Kolumne: Meditation am Sonntag

FRITZ TIETZ lauscht einem Fußballspiel und genießt diese Geräuschkulisse im Ausnüchterungsstübchen.

Selbst noch knapp U50, gibt es in meinem Freundeskreis etliche, die das halbe Hundert an Lebensjahren bereits überschritten oder soeben vollendet haben. So wie Schulfreund Uli, der letzten Sonntag seinen fünfzigsten Geburtstag feierte. Wer den mitfeiern wollte, musste sich am Samstagabend in der Habichtshöhe einfinden, einer pittoresken Bielefelder Lokalität, wo dann "rein"-gefeiert wurde. Das aber mit allen Schikanen, wie ich gerne bezeuge, denn ich war dabei und kann mich auch noch gut erinnern, weil man ja mittlerweile einiges ab kann, erst recht, wenn das Essen klasse und der Wein vorzüglich ist und die Schnäpse auch. Den prima DJ nicht zu vergessen, der in dieser Nacht sehr treffsicher die Musik zu spielen wusste, mit der er selbst angedickte U-Fuffziger wie mich dazu brachte, bis in die Puppen hinein sehr ausgiebig das Tanz- und sogar Ausdruckstanzbein zu schwingen ach ja.

Eigens aus der Nordheide angereist, hatte ich Quartier bei meinem in Bielefeld wohnenden Bruder bezogen, das heißt: es vor Beginn der Geburtstagssause rechtzeitig beziehen wollen. Wer aber zum verabredeten Termin (halb fünf) nicht da war, war mein Bruder. Er habe wider Erwarten noch zu tun, teilte er mir telefonisch mit, käme aber gleich. Also ging ich so lange vor dem Haus in Wartestellung und versuchte zunächst aus dem Zuschauergetöse, das gelegentlich von den Tribünen der nahen Bielefelder Alm herüberwehte, den aktuellen Spielstand der dort gerade laufenden Bundesligapartie (gegen Hertha) zu erraten. Als noch kurzweiliger stellte sich dann aber das Treiben auf jenem Bolzplatz heraus, der dem Haus meines Bruders direkt gegenüber liegt. So weit es ein, das Geläuf umzäunender, teilweise kletterpflanzenberankter Maschendraht zuließ, schaute ich den dahinter eifrig hin und her rabackelnden Alten Herren bei ihrem Ballgeschiebe zu - bis endlich, halber sechs rum, Bruder Thomas angedüst kam.

Und das wurde auch allmählich Zeit. Schließlich hatte ich noch einiges an mir zurechtzubrezeln, bevor ich endlich aufbrach, um noch einigermaßen pünktlich auf der Feier zu sein; was dann auch klappte. Über die Party habe ich bereits alles gesagt. Gegen vier Uhr morgens traf ich, bestens von ihr bedient, wieder in meiner Gästewohnung ein und schlief wohl keine zehn Minuten später selig schnorchelnd in meinem Gästebett ein. Um acht war ich wieder wach, was allerdings entschieden zu früh, aber insofern nicht mehr zu ändern war, als ich das Fenster auf Kipp hatte stehen lassen und somit ein sich draußen mählich steigerndes Geschnarre und Gebrumm, Gelächter, Gesause und Gedengel ungehindert bis an mein Ohr dringen konnte und mich weckte. Als Quelle des seltsamen Lärms entpuppte sich, wie ein verkaterter Blick aus dem Fenster ergab, ein gut drei Dutzend starkes Aufgebot an Männern in Trainingsanzügen oder sonstwelcher Sportkleidung. Klarer Fall, Fußballer waren das, die an diesem Sonntagmorgen vor dem noch verriegelten Bolzplatzgelände gegenüber ungeduldig schnatternd darauf warteten, dass es endlich geöffnet werde. Ich hingegen schloss das gekippte Fenster und hatte dank seiner hohen Schalldichte schlagartig wieder die Ruhe, die ich zum Weiterschlafen brauchte.

Den ganzen restlichen Sonntag, den ich nach dem Aufstehen (gegen zwölf) noch in der Wohnung meines Bruders verbrachte, herrschte übrigens auf dem Bolzplatz drüben reger Fußballspielbetrieb. Ein Match jagte das nächste. Bis in den späten Nachmittag hinein waren sie da am Gange. Vom nunmehr wieder offenen Fenster aus konnte ich zwischen zwei Bäumen hindurch den Platz sogar partiell einsehen, verlegte mich dann aber vornehmlich auf die akustische Teilnahme am Ballgeschehen. Zunehmend empfand ich das daraus resultierende und bis in die Wohnung ziehende Gelärm - die ständigen Rufe der Spieler, das trockene Ploppen des getretenen Balls, der heiser angestimmte Torjubel - als ein sehr angenehmes, durchaus meditativ wirkendes Sonntagsgeräusch. Das sonntägliche Vogelgezwitscher bei uns daheim auf dem Land erschien mir wie eine aggressive Nerverei dagegen.

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