die wahrheit: Der Schlosshund Gottes

Ben Becker liest aus der Bibel vor und trifft auf sich selbst und andere Randalierer.

Im vergangenen Winter saßen Kollegen von mir abends gemütlich in einer Berliner Pizzeria, als plötzlich ein Mann ein Fernsehgerät in den Gastraum trug: ein Taxifahrer, unterwegs in den Diensten von Ben Becker. Der Schauspieler, der mit wehendem Mantel folgte, verkündete lauthals, er habe beschlossen, eine Pizza zu essen und dabei die Übertragung eines Boxkampfes zu verfolgen - und so geschah es auch.

Meine Kollegen waren irritiert, weil es heutzutage ja so viel einfacher geworden ist, Boxkämpfe zu gucken und Pizza zu essen. Man kann sich eine Pizza nach Hause vor den Fernseher liefern lassen, aber Ben Becker wusste das anscheinend nicht, und vor allen Leuten mochte es ihm auch keiner sagen.

Aber so sind Künstler! Sie machen Dinge, an die wir nie denken würden. Zurzeit ist in Berlin wieder viel von Ben Becker die Rede. Im Oktober wird er öffentlich aus der Bibel vorlesen, berichten die Zeitungen und zitieren ihn unter anderem mit den Worten, die Bibel sei "existenziell" und "die Geschichte, in der jede andere Geschichte verankert ist, die jeden angeht. Für jeden von uns hing dieser Mann an diesem beschissenen Kreuz." Besonders der letzte Satz ist für Nichtkünstler schwer zu verstehen. Man darf ihn aber nicht lesen wie "Für jeden von uns war die zweite Halbzeit eine Katastrophe", man muss ihn sozusagen innerlich umstellen: "Dieser Mann hing für jeden von uns an diesem beschissenen Kreuz", dann hat mans raus.

Und dann versteht man auch wenigstens ansatzweise, warum Ben Becker auf dem Ankündigungsplakat engelsbeflügelt ist und aus einem Nasenloch blutet. Es ist eine alte und bewährte Methode für Schauspieler, sich mit ihrer Rolle zu identifizieren, indem sie zum Beispiel zu- oder abnehmen oder kurz als Supermarktkassierer arbeiten. Das Nasenbluten hat etwas mit der Kreuzigung zu tun. Warum er zugenommen hat, weiß man nicht vor der Premiere.

Aus der Bibel vorlesen wird Ben Becker übrigens nicht in der Buchhandlung Kanoppke oder auf einer Probebühne, sondern in der Berliner Großveranstaltungsarena Tempodrom. Und weil ja nicht jeder sofort erfasst, wie existenziell das alles mit der Bibel ist, kommt noch ein bisschen Show und Musik dazu, so wie bei den "Son et Lumière"-Veranstaltungen im Urlaub, wenn man mal mitkriegt, was zum Beispiel alles so los war in einem ägyptischen Tempel, als der noch in Betrieb war. Da läuft dann Musik und die Säulen werden abwechselnd grün und rot angestrahlt, und eine tiefe Stimme vom Band erzählt von einer früheren Kultur. Wobei es bei Ben Becker ja nicht so ist. Er will das live machen, vom Band kann man ihn hören, wenn man die CD kauft.

Ohnehin wird das sicher alles viel beeindruckender als in Ägypten, weil auch die Musik live ist. Das Filmorchester Babelsberg spielt, außerdem die Zero Tolerance Band von Ben Becker und ein Gospel-Chor. Ein Reporter von der Welt war jedenfalls schon schwer begeistert, als er die Aufnahmen für die CD hören durfte. "Seine Stimme, umspült von Musik, bringt die Boxen zum Vibrieren und man will sofort die Augen schließen, um nicht abgelenkt zu werden." Das klingt gut, aber vielleicht sollte man die Augen doch offen halten wegen der Lichteffekte.

Trotzdem wird Ben Beckers Stimme das Bedeutendste sein, denn das meint er selbst. Im ersten Teil geht es nämlich noch um Adam und Eva und so weiter, aber zum Schluss um die Kreuzigung. Und Ben Becker sagte der Zeitschrift Bunte, dass die Kreuzigungsszene "große Oper" sei: "Wenn ich die höre, weine ich jedes Mal. Noch immer. Danach bin ich fix und fertig."

Und wenn einer, der immerhin schon seit zwei Jahren an so einer Bibellesung arbeitet, weinen muss, wenn er sich selbst hört, dann muss es jeden unvorbereiteten Besucher im Tempodrom doch umhauen. Vor allem, weil Gott sich vielleicht eingeschaltet hat, wie Ben Becker vermutet ("Manchmal hatte ich das Gefühl, er sitzt neben mir"), und damit punkten konnte: "Seitdem habe ich riesige Hochachtung vor ihm."

Andererseits wurde Ben Becker vor kurzem in einer Strandbar von einem Randalierer angegriffen. Das hat ihm bestimmt zu denken gegeben, bloß ging es Gott womöglich nur um ein Lied des Gospel-Chors oder eine schlechte Betonung. Außerdem stellte sich später heraus, dass der Randalierer noch viel mehr Leute attackiert hatte und dass deshalb Ben Beckers Reaktion, er müsse aus Berlin fortziehen, vielleicht etwas überzogen war. Aber irgendjemand sollte Ben Becker sagen, dass die Idee, aus der Bibel vorzulesen, schon länger und regelmäßig vorkommt, allerdings mit weniger Beiwerk. Es wäre schade, wenn er das aus der Zeitung erfahren müsste.

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