Kommentar: Das Geschachere geht weiter

Die bulgarischen Krankenschwestern sind trotz Aufhebung der Todesurteile noch nicht in Sicherheit. Sie könnten ein Einsatz sein, in Gaddafi Gebuhle um Anerkennung im Westen.

Dass die fünf bulgarischen Krankenschwestern und der palästinensische Arzt nach der Entscheidung des Obersten Richterrates in Libyen nicht mehr um ihr Leben bangen müssen, ist eine gute Nachricht. Eine schlechte jedoch ist, dass das Verdikt "lebenslänglich" eine neue Runde in diesem unwürdigen Geschachere einleiten könnte.

Dabei hat sich an den Grundkoordinaten nichts geändert. Anstatt die Beschuldigten durch eine Begnadigung von dem Vorwurf, 400 Kinder vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben, zu entlasten, sollen die Krankenschwestern und der Arzt weiter im Gefängnis schmachten. Sie sind nach wie vor die Sündenböcke, die das Gaddafi-Regime vorzeigen und für seine Zwecke instrumentalisieren kann. Wie trefflich sich daraus Kapital schlagen lässt, hat die Einigung auf Entschädigungszahlungen für die Familien der Opfer deutlich gemacht.

Auch jetzt scheint Tripolis wieder am längeren Hebel zu sitzen. Denn die Gefangenen können, müssen aber nicht nach Bulgarien ausgeliefert werden. So liegt der Verdacht nahe, dass Libyen diese Möglichkeit schamlos ausnutzen wird, um hinter den Kulissen weiter zu dealen und das makabere Spiel auf dem Rücken ihrer "Geiseln" fortzusetzen.

Die Frage ist jetzt, inwieweit der Westen sich die Regeln dieses Spiels diktieren lässt. Dass ein verstärktes Engagement der anfänglich extrem zurückhaltenden Europäischen Union durchaus etwas zu bewegen vermag, haben die Entwicklungen der letzten Wochen gezeigt. Jetzt, wo das Schlimmste abgewendet ist, muss der Fall aber weiter auf der Tagesordnung bleiben.

Dabei wird es darauf ankommen, die richtige Balance zu finden. Das heißt, Tripolis entgegenzukommen und Angebote zu machen, andererseits aber, wenn nötig, auch entsprechenden Druck auszuüben. Auch wenn es zynisch klingt: die Tatsache, dass Libyens diktatorischer Staatschef Muammar al-Gaddafi wieder um Anerkennung im Westen buhlt, liefert wenigstens ein Minimum an Berechenbarkeit und könnte daher den Inhaftierten durchaus nützen. Oberstes Gebot bei allen Verhandlungen muss sein, das Leiden der Inhaftierten schnell zu beenden.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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