Bahn: Die Bahn wird verscherbelt

Das Bundeskabinett beschloss gestern das Gesetz zum Teilverkauf der Deutschen Bahn AG. Wer ist dafür? Wer dagegen? Und wer zahlt drauf? Die taz beantwortet die Fragen zur Bahnreform

Züge im Münchner Hauptbahnhof Bild: reuters

Wem nützt das Gesetz zur Teilprivatisierung der Bahn?

Das Bundeskabinett hat am Dienstag in einen Gesetzentwurf von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee zur Privatisierung der Deutschen Bahn beschlossen. Das Votum der Ministerrunde unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel fiel einstimmig, wie es in Regierungskreisen hieß.

Bundestag und Bundesrat müssen dem Gesetz zustimmen.

Laut dem Gesetzentwurf sollen das Schienennetz, Bahnhöfe und Energieleistungen zunächst 15 Jahre im Eigentum des Bundes bleiben. Die Bahn darf es in dieser Zeit jedoch wirtschaftlich nutzen.

Fällt der Bund nach Ablauf der 15 Jahre keinen weitergehenden Beschluss, geht das der Bahn übertragene wirtschaftliche Eigentum nach drei weiteren Jahren an ihn zurück. Die Bahn bekäme einen Wertausgleich. Für die vereinbarten 15 Jahre sind ihr bis zu 2,5 Milliarden Euro Bundeshilfen für die Erhaltung des Netzes jährlich sicher.

Vor allem Bahnchef Hartmut Mehdorn und den potenziellen Investoren. Die Bahn behält für 15 Jahre die Macht über das Schienennetz, bekommt Milliarden Zuschüsse für den Erhalt und nochmals mehrere Milliarden vom Bund, falls er sich nach den 15 Jahren wieder die Kontrolle über das Netz zurückholen will. Offiziell bleibt zwar der Bund die ganze Zeit juristischer Eigentümer. Wirtschaftlich liegen die Schienen aber für mindestens 15 Jahre in der Hand der Deutschen Bahn AG, was den Privatisierungserlös erhöhen könnte. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee rechnet zwar damit, dass durch das neue Kapital der Privatwirtschaft Schulden der Bahn abgebaut und neue Züge gekauft werden können, was auch dem Kunden dient. Sicher ist das aber nicht. Denn den zukünftigen Profit, an dem die Investoren interessiert sind, bringen der Bahn die teuer zugekauften Speditionen. Kaum anzunehmen, dass dieser Kurs in Zukunft geändert wird.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Der Teilverkauf der Bahn soll der Schlusspunkt der Bahnreform sein, die der Bundestag 1993 beschlossen hat. Das Problem damals: Die damalige Bundesbahn hatte in den vorangegangenen Jahrzehnten Marktanteile an den Autoverkehr verloren. Wurden in den 20er-Jahren noch 70 Prozent aller Güter mit der Bahn transportiert, waren es Anfang der 90er nur noch 20 Prozent. Hinzu kamen die maroden Gleise und veralteten Züge der Deutschen Reichsbahn nach der Wiedervereinigung. Der Schuldenstand lag bei über 30 Milliarden Euro, Experten rechneten mit einem Anstieg der Schulden bis 2003 auf 195 Milliarden Euro. Wie schon bei Telekom, Post und Lufthansa suchte der Bund nun sein Heil in der Privatisierung. Aus der Bundesbahn wurde 1994 die Deutsche Bahn AG. Unter dieser Prämisse konnte die Zahl der Mitarbeiter halbiert werden, aus Beamten wurden Angestellte und der Unternehmensgewinn zur entscheidenden Größe. Bei aller Kritik: Die Bahn ist zumindest operativ mittlerweile in den schwarzen Zahlen, der Schuldenstand sinkt langsam, aber sicher. Erkauft wurde dieser Erfolg aber auch mit der Stilllegung von 5.700 Streckenkilometern und 500 Bahnhöfen sowie einem immensen Druck auf die verbliebenen Mitarbeiter.

Kann ich jetzt bald Bahn-Aktien kaufen?

Wohl kaum. Denn mit dem Börsengang der Telekom oder der Lufthansa ist die Bahn-Privatisierung nicht zu vergleichen. So ist noch gar nicht klar, ob die Bahn-Aktien wirklich an irgendeiner Börse frei gehandelt werden. Erwartet wird zumindest für den ersten Privatisierungsschritt ein Direktverkauf von Anteilen an Investoren. Bedient wird also das Großkapital und nicht der Kleinanleger. 25 Prozent an der DB AG sollen so über den Tisch gehen, maximal werden 49 Prozent verkauft, mehr lässt das Grundgesetz nicht zu. Ob Kleinanleger in einem der nächsten Schritte zum Zuge kommen oder die Geschäfte weiterhin mit einem kleinen Kreis von Interessenten gemacht werden, ist offen. Der Gesetzentwurf lässt beide Varianten zu.

Wenn nicht ich die Bahn kaufen kann, wer kommt dann als Investor zum Zuge?

Darüber wird bislang nur spekuliert, selbst der Name Gazprom fällt immer wieder unter Insidern. Klar ist aber, dass sich weltweit aktive Investoren diesen Festtagsbraten nicht entgehen lassen. Zu den potenziellen in- und ausländischen Bahn-Käufern gehören große Private-Equity-Finanzinvestoren und Hedge-Fonds. Aber auch Unternehmen aus Russland, China und den Ölstaaten sind ernst zu nehmende Kandidaten. Die chinesische MTR Corporation ist etwa bereits an der teilprivatisierten Londoner U-Bahn beteiligt. Ihre Renditeerwartungen dürften ein Vielfaches der bisherigen DB-Gewinnmargen betragen. Da im Zuge der Globalisierung insbesondere der Güterverkehr per Schiene weltweit boomen wird, herrscht unter Investoren weltweit ein wahres Bahnfieber. US-Börsengurus wie Warren Buffet und Carl Icahn haben in den letzten Monaten mehrere Milliarden US-Dollar in Eisenbahnaktien gesteckt. Für sie dürfte auch die Bahn AG interessant sein: Für einen Schleuderpreis können sie die Hälfte der Bahnaktien erwerben und mit wenig Risiko ordentliche Gewinne kassieren. Denn die staatlichen Zuschüsse in Höhe von rund 100 Milliarden Euro (inklusive Zuschüsse für den Nahverkehr) sind garantiert.

Was macht die Bahn so wertvoll?

Noch sitzt die Bahn zwar auf einem Schuldenberg in Höhe von rund 20 Milliarden Euro - obwohl sie zu Beginn der Reform komplett entschuldet wurde. Doch das muss den Investoren keine Sorgen machen. Denn die DB AG ist reich an Immobilien und Sachanlagen. Nach offiziellen Zahlen des Bundesverkehrsministeriums lag das Bruttoanlagevermögen der Bahn AG im Jahr 2005 bei 181,4 Milliarden Euro. Davon sind die 34.000 Kilometer Schienennetz allein 126 Milliarden Euro wert. Gleichzeitig ist die Bahn AG größter Grundeigentümer Deutschlands mit attraktiven Grundstücken in zentraler Lage rund um die Großstadtbahnhöfe. Vielen Anlegern dürfte es vor allem um diesen Immobilienschatz gehen. Diese gewaltigen, zum großen Teil aus Steuermitteln finanzierten Werte bekommen Investoren zu einem günstigen Preis. Denn die Bundesregierung beziffert den Wert der Bahn auf nur 20 Milliarden Euro.

Wird da nicht Volksvermögen verscherbelt?

Ohne Frage, denn schließlich wurde das Eisenbahnsystem über 170 Jahre von der gesamten Gesellschaft finanziert. Entsprechend groß ist auch die Schar der Gesetzesgegner: Sie reicht von Umwelt- und Verkehrsverbänden, den Oppositionsfraktionen im Bundestag, den Städten und Gemeinden bis hin zu den Gewerkschaften, so lehnen die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und der Gewerkschaftsdachverband DGB die Privatisierung ab. Nur eine Gewerkschaft, ausgerechnet die Bahngewerkschaft Transnet, ist für den Teilverkauf. Kritiker werfen ihr vor, den relativ hohen Tarifabschluss, den sie jüngst erzielte, nur ihrer zahmen Haltung zur Privatisierung zu verdanken. Die Lokführergewerkschaft, die demnächst streiken will, sieht die Privatisierung skeptisch. Auch in den Regierungsparteien gibt es Kritik: So lehnen SPD-Landesverbände den Teilverkauf ab. Der Juso-Chef und SPD-Linke Björn Böhning ist ebenso skeptisch wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer und Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti. Auch der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion des Bundestages, Hans-Peter Friedrich, sieht Nachbesserungsbedarf.

Was bemängeln die Gegner sonst noch?

Manchem Kritiker - etwa dem hessischen Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) - geht es um den Wettbewerb auf der Schiene, den sie durch diese Privatisierung gefährdet sehen. Denn schließlich müssen Konkurrenten der Bahn weiterhin ihre Trassen bei der DB AG mieten. Viele Gegner warnen aber noch vor weiteren Folgen: dass der Staat Bahn- und Verkehrspolitik nicht mehr gestalten kann, dass die Bahn das Angebot in der Fläche weiter ausdünnt und die Fahrpreise erhöht, dass Stellen weiter abgebaut und Löhne gedrückt werden, wie dies in anderen privatisierten Unternehmen - etwa der Telekom - geschah.

Können die Gegner den Verkauf noch stoppen?

Beschlossen ist die Teilprivatisierung erst, wenn das entsprechende Gesetz Bundestag und Bundesrat passiert hat. Die außerparlamentarischen Gegner hoffen nun, mit ihren Argumenten und Protesten die - letztlich entscheidenden - Abgeordneten der großen Koalition noch umzustimmen. Andere umstrittene Gesetzesvorhaben haben aber gezeigt: Von ein paar Abweichlern abgesehen, die keinem wehtaten, hat zumeist die Fraktionsdisziplin gesiegt - und damit der Wunsch der Abgeordneten, die eigene Parlamentskarriere nicht zu gefährden. Wirklichen Widerstand können die Gegner am ehesten noch von den sechs privatisierungskritischen Bundesländern - darunter so bevölkerungs- und damit stimmstarke wie Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Hessen - erwarten, die allerdings unterschiedliche Punkte bemängeln. So fordert Hessen die Trennung von Netz und Verkehr, um mehr Wettbewerb auf der Schiene zu gewährleisten. Brandenburg hingegen sieht durch den Verkauf die Mobilität als staatliche Daseinsvorsorge gefährdet.

Wenn die Gegner sich nicht durchsetzen, werden dann die Tickets teurer? Fahren weniger Züge?

Die Befürchtungen sind durchaus berechtigt. Private Miteigentümer der Bahn haben vor allem ein Interesse: eine möglichst hohe Rendite. Um die zu erzielen, reicht es nicht, die lukrativen Bahnimmobilien in den Innenstädten zu verwerten. Künftig wird die Bahn noch stärker versuchen, aus dem normalen Betrieb mehr Geld zu ziehen. Fahrpreiserhöhungen waren schon bislang ein willkommenes Mittel, sie werden es auch künftig sein - wenn sie am Markt durchsetzbar sind. Auch die Abschaffung der beliebten Interregio-Züge zu Gunsten der teureren ICEs zeigte, wohin die Reise gehen kann. Bedient werden nur noch lukrative Strecken zu verkehrsstarken Zeiten zwischen den großen Städten - wer zu anderen Tageszeiten oder in die Provinz unterwegs ist, muss sehen, wo er oder sie bleibt. Seit der Bahnreform 1994 seien jährlich 500 Kilometer Schienenstrecke stillgelegt worden, kritisiert der Trierer Verkehrsforscher Heiner Monheim.

Wie geht es nach dem Kabinettsbeschluss vom Dienstag weiter?

Nach der Billigung des Gesetzentwurfes durch das Bundeskabinett geht es nun erst einmal in die parlamentarische Sommerpause. Im August soll eine Sondertagung der Verkehrsministerkonferenz der Länder über die Bahnprivatisierung beraten. Im Herbst soll dann das Gesetzgebungsverfahren - sowohl Koalitionsabgeordnete als auch Bundesländer sehen noch Nachbesserungsbedarf - in die entscheidende Phase gehen. Bereits Ende kommenden Jahres will die Bundesregierung die ersten Anteile an der Bahn versilbern.

STEPHAN KOSCH, RICHARD ROTHER UND TARIK AHMIA

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.