Diabetes: Ein Leben ohne Insulinspritze

Mit Der Transplantation von Insulin produzierenden Zellen könnte vielen Diabetikern die Spritze erspart bleiben. Noch scheitern die Mediziner an Abwehrreaktionen des Immunsystems.

Die tägliche Injektion - Noch kann die Zelltransplantation sie nicht ersetzen Bild: dpa

Seit Wochen litt Marvin unter einem unstillbaren Durst. Er war allgegenwärtig da und Marvin trank sehr viel. Außerdem verspürte er ständig einen Heißhunger auf Süßes: Schokolade, Bonbons, Kuchen und anderes. Zunächst machte sich Marvin über all diese Dinge noch keine Sorgen. Schließlich hatte er nicht zugenommen - obwohl er sehr viele Süßigkeiten aß. Erst als es ihm bei einem Fußballspiel so schwindlig wurde, dass er fast umkippte, ging Marvin zum Arzt. Dort stellte dieser die Diagnose: Diabetes mellitus, Typ 1.

Diese Diagnose war ein Schock für Marvin. Er musste erfahren, dass die Langerhansschen Inselzellen in seiner Bauchspeicheldrüse nicht richtig funktionierten. Normalerweise schütten sie ein lebenswichtiges Hormon aus, das Insulin. Es bewirkt, dass die Körperzellen Glucose aus dem Blut aufnehmen. Beim Diabetes sterben die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse ab. Während sie beim Typ-1-Diabetes mellitus durch körpereigene Zellen vernichtet werden, ist die Ursache des Zelluntergangs beim Typ-2-Diabetes noch nicht vollständig geklärt.

Lange war man davon überzeugt, dass eine Resistenz des Körpers gegenüber dem Insulin zum Typ-2-Diabetes führen würde. Doch dann zeigte sich, dass die Insulin produzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse im Laufe der Zeit immer schneller absterben.

Marvin musste sich Insulin spritzen. Er hielt sich konsequent an das, was man ihm empfohlen hatte: viel körperliche Bewegung, Nahrungszufuhr und Insulingabe genau aufeinander abstimmen. Doch seine Blutzuckertests zeigten ihm, dass es nicht gelang, stets einen normalen Zuckerspiegel im Blut zu haben. Offenbar bedeutete häufiges Insulinspritzen nicht, gesund zu sein - ein Problem, das nahezu alle Diabetiker betrifft.

Trotz Insulingabe schwankt ihr Blutzuckerspiegel stärker als bei Gesunden, dadurch entstehen häufig Gefäßschäden. Dies hat zur Folge, dass viele Organe nicht mehr ausreichend durchblutet werden. Diabetiker können erblinden, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall bekommen oder ihre Nerven werden geschädigt.

Offenbar kann die herkömmliche Insulinbehandlung nicht so exakt wie eine gesunde Bauchspeicheldrüse auf jede kleine Blutzuckerschwankung reagieren. Ideal wäre es, den Blutzuckerspiegel von Anfang an und ohne Unterbrechung im normalen Bereich halten zu können. Dies ist möglich, wenn man dem Patienten gesunde Langerhans-Inseln einpflanzt, die auf jede kleinste Schwankung des inneren Milieus reagieren. Obwohl dies schwierig durchzuführen ist, gibt es mittlerweile mehrere Verfahren.

Zumeist bringen die Ärzte die Inselzellen eines Spenders in den Gefäßbaum ein, in den die Pfortader sich in der Leber verästelt. In deren feinen Verzweigungen in der Leber setzen die Zellen sich fest, registrieren den Blutzuckergehalt und schütten bei Bedarf Insulin aus. Mit jeweils 800.000 Inseln kommen die meisten der Behandelten tatsächlich eine Zeit lang ohne zusätzliches Insulin aus. Allerdings normalisiert sich der Blutzuckerspiegel zumeist nicht vollständig und die Hormonproduktion nimmt innerhalb von drei Jahren wieder ab.

Hauptproblem ist, dass der Körper das fremde Spendergewebe abstößt. Zwar lässt sich dies durch so genannte Immunsuppressiva medikamentös unterdrücken. Sie können jedoch zu starken Nebenwirkungen führen - wie ein erhöhtes Risiko, an Infektionen oder Krebs zu erkranken oder Nierenschädigungen zu bekommen. Zurzeit wird daher eine Transplantation nur dann empfohlen, wenn ein Diabetiker durch wiederholte und gefährliche Unterzuckerungszustände bedroht ist. Zudem kommt die Inselzelltransplantation auch bei Patienten infrage, die bereits mit einer Spenderniere leben, da dann ohnehin immunsuppressive Medikamente eingenommen werden müssen.

Könnte man die Abwehr überlisten, ohne dem Körper zu schaden, wäre die Inselzelltransplantation die Methode der Wahl. Diese Form der Therapie könnte den Zuckerspiegel des Diabetikers vollständig normalisieren und ihn vor den schlimmen Spätfolgen bewahren.

Ein aussichtsreicher Ansatz liegt in neuen Substanzen: Inkretinmimetika sind Stoffe, die körpereigene Darmhormone nachahmen. Sie hemmen den Untergang der Inselzellen und fördern gleichzeitig die Vermehrung gesunder Zellen, wobei die Nebenwirkungen nur gering sind. Ein Forscherteam um Robert A. Ritzel vom Universitätsklinikum Heidelberg untersucht zurzeit, ob Inkretinmimetika zu besseren Ergebnissen bei der Transplantation führen. "Wir wollen den Untergang der Langerhans-Inseln verhindern", erklärte Ritzel. "Denn das ist eine der Hauptursachen für die Funktionsabnahme des Transplantats."

Zugleich wirken Inkretinmimetika auch auf den Zuckerstoffwechsel. Exenatide wurde bereits zur Therapie des Typ-2-Diabetes zugelassen. Es ist die synthetische Form von Exendin-4, das im Speichel einer nordamerikanischen Krustenechse vorkommt. Die Echse hat sich an eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme angepasst. Sie nimmt nur wenige Male im Jahr Nahrung auf und schaltet ihre Bauchspeicheldrüse den Rest der Zeit aus. Steht eine Mahlzeit an, so stimuliert Exendin-4 bei der Echse bedarfsgerecht die Funktion der Bauchspeicheldrüse. Exenatide wirkt in gleicher Weise wie Exendin.

Eine andere Möglichkeit, das Transplantat vor der aggressiven Immunabwehr zu bewahren, könnte eine Art Schutzwall sein. Hierzu umhüllt man die übertragenen Inseln durch Membranen mit sehr feinen Poren. Diese halbdurchlässigen Häute dürfen nur für kleine Moleküle passierbar sein: Zucker aus dem Blut muss hineinkommen können, damit er die Inselzellen zur Insulinproduktion anregt. Auch soll das Insulin in den Blutstrom gelangen. Die wesentlich größeren zerstörerischen Immunzellen müssen abgehalten werden.

Einige Forscherteams betteten die Inseln in eine viskose Masse aus Alginat ein. Sie wird aus Tang gewonnen und geliert bei Zusatz von Calcium. Die Tröpfchen wurden noch mit einem Kunststoff umhüllt und in die Bauchhöhle eingepflanzt. Zunächst bewährte sich diese Technik: Die Blutzuckerwerte waren vorübergehend normal, und eine Abstoßungsreaktion fand nicht statt. "Mit der Zeit kann der Kunststoff allerdings Bindegewebswucherungen um die Kapsel herum auslösen, so dass die eingeschlossenen Zellen keine Nährstoffe mehr erhielten", sagte Ritzel.

Zudem gibt es ein weiteres Problem: Mehrere hunderttausend Kunststoffkügelchen in einer Bauchhöhle sind nicht zumutbar. Ein Forscherteam um Paul Eston Lacy, Washington University School of Medicine St. Louis, Missouri, verteilte die Inseln daher zunächst in gelierendem Alginat, schloss sie in Hohlfasern aus Acrylharz ein und pflanzte sie diabetischen Mäusen in die Bauchhöhle oder unter die Haut. Die Mikrosysteme funktionierten während der gesamten Dauer des Versuchs - ungefähr ein Jahr lang. Das Immunsystem akzeptierte die übertragenen Inseln, und es bildete sich kaum Bindegewebe. Eine Schwierigkeit aber blieb: die Masse an Zellen, die für ausreichende Insulinmengen nötig ist. Obwohl die Langerhans-Inseln sich in Hohlfasern dichter packen lassen als in kugeligen Kapseln, wären davon immerhin mehrere Meter erforderlich.

Zurzeit ist noch nicht bekannt, ob die Verkapselungstechnik erfolgreich sein wird. "Es gibt viele Ansätze, aber bisher keinen, der überzeugend funktioniert", erklärte Ritzel. Und auch Marvin weiß, dass er dem Insulinspritzen momentan noch nicht entgehen kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.