Tschad: Hoffen auf die EU

Die EU-Friedenstruppe soll die 400.000 Flüchtlinge im Ost-Tschad beschützen. Doch die EU-Soldaten könnten auch dem Regime helfen, das Teil des Problems ist.

Die Menschen in Goz Beida warten noch immer auf Hilfe. Bild: dpa

GOZ BEÏDA/ABÉCHÉ taz Die Sonne brennt vom Himmel, das Thermometer zeigt über 40 Grad an. Doch auch nach mehr als einer Stunde in dieser Hölle stimmen die Flüchtlinge aus Darfur, die im Flüchtlingscamp Goz Beïda im Osten des Tschad leben, mit unveränderter Lautstärke immer wieder ihre Sprechchöre an. "Willkommen, EU-Truppen!", rufen sie auf Arabisch und Englisch und: "Es lebe die UN!"

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat am Mittwoch eine diplomatische Offensive zur Lösung der Krise in der sudanesischen Darfur-Region angekündigt. "Ich werde den politischen Verhandlungsprozess vorantreiben", versprach er bei einem Besuch im Sudan. Dem Konflikt in der an den Tschad grenzenden Darfur-Region sind bisher 200.000 Menschen zum Opfer gefallen. 2,5 Millionen Menschen sind geflohen, viele davon in die Nachbarländer Tschad und Zentralafrikanischen Republik. Anfang nächsten Jahres soll eine 3.000 Mann starke EU-Truppe als Teil einer umfassenden UN-Mission in und um Darfur in den Tschad gesandt werden. AP, taz

Fünf Forderungen haben sie ausgearbeitet, die sie dem Voraustrupp von UN und EU auf dem Versammlungsplatz präsentieren wollen. Mehr sind es nicht. Sie wissen, dass die Generäle und Beamten aus Europa und Amerika wenig Zeit haben. Goz Beïda ist eines der Lager, in denen das UN-Flüchtlingshilfswerk mit Unterstützung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Flüchtlinge aus der sudanesischen Krisenregion Darfur versorgt, die nur 100 Kilometer weiter östlich beginnt. 236.000 Menschen sind von dort in den Osten des Tschad geflohen, hinzu kommen hier 173.000 tschadische Binnenflüchtlinge, die vor den Kämpfen in dieser Region geflohen sind. Aber weil es in Tschads "wildem Osten" praktisch keine staatliche Autorität gibt, sind die Menschen selbst in den Lagern nicht sicher. "Wir brauchen die ausländischen Truppen, weil unsere Familien selbst hier ständig überfallen werden", sagt Alime Abdullahi Sali aus Darfur. Doch als der Konvoi aus zwölf Geländewagen endlich kommt und an dem jubelnden Kordon der Flüchtlinge vorbeifährt, gibt es eine böse Überraschung: Die Geländewagen drehen eine Runde ums Lager und ziehen nach wenigen Minuten ab, ohne angehalten zu haben.

Nicht nur auf Salis Gesicht spiegeln sich Unglauben und Enttäuschung wider. Dabei würde es den Europäern sicher helfen, mit diesen Menschen zu sprechen, um das ganze Ausmaß des zweiten EU-Militäreinsatzes in Afrika zu verstehen. Wer die Bevölkerung schützen will, tut gut daran, die Bedrohten zu fragen, vor wem sie beschützt werden wollen. Doch der französische General Jean-Philippe Ganascia fühlt sich auch ohne das Gespräch mit den Flüchtlingen gut informiert. Am Vortag hat er in Abéché, dem Zentrum der Region, Abgesandte der Regierung und von Hilfsorganisationen über die prekäre Lage im Osten des Tschad berichten lassen. Wie genau die EU-Truppen eingesetzt werden sollen, die aller Voraussicht nach im November im Tschad stationiert werden, behält Ganascia für sich - die offizielle Entscheidung darüber fällen am 17. September die EU-Außenminister in Brüssel. Nur den groben Rahmen gibt der Fremdenlegionär preis: "Es wird eine Polizeimission geben, die für die Sicherheit in den Lagern sorgt. Die Armee wird sich um den Rest kümmern."

Dieser "Rest" muss sorgsam ausgehandelt werden, vor allem mit der tschadischen Regierung. So dürfen auf ihren Druck die 3.000 EU-Soldaten nicht zur Bewachung der durchlässigen Grenze nach Darfur eingesetzt werden. Bewohner befürchten deshalb den Aufbau einer zweiten Front. Ebenfalls auf Druck der Regierung haben sich die UN dazu bereit erklärt, zum Schutz der Lager tschadische Polizisten auszubilden. Das befremdet viele Vertriebene, halten sie doch die Polizei für einen Teil der Bedrohung. Mit der Gründung einer Polizeiakademie in NDjamena ist der Deutsche Walter Wolf betraut, der bereits in Afghanistan Polizisten ausgebildet hat.

Das Militärkommando übernehmen werden die Franzosen, die im Tschad schon jetzt mehr als 1.000 Soldaten stationiert haben und mit ihren Mirage-Jets Aufklärungsflüge im Osten unternehmen. "Ich komme als Missionschef zurück", gibt sich Ganascia selbstsicher. Das würde wohl auch die taschadische Regierung begrüßen. "Es ist gut, dass die Franzosen die EU-Truppe anführen, die kennen sich hier gut aus und werden die Invasion der Söldner zurückschlagen", lobt der von der Regierung eingesetzte und für Goz Beïda zuständige Gouverneur General Tonka Ramadan.

Söldner? Das können im Osten des Tschad alle sein: Milizionäre der Dschandschawid, die von Darfur aus angreifen, kriminelle Banden, die das Chaos im Osten ausnutzen, oder Rebellen, die gegen die Regierung kämpfen. Als diese im vorigen Jahr gleich mehrfach vor der Hauptstadt NDjamena standen, half die französische Armee dem Putschisten Idriss Déby, Präsident zu bleiben. Die Rebellen zogen sich in den unzugänglichen Osten zurück. Débys intern zerstrittenen Truppen ist es bislang nicht gelungen, die Gefahr aus dem Osten zu bannen. Viele im Tschad glauben, dass er aus machtpolitischen Gründen der EU-Truppe zugestimmt hat.

So machen die aus ihren Dörfern vertriebenen Tschader, die in Goz Beïda auf einer weißen Decke Domino spielen, keinen Hehl aus ihren Zweifeln. Wären Ganascia und seine Kollegen hier vorbeigekommen, niemand hätte ein Transparent gehalten oder einen Sprechchor zur Begrüßung angestimmt. "Wenn die EU-Truppen kommen, werden wir trotzdem nicht in unsere Dörfer zurückkehren", sagt Hamid Abdallah, der vor einem Jahr zu Fuß nach Goz Beïda geflohen ist. "Die Dschandschawid sind da, wo früher unser Dorf war. Sie haben es niedergebrannt. Und die tschadischen Sicherheitskräfte haben bislang nichts getan, um uns zu schützen, warum sollten sie das in Zukunft tun?", sagt er. Der 37-jährige Abdallah, der fast seine ganze Familie beim Überfall auf sein Dorf verloren hat, sieht die europäische Truppe nicht als eine unparteiische Schutzmacht. "Das ist politisch", pflichtet ihm ein anderer bei: "Die EU-Truppe unterstützt das tschadische Regime, das die Rebellen hier im Osten besiegen will."

Doch selbst wer die Franzosen kritisiert, hält ihnen zugute, dass die Region nicht wie Somalia völlig im Chaos versunken ist. Über die Motive der französischen Regierung hingegen wird gerätselt. Frankreich will seine Präsenz in Afrika aus finanziellen Gründen eigentlich verringern und etwa den Stützpunkt in NDjamena aufgeben. Zwar wird im Tschad Öl gefördert, jedoch nicht von französischen Unternehmen. Ein ehemaliger Botschafter in NDjamena soll das Engagement so begründet haben: "Es gibt keine Alternative zu Déby, alle anderen sind noch schlimmer."

Im Kampf um die Macht wird der Osten von der Regierung noch mehr vernachlässigt als schon zuvor. Der Direktor der Hilfsorganisation Oxfam, Roland van Hauwermeiren, sieht darin den wichtigsten Grund für die andauernde Rebellion: "Das eigentliche Problem ist, dass es im Osten kein Wasser, keine Entwicklung und keine lebenswürdigen Umstände gibt. Ein Konzept dafür muss man mitbringen, wenn man die Konflikte wirklich beilegen will."

Einer der tschadischen Rebellenführer, Mahammat Nour, hatte sich mit Déby zeitweise auf einen Waffenstillstand geeinigt und war dafür zum Verteidigungsminister ernannt worden. Doch dass dieses Zweckbündnis noch lange hält, glaubt kaum jemand. Nours Villa in NDjamena soll Ende August von Regierungssoldaten geräumt worden sein. Als sich daraufhin vor Nours Residenz in Abéché seine Kämpfer versammelten, schickte die Armee Einheiten zur Sicherung der Stadt. Einen Tag später waren Nours Soldaten verschwunden - angeblich nach Guereda, der Heimatprovinz von Nour. Von dort werden seither neue Kämpfe gemeldet.

Moderate Stimmen finden in dieser aufgeheizten Atmosphäre kaum noch Gehör. Der Sultan von Goz Beïda, einer der wenigen Vermittler, wurde wegen seiner Kritik an der Regierung kurzerhand abgesetzt und eingesperrt. Inzwischen ist er in seinen verfallenden Palast zurückgekehrt. Für die Bewohner von Goz Beïda ist er immer noch die einzige wahre Autorität. "Früher haben wir Sultane die immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen den Ethnien und vor allem zwischen Schwarzen und Arabern moderiert und so langfristig für Stabilität gesorgt", weiß Brahim, der in Frankreich an der Universität gelehrt hat. "Doch die Politik hat die ethnischen Unterschiede instrumentalisiert und damit Konflikte geschaffen, die es in dieser Form früher nicht gab." Wen er für den Missbrauch verantwortlich macht, macht der 60-Jährige klar: Früher waren es die französischen Kolonialisten, heute ist es das Déby-Regime.

Die Trennung zwischen "Arabern" und "Schwarzen" spielte im Tschad schon immer eine Rolle, aber so konfliktreich wie heute war das Verhältnis noch nie. Während die arabische Dschandschawid-Miliz in Darfur für den Massenmord an schwarzen Dorfbewohnern verantwortlich gemacht wird, droht im Osten Tschads ähnliches Unheil, allerdings mit umgekehrter Rollenverteilung. So häufen sich Berichte, dass "Araber" von schwarzen Milizen überfallen und ermordet werden. Ausgerüstet werden viele der Milizen angeblich von der Regierung.

Trotzdem ist es in Goz Beïda und den anderen Lagern zurzeit ruhig. Das hat einen einfachen Grund: Die schwersten Regenfälle seit 30 Jahren haben die Wadis überschwemmt und damit jede Truppenbewegung am Boden unmöglich gemacht. Doch wenn im Oktober die Trockenzeit kommt, dürften die Überfälle wohl wieder beginnen. Und diesmal könnten sie besonders brutal ausfallen. Gut möglich, dass Rebellen und Milizen versuchen, vor der Ankunft der EU-Truppen möglichst viel Gelände gutzumachen.

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