Doch die Machos sieht man nicht

Männer machen: Die Ausstellung „Masculinities“ im Neuen Berliner Kunstverein setzt sich mit Klischees von Männlichkeit auseinander

Auch Glatze ist nicht gleich Glatze. Mal trägt sie Ohrringe, mal ist sie tätowiert oder hat Segelohren – 33 junge Skins erscheinen nacheinander auf dem Bildschirm, den Blick in die Kamera gerichtet. Weich gehen die einzelnen Gesichter ineinander über, ein bisschen wie in Michael Jacksons Video zur Multikultur-Hymne „Black or white“. Nur dass die Jungs hier eben alle weiß bleiben. Und statt zu Pop zu einem harten Techno-Loop nicken.

Jung, weiß, Glatze, die Zahl 33. Mike Sale spielt in seinem 2002 entstandenen Video „Milk“ mit den gängigen Klischees von Skinheads als dumpfen Massenornamentmenschen, die ihre Individualität dem Hordendasein geopfert haben. Doch hat er seine Darsteller nicht in Lichtenberg oder Hohenschönhausen rekrutiert, sondern vor dem ehemaligen Club Ostgut. Und mit Rechtsradikalität haben diese Techno-Skins nichts zu tun: Sie sind schwul und setzen auf Ekstase, ihre Körper entsprechen einem Schönheitsideal weit entfernt von jeglichem Rassismus.

Die Ausstellung „Masculinities“ im Neuen Berliner Kunstverein, zu der neben Mike Sale noch sieben andere Künstler eingeladen wurden, untersucht den Status von Männerbildern. Während die Auseinandersetzung um das Bild der Frau seit langem Eingang in Galerien und Museen erhalten hat, sieht es in Sachen männlicher (Selbst-)Reflexion in der Kunstgeschichte nach wie vor eher dürftig aus. Dass es sich bei der Auswahl ausschließlich um Videoarbeiten handelt, deutet schon auf den Projektionscharakter der Thematik hin. Der Titel der Ausstellung stammt von dem australischen Soziologen Robert W. Connell, der in seinem gleichnamigen Buch keinen Zweifel daran lässt, dass es sich bei „masculinities“ um gesellschaftlich konstruierte Kategorien handelt.

Da darf Hollywood als Zeichenfabrik natürlich nicht fehlen. In Bjorn Melhus’ Video „Auto Center Drive“ (2003) zieht der Filmheld Jimmy durch das sonnige Kalifornien. Jimmy ist auf der Suche nach sich selbst, aber er findet immer bloß Selbstprojektionen. Man sieht ihn als James Dean, Jim Morrison, Marilyn Monroe oder Janis Joplin, und man hört die Stimmen der toten Ikonen, wenn Jimmy vor einem Rasensprenger in Suburbia oder einer schier grenzenlosen Wüstenlandschaft posiert.

Doch Melhus’ Film führt die fabrizierten Traumwelten Hollywoods nicht einfach ad absurdum. Wenn Jimmy in campen Verkleidungen in die Rollen seiner Ikonen schlüpft, zeigt er sich als durchaus gewandter Spieler der mediatisierten Oberflächen. Denn das haben Hollywood und das Karnevaleske ja gemeinsam: Da, wo sich Schein und Sein nicht gegenüberstehen, werden auch die Identitäten und Geschlechtszuschreibungen fließend. Melhus’ Arbeit hinterfragt so den Zusammenhang von Sex und Gender, von biologisch-natürlicher Ausstattung und kultureller Zuschreibung.

Um Formen gesellschaftlicher und medialer Zuschreibung geht es auch bei einem weiteren Schwerpunkt der Ausstellung, der den Aspekt von Männlichkeit(en) und Migration behandelt. Nach 9/11 und islamistischem Terror, aber auch durch die hiesige Leitkultur-Debatte oder die Unruhen in Frankreich angeschoben, gewinnt die Frage, welche Sichtweisen auf männliche Migranten existieren, sehr an Aktualität. Die Künstlergruppe Cinema Suitcase erzählt in „Mille et un Jour“ die Odyssee des illegalen tunesischen Einwanderers Tarek, der in Paris um die Anerkennung seines Status und seiner Beziehung zu Ilhem, einer jungen Französin, kämpft.

Loulou Cherinets Film „White Women“ stellt die Frage, welches Bild das Wir der Mehrheitsgesellschaft von Migranten hat, auf den Kopf. Eine Gruppe schwarzer Asylbewerber sitzt an einem Tisch zusammen, die Kamera ist in der Mitte angebracht und dreht sich permanent um die eigene Achse. Nacheinander erzählen die Männer von ihren Erfahrungen mit weißen Frauen, reihen sich Machosprüche und Klischees ebenso wie nachdenkliche und auch traurige Liebeserzählungen aneinander.

Eine der faszinierendsten Arbeiten führt zurück in den Clubkontext. In Rommelo Yus Arbeit „Mike“ betritt man einen pechschwarzen Raum und sieht zunächst nichts als dünne, glänzende Schemen, die sich allmählich zur Figur eines muskulösen schwarzen Mannes verdichten. Seine physische Präsenz ist bedrohlich, die Zeitlupengeschwindigkeit seiner Bewegungen und die Stille im Raum steigern noch das Unheimliche der Situation. Doch dann wandelt sich die Atmosphäre. Man sieht die Augen des Mannes, und allmählich wirken seine Bewegungen nicht mehr bedrohlich, sondern fast sanft. Er wirft den Blick zurück, und plötzlich ist nicht mehr er die Projektionsfläche, sondern man selbst in seiner starren Unbeweglichkeit fühlt sich zum Objekt degradiert.

Im umfangreichen Katalog kann man dann nachlesen, dass es sich bei Mike um einen Berliner Türsteher handelt. Insofern ist er es am Ende, der Abend für Abend ganz konkret über Ausschluss oder Einlass entscheidet. Die tätowierten Ostgut-Skins dürften beim ihm keine Probleme haben. SEBASTIAN FRENZEL

Masculinities, bis 18. 12., Di.–Fr. 12–18, Sa. und So. 14–18 Uhr, NBK, Chausseestraße 128–129