blättert Bruno in einem Manuskript, das ihm eine junge Filmregisseurin in die Hand gedrückt hat. Und bald steht fest, dass er noch einmal alles in die Waagschale werfen will. Allerdings handelt es sich noch um ein Missverständnis, Bruno hat zu diesem Zeitpunkt noch nicht begriffen, dass es um Berlusconi geht; er dachte, unpolitisch, wie er ist, einfach nur an einen guten Actionfilm.

Schon stellen sich in seinem Kopf die ersten Bilder ein. Einem Unternehmer in seinem Büro öffnet sich plötzlich die Decke über dem Kopf, und Millionen, Abermillionen von Lirascheinen ergießen sich über ihm. Und während er sich daran macht, die Welt zu kaufen, geht ein Flüstern um die Welt: Wo kommt das Geld her?

An dieser Frage kreuzen sich die beiden Hauptachsen des Films, die sich ansonsten kaum direkt berühren: Brunos private Lebensellipsen und das Phänomen Berlusconi. Kaum beschließt Bruno, den Film zu machen, ist die einen Filmproduzenten stets begleitende Frage wieder da: "Und woher kommt das Geld?"

Nanni Moretti, der politisch engagierteste Filmregisseur in Italien, hat sich lange Gedanken darüber gemacht, wie man dem politischen Drama Berlusconi filmisch beikommen kann. Einen Dokumentarfilm wollte der ursprünglich aus dem Dokumentarischen kommende Regisseur zuerst schaffen, doch dann verwarf er diese Idee und entschied sich Jahre später für eine Form, in der Berlusconi sehr viel indirekter angegangen wird, nämlich innerhalb einer fiktiven Konstellation, aus der sich außerdem dokumentarische Felder eröffnen, dann zum Beispiel, wenn er den ehemaligen Ministerpräsidenten in Originalaufnahmen zeigt.

Bruno und Teresa, die das Drehbuch schrieb, nähern sich Berlusconi als Filmstoff. Beide sind sie erfahren und unerfahren zugleich. Teresa (Jasmine Trinca) besitzt als junge, aber unerfahrene Filmregisseurin einen scharfen und unbestechlichen Blick für das, was mit der Regierungszeit Berlusconis in Italien möglich wurde, was eigentlich unmöglich hätte sein sollen. Mit Bruno begibt sie sich nun auf eine Reise in die praktische Welt der Filmproduktion, eine Welt der ewigen Kompromisse, des ewigen Feilschens und hartnäckigen Dranbleibens für die mageren Reste des Realisierbaren, und, nicht zuletzt, eine Welt, in der Berlusconi nicht weit ist. Mehr als einmal muss sie von Bruno zum Weitermachen ermuntert werden.

Auch für Bruno wird es eine Reise mit heftigen Momenten der Ernüchterung. Man sieht, wie ihm die Augen aufgehen, während er sich Originalvideos über Berlusconis Auftritte im Ausland ansieht, und man glaubt zu sehen, wie er übers ganze Gesicht errötet, während Berlusconi, der gerade einem EU-Abgeordneten dazu geraten hatte, sich als SS-Mann filmisch zu betätigen, Tränen lacht. Wenn Berlusconi lacht, könnten andere weinen. Das ist, was ihn von Bruno unterscheidet.

Und noch etwas: Berlusconi hat sich für die Politik Zeit genommen, Bruno bisher noch nicht, ebenso wie die ganze italienische Bevölkerung sich bisher keine Zeit dafür genommen hat, der rennt sie doch ständig hinterher, und wenn sie zur Ruhe kommt, sieht sie nicht der Politik zu, sondern fern, und das ist dann von Berlusconi, schließlich hat seine Politik dafür gesorgt, dass es keine Politik mehr gibt. Stattdessen Häschen und Püppchen und Verblödungen aller Art. In einem langen Schwenk fährt die Kamera über endlos lange Wohnblöcke bei Nacht, und hinter all den vielen, den unendlich vielen Fenstern sitzen Menschen, die fernsehen, und alle diese Menschen füllen sich gerade mit Berlusconi an oder werden von ihm abgefüllt. Solche Momente wirken plötzlich wie in Zeitlupe, dabei ist nur die Beschleunigung leicht reduziert worden.

Man folgt Bruno und Teresa, während sich bei ihnen der Blick schärft, und man fängt selbst an, wieder hinzusehen auf etwas, von dem man eigentlich schon lange weiß. Häufig sind die Schwierigkeiten, auf die Teresa stößt, nicht die, dass etwa der Machtmissbrauch Berlusconis unbekannt oder ungewusst wäre; unangreifbar ist er gerade, weil jeder davon immer schon wusste. Ein Schauspieler, der für den Film angefragt wird, formuliert seine Absage so: "Einen Film über Berlusconi? Über den ist doch schon alles gesagt worden, und der, ders nicht gehört hat, wird es auch jetzt nicht wissen wollen."

Andere kriegen es schlicht mit der Angst zu tun, beim Filmredakteur der RAI äußert sich das so: "Warum schreiben Sie als junge Frau Ihr erstes Debüt nicht über eine persönliche Geschichte, über etwas zumindest, das Ihnen wirklich nahegeht?" Und noch ein anderes Problem wird Teresa klar gemacht: "Berlusconi ist so simpel, eigentlich zu simpel, um daraus einen Film zu machen." Einen Film über Berlusconi machen, das muss Teresa erfahren, scheint allein das einzig Unmögliche.

Es ist ein polnischer Geldgeber, der schließlich den Film finanzieren will, für ihn nämlich ist Berlusconi und mit ihm Italien eine Belustigung, eine "Mischung aus Horror und Folklore", "es versinkt, und man denkt, jetzt müsste es doch langsam versunken sein, aber nein, Italien kann immer noch tiefer sinken, wo sonst irgendwann ein Boden erreicht ist, versinkt Italien immer noch weiter".

Morettis Film ist keine Generalabrechnung, wie sich das viele erwartet hatten. Berlusconi wird nicht mit einem Schlag rhetorisch, ästhetisch oder moralisch vernichtet, eben weil er sich als giftiges Machtfluidum nicht so leicht vernichten lässt. Berlusconi ist überall. Er ist so sichtbar, dass er schon wieder unsichtbar ist und übersehen wird. Er durchwirkt alles, Institutionen, Transaktionen, Kunstaktionen - und die Menschen darin. Was Moretti gelingt, ist, diese diffuse Omnipräsenz deutlich zu machen, der Versuch, ein Stückchen hinter Berlusconi zu kommen, und sei es nur, um zu entdecken, wie unmöglich es ist, ihm zu entkommen.

Während Berlusconi selbst noch seine Verurteilung als lachenden Triumph wegsteckt, kreist Bruno in seinen aufgelösten Lebensbahnen, die nur deshalb nicht auseinanderdriften, weil dieselbe Zentrifugalkraft sie zusammenhält. Und immer dann, wenn die Beschleunigung den Gipfelpunkt erreicht hat, eröffnet sich ein seltsam stiller Raum. Es ist, darin besteht kein Zweifel, die Einsamkeit des Einzelnen. Moretti besitzt ein bemerkenswertes Gespür für die große Komik, die nicht, wie häufig bei Benigni, hochgezwirbelt und oben angekommen, sich in Luft auflöst. Moretti bleibt auch hier noch dran.

"Il Caimano" ("Der Italiener"). Regie: Nanni Moretti. Mit Silvio Orlando, Margherita Buy u. a. Italien/ Frankreich 2006, 112 Min.

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