Fernsehen: Es gibt kein Bier

Und kein Auto, kein Haus, keine Yacht: Die abgekupferte ProSieben-Reihe "Survivor" zeigt die Konsumgesellschaft im Exil und das Ende des Reality-TV.

Die Show folgt auf den XXL-Werbeblock. Und die Werbespots sind unbedingter Teil des medialen Textes der Show. Denn während der Werbung merkt der Zuschauer, was die Exilanten der Konsumgesellschaft in der Sendung ertragen müssen.

"Survivor" heißt sie, seit Dienstag läuft sie, und ProSieben hat dafür 18 Kandidaten auf eine tropische Insel verfrachtet. Sie müssen auf alles verzichten, was die Werbung gerade empfohlen hat: Bier, Schokoriegel, Handy-Flatrate, Internetdienstleistungen, Pay-TV, Enthaarungscreme.

RadiomoderatorInnen, Schreiner, Ärzte, UnternehmensberaterInnen, Hausfrauen und StudentInnen werden mit Schürfwunden auf die Insel gespült und in zwei Stämme aufgeteilt. In Fitness- und Cleverness-Wettbewerben müssen sie gegen die anderen bestehen - und der unterlegene Stamm muss einen Kandidaten "rauswählen". Der Letzte auf der Insel ist der "Survivor" und gewinnt 250.000 Euro.

Wie - scheint "Survivor" hinter dieser Oberfläche zu fragen - kommen die Kandidaten mit dem Leben in freier Wildbahn zurecht? Wie organisiert sich die Gesellschaft? Wie ertragen sie die artifizielle Armut? Die Fragen, besser gestellt in "Herr der Fliegen" oder "Robinson Crusoe", sind nicht neu, auch im Fernsehen nicht: Sat.1 und RTL II haben das CBS-Format vor sieben Jahren schon durchgewurstet. Warum also setzt ProSieben noch auf diese Idee?

Ekel-Camp, Menschen-Zoo, Folter-TV - es ist nicht lange her, dass Reality-TV-Formate wie "Big Brother", "Fear Factor" oder "Dschungelcamp" harsche Reaktionen hervorgerufen haben. Menschen in kontrollierter Umgebung bestimmten Reizen auszusetzen und das Verhalten zu dokumentieren - die Sozialpsychologie-Experimente von Stanley Milgram und Co. aus den 60er-Jahren wurden zum ersten Medienhype des Millenniums. Bald aber konnten die Amateur-Verhaltensforscher hinter den Kameras die Regler nicht weiter aufdrehen, die Reizintensität, die Prominenz der Versuchskaninchen und den Exotikfaktor nicht mehr erhöhen.

Reality-TV erscheint heute als ein Konzept aus der Präinternetära. Wozu die Menschen noch mit Kameras einsperren, wenn sie auf YouTube jeden Tag Videos von sich veröffentlichen, im Bad, Bett, bei einem seltsamen Boogie-Woogie? Live-Blog killed the Reality-TV-Star. Das provokative Potenzial geht gegen null.

"Survivor" ist, wohl auch deshalb, eine Mischung aus Naturdokumentation und Soap Opera. Palmblätter im Gegenlicht, Schmetterlinge, Orchideen und, oh, ein Albatros. Annäherung, Gruppenbildung, Streit und, oh, Konfliktlösung. "Survivor" ist Emo-TV, das, dank des Robinson-Settings, höhere Bindekräfte entfaltet als die drückende Ereignislosigkeit von "Big Brother". Zudem die Frage hier auch ist: Wie ist das jetzt mit Darwin?

Als am Ende der ersten Folge das gelbe Team ein Teammitglied entfernen muss, schwebt die Kamera drohend über dem Gesicht einer kranken Frau, die der Gruppe bislang kaum helfen konnte. Wenn Darwins Gesetze gelten, dann wird sie aus dem Kandidatenpool eliminiert, weiß der Zuschauer und fröstelt.

Am Ende aber muss eine hektische Radiomoderatorin gehen. In der künstlichen Wildnis von "Survivor", in der es nicht wirklich um Nahrung und Sicherheit geht, sondern um Geld, Medienpräsenz und Prestige, sind Antipathie und Neid die stärkeren Selektionsfaktoren.

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