Fernsehen: Leichen im Keller

Die zweiteilige ARD-Doku "Blut und Spiele" zeigt die Ausmaße des Dopingsystems - die Rolle der Medien reflektiert sie nicht.

Kein Einzelfall: Doping ist bei Weltrekorden meist dabei. Bild: WDR/dpa/Seeger

Die Leiche hat lackierte Fingernägel, und zwar sehr lange. Auf dem Obduktionstisch des Gerichtsmediziners im kalifornischen Orange County liegt an diesem Septembertag 1998 die schnellste Frau aller Zeiten: Florence Griffith-Joyner, genannt Flojo, gestorben an einem Herzinfarkt - mit 38. Kurz zuvor hatte die dreifache Olympiasiegerin einen Schlaganfall.

"Herztod und Schlaganfall sind zwei Nebenwirkungen von Doping", sagt der Sprecher, während die Kamera über den - nachgestellten - leblosen Körper fährt. Später sagt er, dass Flojo ihre Fingernägel wohl so lang habe wachsen lassen, um damit bei Dopingtests die Beutel mit sauberem Urin aufzuritzen, die sie im Körper trug.

Es ist erschütternd, was Petra Höfer, Freddie Röckenhaus und Francesca DAmicis in der Dokumentation "Blut und Spiele" zusammengetragen haben, einem Zweiteiler der ARD-Dopingredaktion. Sie war im vergangenen Jahr gegründet worden, um auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Wer den ersten Teil gesehen hat, muss sich fragen, wieso überhaupt noch Leistungssport gezeigt wird: Doping, muss man vermuten, ist immer dabei, wenn Weltrekorde gebrochen werden. Wie es sich für ein gutes Feature gehört, zeigt "Blut und Spiele" also, dass Doping kein Einzelfall ist. Die Liste der überführten oder verdächtigen Spitzenathleten von Katrin Krabbe bis Lance Armstrong ist lang. Aufgerollt wird der Fall des Weltrekord-Sprinters Ben Johnson, dem 1988 die Goldmedaille aberkannt wurde - ein Bauernopfer, so die These des Films. Das System brauche Einzeltäter, um überleben zu können.

Wie einfach es ist, Doping zu vertuschen, erklärt der überführte Dopingdealer Victor Conte - einer jener Männer der "dunklen Seite", die zu Wort kommen. Der Amerikaner, der Flojo und die US-Sprinterin Marion Jones mit Designer-Steroiden beliefert haben will, spricht von IOC-Laboren in Europa, die dopende Sportler unterstützt haben - indem sie Trainingsproben auswerteten, damit die Werte bei den Wettkämpfen nicht über dem kritischen Wert lagen.

Auch die Frage, warum Sportler dopen, greift "Blut und Spiele" auf. "Wenn die Leute dir zujubeln, die Hubschrauber über dir kreisen, und du fährst in der Spitzengruppe, das sind so Erfahrungen, bei denen man noch eine Stunde später Gänsehaut hat", sagt Radler Jörg Jaksche im Film. Dessen Dopinggeständnis hatten die Dokufilmer laut Freddie Röckenhaus "schon lange", bevor der Spiegel es veröffentlichte. Dass Jaksche nun schon vor der Tour ausgepackt hat, nimmt dem Film Brisanz - doch er solle "quer zum News-Mainstream" stehen, sagt Röckenhaus. Man habe Zusammenhänge aufarbeiten wollen.

Dealer, Sportler, Funktionäre: Was in der Doku fehlt, sind Journalisten. Denn sind sie nicht selbst Teil jener Verwertungskette, an deren Anfang oft verbotene Substanzen stehen? Darüber im ersten Teil kein Wort, dafür wird der Zuschauer in die Pflicht genommen. "Wir wollten auch die Faszination zeigen, die erklärt, warum wir als Zuschauer den Sport so lieben", sagt Röckenhaus. So sind neben der Szene mit der toten Flojo auch Bilder der sprintenden Olympiasiegerin zu sehen. Das schöne Gesicht eines hässlichen Sports. Festgehalten mit der Kamera eines Senders. Bejubelt vom Kommentar eines Journalisten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.