Sürücü-Prozess: Bundesrichter verhandeln über Ehrenmord

Staatsanwälte wollen, dass freigesprochene ältere Brüder doch noch wegen Mordes an ihrer Schwester verurteilt werden.

FREIBURG taz Müssen die älteren Brüder der 2005 ermordeten Berlinerin Hatun Sürücü noch einmal vor Gericht? Am Dienstag verhandelt der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig über die Revision der Staatsanwaltschaft in dem aufsehenerregenden Ehrenmordprozess.

Vor dem Berliner Landgericht war im Frühjahr 2006 nur der jüngste Bruder, der 21-jährige Ayhan Sürücü, wegen Mordes verurteilt worden. Er hatte gestanden, seine Schwester an einer Bushaltestelle aus nächster Nähe erschossen zu haben, weil er ihren freizügigen Lebensstil verachtete. Die Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten lag knapp unter dem Höchstmaß von zehn Jahren, es gab also keinen Strafrabatt wegen der aus Sicht des Täters ehrenvollen Absicht des Verbrechens. Das Urteil gegen Ayhan Sürücü ist rechtskräftig.

Freigesprochen wurden dagegen die beiden älteren Brüder Mutlu und Alpaslan. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll Mutlu die Pistole besorgt und Alpaslan Schmiere gestanden haben. Wichtigste Belastungszeugin war Ayhans damalige Freundin Melek A. Ihr soll Ayhan die Tat und die Beteiligung seiner Brüder vorab angekündigt haben. Erst spät erinnerte sie sich, dass Alpaslan seinen Bruder nach der Tat kritisiert haben soll. "Ich hab dir doch gesagt, schieß ihr in den Kopf". Das Gericht hatte "begründete Zweifel" an den Aussagen der "Zeugin vom Hörensagen" und sprach die Brüder aus Mangel an Beweisen frei.

Gegen diese Freisprüche wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Beim BGH gibt es allerdings keine neue Beweisaufnahme, es können nur Rechtsfehler gerügt werden. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zu akzeptieren, wenn sie keine groben handwerklichen und logischen Fehler enthält. Die Staatsanwaltschaft, die "Lücken in der Beweiswürdigung" rügt, hat deshalb vermutlich wenig Chancen. Immerhin hat sich Hartmut Schneider als Vertreter der Bundesanwaltschaft der Revision angeschlossen, was er bei einem aussichtslosen Fall nicht getan hätte.

Mutlu und Alpaslan Sürücü halten sich derzeit in der Türkei auf. Alpaslan kann nicht nach Deutschland kommen, weil seine Aufenthaltsgenehmigung nach mehr als sechsmonatiger Abwesenheit abgelaufen ist. Mutlu Sürücü hat einen deutschen Pass. Falls der BGH doch einen neuen Prozess anordnet, könnte Alpaslan einreisen. Wenn er nicht kommen will, müsste Deutschland seine Auslieferung beantragen. CHRISTIAN RATH

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