Aids-Medikamente: "Das Urteil wird Millionen retten"

Patienten in Entwicklungsländern bekommen einen einfacheren Zugang zu günstigen Medikamenten. Das gilt auch für die teuren Medikamente für HIV-Patienten.

Wollte alles: der schweizer Pharmakonzern Novartis Bild: ap

BERLIN taz Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen reagierten am Montag euphorisch auf die Entscheidung des indischen Gerichts gegen Novartis. "Wir sind sehr froh", sagte Corinna Heineke von Oxfam Deutschland der taz. "Das Gerichtsurteil ist ein Sieg für die öffentliche Gesundheitsfürsorge in Entwicklungsländern." Auch die Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und Medico International begrüßten den Richterspruch als Sieg für Patienten in ärmeren Ländern. "Das Urteil wird Millionen Menschenleben retten, die sich teure Medikamente nicht leisten können", sagte Katja Maurer von Medico International.

Tatsächlich ist es nicht nur für Indien, sondern für alle ärmeren Länder ein Durchbruch, dass Novartis mit seiner Klage gegen das indische Patentrecht gescheitert ist. Der Konzern wollte gerichtlich einen Passus des Patentrechtes kippen, wonach Medikamente, die lediglich eine geringfügige Weiterentwicklung sind, nicht patentierbar sind. Mit dieser Regelung schob die indische Regierung vor zwei Jahren einer beliebten Masche der Pharmakonzerne einen Riegel vor: Denn gut zwei Drittel aller "neuen" Medikamente sind lediglich veränderte Mixturen bekannter Medikamente. Unternehmen, die ein Patent zugesprochen bekommen, besitzen 20 Jahre lang das Monopol für die Vermarktung ihrer Erfindung und damit auch für die Preisfestlegung. Das hat fatale Wirkungen gerade für Entwicklungsländer: Die Medikamentenversorgung von Millionen Menschen ist gefährdet, wenn chemisch identische Kopien von Markenmedikamenten patentiert werden und damit den Marktzugang für günstige Nachahmerarzneien verstopfen.

Indien fällt dabei eine herausragende Rolle zu, denn das Land gilt als "Apotheke der Entwicklungsländer". Das Land produziert 70 Prozent aller wirkstoffgleichen Kopien von teuren Markenarzneien gegen Krebs und Aids, die weltweit in Entwicklungsländern verbraucht werden. "Das Urteil stellt sicher, dass Indien weiterhin Generika in Länder exportieren kann, die über keine eigene Pharmaproduktion verfügen", sagt Corinna Heineken von Oxfam.

Erst Ende Juli hatte etwa Ruanda bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt, 260.000 Generika-Packungen des HIV-Medikamentes TriAvir zu importieren. Das ist nach den WTO-Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums (Trips) zulässig. Das Trips-Abkommen zum Patentschutz gestattet unter bestimmten Umständen auch die Produktion patentgeschützter Nachahmer-Medikamente. Sofern - wie etwa im Falle von Aids - die öffentliche Gesundheit bedroht ist, darf ein Land gemäß der WTO-Regeln Zwangslizenzen erteilen, um die teuren Originalmedikamente durch chemisch identische, billige Kopien zu ersetzen. Das Nachsehen haben in diesem Fall die Pharmakonzerne, deren Patente in Einzelfällen außer Kraft gesetzt werden. Thailand und Brasilien haben solche Lizenzen Anfang des Jahres erlassen, nachdem die von den Pharmakonzernen verlangten Preise für Aids-Medikamente den Gesundheitshaushalt der Länder zu sprengen drohte.

Auch Indien hatte sich Anfang 2005 verpflichtet, die in Trips geregelten Patentrechte zu respektieren und unkontrollierte "Raubkopien" zu unterbinden. "Mit seiner Entscheidung hat das indische Gericht die Auffassung gestärkt, Ausnahmen zu gewähren, die nach Trips unter bestimmten Umständen möglich sind", sagt Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne Grenzen. Moldenhauer rechnet durch das Urteil auch mit spürbaren Verbesserungen für Millionen Kranke, die etwa auf das neue Aids-Medikament Kaletra angewiesen sind. Dieses muss bisher ständig gekühlt werden. "Es gibt das Medikament neuerdings aber auch als hitzebeständige Tablette, die das Kühlungsproblem beseitigt", sagt Moldenhauer. Er geht davon aus, dass dafür in Indien kein neues Patent erteilt wird.

Novartis will gegen das Urteil nicht in Berufung gehen. Aber ganz ruhig blieben die Schweizer ob ihrer Niederlage auch nicht. Novartis-Entwicklungschef Paul Herrling dröhnte, das indische Patentrecht werde "negative Auswirkungen auf die Patienten und die öffentliche Gesundheit in Indien haben".

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