Glückspiel: Von der Halle in die Hölle

Spielhallen verzeichnen wachsende Umsätze. Die Schattenseite des Geschäfts: Hunderte Spieler verzocken jährlich ihr Vermögen und ruinieren ihr Leben

Seite an Seite rattern "Raptor" und "Merkur Cash Fire", blinkende Zahlenreihen ranken sich an den Gehäusen der Maschinen empor, ganz oben leuchtet der Jackpot und verspricht das schnelle Geld. Ein Mann versucht an zwei der blitzenden Kisten gleichzeitig, rote Kirschen in Reih und Glied zu bringen und den Automaten Bares zu entlocken. Wenn das Kleingeld verspielt ist, reichen ein paar Schritte zur Seite, um am Wechselautomaten große Scheine in klimpernde Münzen zu verwandeln.

Es gibt sie noch, die Spielothek: Kleine Jungs drücken sich vor abgedunkelten Scheiben die Nase platt, weil sie nicht hineindürfen. Manche Erwachsene verspielen drinnen ein Vermögen und wünschen sich, sie wären nie hineingegangen. Thomas Breitkopf dagegen verdient sein Geld mit den Automaten, er ist Vorsitzender der Automatenkaufleute Berlin und Ostdeutschland. Der 37-Jährige möchte das öffentliche Bild seiner Branche verbessern und betreibt selbst mehrere Spielhallen in Berlin und Brandenburg.

"Glückspilz" heißt eine davon, sie liegt versteckt in einem baufälligen Hinterhof in Oberschöneweide. Im Innern ist es indes blitzsauber, wie vorgeschrieben stehen nicht mehr als zwölf Automaten in dem schmalen Gewölbe. Und wie in allen privaten Spielstätten wird kein Alkohol ausgeschenkt.

Dem "Automatenverband Berlin und Ostdeutschland e. V." gehören etwa 35 Berliner Spielhallen an. Darüber hinaus gibt es knapp 150 nicht organisierte Spielstätten. Den größten Teil des Umsatzes machen jedoch Geldspielautomaten in Kneipen und Gaststätten. Im Unterschied zum "großen Spiel" in den staatlichen Casinos unterliegt das private "kleine Spiel" bundesweiten Vorschriften: Laut Spielverordnung ist der Einsatz auf 20 Cent pro Spiel beschränkt, der höchstmögliche Verlust liegt bei 80 Euro, der Maximalgewinn bei 500 Euro pro Stunde. Beratung und Gesprächsgruppen für Spielsüchtige bietet das "Café Beispiellos" in Mitte an, telefonische Anmeldung unter (0 30) 66 63 34 66.

"Das Geschäft läuft immer besser", sagt Breitkopf, ein ruhiger, hochgewachsener Mann. Mit der neuen Spielstättenverordnung von 2006 stieg der mögliche Verlust auf 80 Euro pro Stunde, der höchstmögliche Gewinn liegt nun bei 500 Euro. Zudem gelten weniger strenge Vorschriften für die Spielregeln an den Automaten. "Die Spiele sind jetzt spannender und anspruchsvoller", erklärt Breitkopf. Dadurch seien die Maschinen besser ausgelastet als zuvor. Die Rede ist dabei von Geldspielgeräten wie dem "Merkur Cash Fire", mit denen die etwa 10.000 deutschen Spielhallen den Großteil ihres Umsatzes machen.

Videospiele, die in den 80er- und 90er-Jahren noch zum Inventar jeder Spielothek gehörten, sind dagegen heute verschwunden. Playstation und Konsorten sind so leistungsfähig geworden, dass sich keiner mehr für eine Runde Autorennen aus dem Wohnzimmersessel aufschwingt. Auch die Touchscreen-Geräte, die vor einigen Jahren aufkamen, führen eher ein Schattendasein.

Sie bieten auf einem großen Bildschirm die Wahl zwischen mehreren Spielen ohne Gewinnmöglichkeit: Der Nutzer kann sein Kleingeld in Quizfragen investieren, Roulette spielen oder Kontakt zu anderen Nutzern im Raum aufnehmen. Der Unterschied zu Raptor und Co.: Selbst bei der größten Glückssträhne spucken die Geräte kein Geld aus.

Doch genau darum geht es den meisten Zockern, sie wollen den Maschinen Bargeld entlocken. Auf den ersten Blick ist das ganz einfach: Wird der Automat mit 20 Cent gefüttert, fangen drei Walzen an zu rotieren. Der Spieler hofft, dass schließlich eine Reihe aus Glocken, Kirschen oder anderen Früchten stehen bleibt und ihm zum Jackpot verhilft. Beim "Raptor" beträgt der schon mal 823 Euro, die aber nur langsam ausgezahlt werden - mehr als den gesetzlich erlaubten Höchstgewinn darf die Maschine pro Stunde nicht ausspucken.

Routinierte Zocker kennen die Bedeutung der zusätzlichen Knöpfe an den Maschinen und versuchen so, schneller an Bargeld zu kommen: Eine Risikotaste erhöht Gewinne und Verluste, durch ein kompliziertes System werden erspielte Punkte in Euromünzen umgewandelt. "Bei den neuesten Geräten blicke ich auch nicht so ganz durch", gibt Breitkopf zu. Die Spieler würden die Regeln aber schnell verstehen und einander erklären.

Manche kennen sich so gut aus, dass ihnen ein Automat allein nicht reicht. Sie wollen die Jackpots von mehreren Geräten gleichzeitig knacken, stundenlang sitzen manche vor den Maschinen.

Von da ist es nicht mehr weit in die Spielsucht, den finanziellen Ruin und zu Andreas Koch. Der Psychologe leitet das Café Beispiellos in Mitte, eine Beratungsstelle für Glücksspielsüchtige. "Jährlich kommen etwa 300 Betroffene zu uns", sagt der 41-Jährige. Die meisten würden erst nach etwa zehn Jahren feststellen, dass das Spiel für sie zur Sucht geworden sei. Einfach aufhören könnten sie dann nicht mehr, die Krankheit gehe mit Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüchen und Schlafstörungen einher. "Manche haben Schulden in Millionenhöhe", erklärt Koch.

Zwei von fünf Süchtigen würden ihr Geld an Automaten in Spielhallen, Kneipen oder Imbissbuden verzocken, die anderen verteilten sich auf staatliche Casinos, Sportwetten und illegale Glücksspiele, erklärt Koch. Die meisten seien männlich und um die 35 Jahre alt. "Zu uns kommen aber auch Minderjährige oder Rentner, die die Ersparnisse eines ganzen Lebens verspielt haben", sagt der Psychologe. "Oft sprechen die Süchtigen in den Gesprächsgruppen zum ersten Mal offen über ihre Krankheit", sagt Koch. Ein Patentrezept gebe es aber nicht. "Der Königsweg ist völlige Abstinenz", erklärt Koch. Die Spieler müssten begreifen, dass die Sucht sie das ganze Leben begleiten wird.

Gefordert sei auch der Gesetzgeber, der das Geschäft mit den Automaten stärker regulieren solle. "Das Tempo der Spiele ist zu hoch: Das erhöht den Reiz, immer mehr Geld einzuwerfen", kritisiert Koch. Außerdem dürften die Jackpots nicht so viel Geld enthalten, und das Mindestalter für Geldspiele sollte auf 21 erhöht werden.

Lobbyist Breitkopf weist derartige Kritik zurück: "In meinen Spielhallen kenne ich keine Fälle von Spielsucht. Nach der neuen Spielverordnung sind Riesenverluste überhaupt nicht mehr möglich." Gerade weil die neuen Spiele anspruchsvoller geworden seien, könnten die Zocker nicht mehr gleichzeitig mehrere Automaten bedienen.

Nachmittags im "Glückspilz" sieht es tatsächlich nicht danach aus, als würden sich dort Menschen um Haus und Hof bringen. In dicken Bürosesseln hängen ein paar Männer ab, rauchen und werfen gelegentlich eine Münze in einen "Baba Jaga" oder versuchen ihr Glück beim "Wild Water".

Natürlich gebe es verantwortungslose Betreiber, die ihre Kunden in den Ruin trieben - aber nur außerhalb seines Verbandes, dem 40 der etwa 250 Berliner Spielhallen angehören. "Besonders gefährlich sind die so genannten Fun-Games, die trotz des Verbots immer noch aufgestellt werden", meint Breitkopf.

Weil die Spieler an diesen Automaten keine Euros, sondern nur Plastikchips gewinnen könnten, lägen Einsätze und mögliche Gewinne dort höher. Manche Betreiber würden die Chips jedoch in Bargeld umtauschen. Deswegen seien die Geräte seit 2006 verboten. "Weil es praktisch keine Kontrollen gibt, machen viele Imbissbudenbesitzer mit den Fun-Games das schnelle Geld", klagt der Verbandschef über die illegale Konkurrenz. Er arbeite mit der Polizei zusammen, damit die Fun-Games vom Markt verschwänden. Für die eigenen Kunden lägen in seinen Spielotheken Info-Blätter aus, die vor den Risiken des Glücksspiels warnten. "Der Spielerschutz ist uns wichtig", beteuert Breitkopf.

Am anderen Ende von Berlin hat Herr Walter das Gegenteil erlebt. "Die Betreiber tun alles, um ihre Stammkunden vor den Automaten zu halten. Wenn ich pleite war, hat mir die Betreiberin sogar Bargeld gegeben, damit ich weiterspiele und mit dem nächsten Lohn wiederkomme", sagt der 34-jährige Spielsüchtige, der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. In einer Spielothek am Kurfürstendamm verzockte er innerhalb von drei Jahren 40.000 Euro, er hat aufgehört und wieder angefangen, nahm Schulden auf, um die Sucht zu finanzieren. Als er sich in seiner Stamm-Spielhalle sperren lassen wollte, habe ihm die Wirtin gesagt, das sei nicht ihr Problem.

Ganz langsam habe die Sucht Walters Leben übernommen. Am Anfang sei er nur aus Langeweile in die Spielothek gekommen, er habe keine Hobbys und nur wenige Freunde gehabt. "Einmal gewann ich 800 Euro, von da an konnte ich nicht mehr aufhören", sagt Walter. "In der schlimmsten Phase saß ich zehn Stunden ununterbrochen in der Spielhalle, manchmal habe ich 1.000 Euro am Tag verspielt. Es war wie ein Rausch, ich vergaß zu essen und zu trinken, abends im Bett ging mir die Musik der Automaten nicht mehr aus dem Kopf", erzählt der Spielsüchtige. Bis zu fünf Automaten bediente er gleichzeitig, das Leben außerhalb der blinkenden Welt der Jackpots verlor an Bedeutung. Zwei Frauen verließen ihn wegen seiner Spielsucht.

Seit einem Jahr hat Walter nun keinen Fuß mehr in eine Spielhalle mehr gesetzt. Er besucht eine Selbsthilfegruppe, nimmt Klavierunterricht und ist einer Kirchengemeinde beigetreten. Zur Sicherheit verwaltet sein Vater das Konto und überprüft seine Ausgaben.

Walter glaubt indes nicht, dass strengere Vorschriften für die Betreiber die Sucht eindämmen können. "Da gibt es immer Lücken. Viel wichtiger ist es, vorzubeugen und Aufklärungsarbeit zu leisten", meint der ehemals Spielsüchtige. Wenn es schon zu spät sei, dürfe man sich nicht selbst belügen. "Man muss sich beobachten und akzeptieren, dass man süchtig ist." Nur so könne man die Krankheit überwinden.

Kürzlich kam Walter an seiner alten Stamm-Spielhalle vorbei. "Jetzt habe ich mich ja im Griff", dachte er, "ein paar Spiele kann ich machen." Dann hat er es sich anders überlegt, stieg auf sein Motorrad und fuhr weiter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.