Terroralarm: Werdegang eines Terroristen

Fast banal: Verunsicherte Männer suchen Halt im Glauben, gehen zur Ausbildung in den Nahen Osten - und lernen dort Dschihadisten kennen.

Die Karriere eines Dschihad-Terroristen beginnt nicht derart marialisch. Im Gegenteil. Bild: dpa

Der Weg zur Bombe beginnt unauffällig. Es treten keine waffenstarrenden Krieger auf, sondern unsichere, fast zerbrechliche junge Männer. Leute, bei denen Verfassungsschützer manchmal den Ton von Sozialarbeitern annehmen, wenn sie über sie berichten. Und diese jungen Leute verkehren auch nicht in einer Moschee, vor der ein stolzes Minarett steht. Der Weg zur Bombe beginnt auf einem Hinterhof.

Neunkirchen, eine Stadt im Saarland. "Hassprediger gibt es hier nirgendwo", berichtet die Quelle der taz aus den Sicherheitsbehörden. Die Moschee dort ist ein beinahe schäbiges Haus, das unter Aufsicht des moderaten türkischen Verbandes Ditib steht. In dem unaufgeräumten Hinterhof hat sich ein Kreis junger Männer immer wieder getroffen. Aus ihnen wurden zornige junge Männer, die sich dem Dschihad verschrieben, dem bewaffneten Kampf gegen die Ungläubigen.

Es lassen sich vier Typen von operativen Terrorzellen unterscheiden:

Die frei schwebende Zelle, die sich ihre Ziele selber sucht. Mitglieder sind junge Männer, die sich vor dem Computer radikalisiert haben. Dem Internet entnehmen sie die tödliche Ideologie und Anleitungen zum Bombenbau. Die Kofferbomber von Köln gehörten laut Sicherheitsbehörden in diese Kategorie.

Die abhängige Zelle, die Aufträge über Anschlagsziele von Führungsoffizieren der al-Qaida bekommt. Sie rekrutiert sich aus den so genannten home-grown terrorists, also in Deutschland geborenen oder hier lebenden potenziellen Tätern. Sie haben ihr Geschäft in einem der Ausbildungslager in Afghanistan oder Pakistan gelernt.

Die selbstständige Zelle, wie sie von Fritz G. und seinen Komplizen gebildet wurde. Sie erhält allenfalls einen allgemeinen Anschlagsbefehl. Ihr Ziele und die Machart des Anschlags sucht sie sich selbst. Rekrutierung wie bei der abhängigen Zelle.

Am meisten Angst haben die Sicherheitsdienste vor Einmannzellen, sprich dem Einzelkämpfer. Auch er wurde in Deutschland geboren. Er hat sein Handwerk in einem Trainingscamp gelernt, operiert aber nach seiner Rückkehr für sich - und muss daher nicht mehr kommunizieren. Das heißt: Seine Überwachung fällt schwer. CIF

Doch wie werden aus zweifelnden Jugendlichen Kerle, die Bomben zusammenbauen, mit denen man einen Häuserblock zum Einsturz bringen kann? Daniel S. (22), einer aus der vergangene Woche verhafteten Terrorzelle, betete in Neunkirchen - und traf dort auf Gleichaltrige, die viel mit ihm gemeinsam haben. Sie erlebten eine Sinnkrise, sie wollten aus ihrem Leben ausbrechen, daher waren sie ansprechbar.

Die professionellen Beobachter, die sie beschattet und abgehört haben, berichten, dass drei Faktoren zusammenkommen, die Verunsicherung in Hass verwandeln können: der Glaube, die Gemeinschaft und eine starke Führerfigur.

Daniel S. konvertiert mit 18 Jahren zum Islam. Die Hintergründe sind bis heute nicht geklärt, manche bezeichnen ihn als Einzelgänger. Daniel möchte seinen Glauben, wie so viele Konvertiten, besonders rein leben. "Grundsätzlich neigen Konvertiten zur Überkompensierung, und das macht sie anfällig für radikale Ideen", sagt der niederländische Terrorforscher Edwin Bakker zu Spiegel Online. Bakker hat die Lebensläufe von über 200 Dschihadisten ausgewertet, darunter 14 Konvertiten.

Zu den Freunden von Daniel S. gehören in Neunkirchen auch Muslime, Hussein al-M., ein Libanese, und der Deutschtürke Zafer S. Beide haben wie westliche junge Männer gelebt. Nach islamischer Vorstellung sündigten sie dabei auch. Al-M. zum Beispiel kam mit Drogen in Kontakt. Wie ihre Beschatter erzählen, erlebten die Muslime zunächst die Verwestlichung, die ihnen später wie eine Entwurzelung vorkommt. Dann folgt ein Bekehrungserlebnis, sie wenden sich wieder dem Islam zu. Nun ähnlich eifrig wie Daniel S.

Derjenige, der sie in ihrem Eifer unterstützt, ist ein charismatischer Prediger. "Fast alle in die Terrorszene abgedrifteten Konvertiten machten brisante Bekanntschaften", analysiert der Islamexperte und Journalist Yassin Musharbash. Darunter auch Dschihad-Werber, die zunehmend in Deutschland gesichtet würden.

Das scheint die Masche der islamistischer Verführer zu sein: Sie fangen die Verunsicherten auf. Die Attentäter von Madrid etwa waren gefallene Muslime, Kleinkriminelle, die auf die schiefe Bahn geraten waren. Sie wurden im Gefängnis von Werbern angesprochen, die ihnen versprachen, der Glaube bringe sie wieder zurück in ein reines, neues Leben. Sie wollten sich durch eine Tat reinigen, sich von ihren Sünden heilen. Vom Islam bekamen sie die Kraft, dem Dschihad gaben sie ihre kriminelle Professionalität.

Das Phänomen der gewaltbereiten Islamisten in Deutschland ist verschwindend klein. Ein Prozent der drei Millionen Muslime in Deutschland gelten als Islamisten. Experten meinen, dass davon wiederum ein Prozent gewaltbereit sein könnte - das dürften ungefähr 300 Männer sein, die sich dem Dschihad verschrieben haben. Der Islamismus ist nicht zwingend die Durchgangsstufe zum bewaffneten Kampf. Der Islamist denkt, die Welt ändere sich, wenn er die Wahrheit nur laut genug verkünde. Der Dschihadist meint, nur die Aktion ändere die Welt.

Aber warum wird aus einem Neugläubigen ein Dschihadist und kein braver Betender? Zum Beispiel gibt es irgendwo ein Islamseminar, bei dem die angefixten jungen Männer zusammenkommen. Der Verstärker für die Neunkirchener Gruppe soll das Islamische Zentrum in Ulm gewesen sein. Dort bekommen die jungen Männer nicht nur zu hören, dass sie etwas Besonderes erkannt haben, was nicht jeder Muslim so erkenne. Sie erfahren auch, dass es noch etwas Größeres gebe: den wahren Islam kennenzulernen, das heißt, den Koran im Original zu lesen, in Arabisch also. Dies jedoch erfordert, einen Sprachkurs zu absolvieren in Ägypten, in Syrien oder in Pakistan. Dort kommen die jungen Männer mit den Kadern in Kontakt, die ihnen mehr zeigen: das Wissen, das nötig ist, um militärisch zu operieren. Auch Daniel S., Hussein al M. und Zafer S. gingen diesen Weg.

Martin S. und Zafer S. landen in einem von der Islamischen Dschihad-Union geförderten Ausbildungscamp in Pakistan. Dort hat Daniel S. wohl auch Kontakt zu Führungsmitgliedern, die al-Quaida nahestehen. Hussein al-M. reist in den Nahen und Mittleren Osten. Im Juni 2006 wird er beim Grenzübertritt von Iran nach Pakistan aufgegriffen. Als man ihn fragt, was er dort will, gibt er an, den Koran zu studieren. In seinen Taschen allerdings findet man ein Satellitentelefon und ein Bündel Dollarnoten. Erst vor wenigen Tagen sei Hussein al-M. wieder nach Deutschland zurückgekehrt, berichtet die taz-Quelle.

Von dem Moment der Rückkehr an geht die vergeistigte Phase in eine operative über, der Schritt zum Dschihadisten ist vollzogen. Die jungen Männer bilden eine Zelle, ein loses Netzwerk, in diesem Fall eine Art Deutschlandfiliale der Islamischen Dschihad-Union. Neue Dschihadisten wie der Konvertit Fritz G. stoßen dazu, man kennt sich aus den Ausbildungslagern in Pakistan. Es besteht Kontakt zu Führungskadern am Hindukusch. Die Beobachter gehen davon aus, dass es zwei verschiedene Organisationsformen gibt: eine Gruppe, die Aufträge entgegennimmt, und eine Zelle, die sich selbstständig Ziele sucht. Unklar ist, ob die Gruppe, zu der Daniel S. gehörte, sich ihr Ziel von den Führungsleuten der Dschihad-Union autorisieren ließ. Klar sei, berichtet die Quelle der taz, dass es für die jetzt gefasste Gruppe einen Auftrag aus Pakistan gab, versehen mit einer Zweiwochenfrist: "Wir wollen einen Anschlag sehen." Allerdings reißt plötzlich die Observation ab - denn Daniel S. verwendet bei seiner Kommunikation nun ein Verschlüsselungsprogramm.

Aus dem normalen jungen Mann aus einer Stadt im Saarland ist inzwischen ein Terrorist geworden. Er organisiert sich selbstständig mit seinen Mitkämpfern hier. Al-Qaida gilt dabei nicht mehr als die organisatorische Basis. Denn al-Qaida hat sich gewandelt, es mutiert von der Organisation zur Ideologie. Seit dem Afghanistankrieg gilt al-Qaida als in seiner Handlungsfähigkeit so stark geschwächt, dass sie keine eigenen Anschläge mehr durchführen kann.

Stattdessen operieren lokale, kleine Terrorgruppen, die sich der Ideologie Ussama Bin Ladens bedienen. Deswegen ist es so wichtig, dass er sich nun wieder gemeldet hat, rechtzeitig zum Jahrestag von 9/11. Al-Qaida schickt keine ausgebildeten "Schläfer" mehr in Rückzugsländer wie Deutschland. Heute versucht man zornige junge Männer zu rekrutieren, die in Europa leben und sich hier radikalisieren.

Die Dschihadisten planen weiter, diskutieren, mieten Wohnungen und beginnen, Ziele für einen Anschlag auszuspionieren. Wen es dabei treffe, sei zweitrangig, meinen die Beobachter. Staatsbeamte, militärische Ziele, Zivilbevölkerung - sie alle stehen für den verdorbenen und moralisch verkommenen Westen, versinnbildlicht in den USA.

Die Terroristen besorgen sich Sprengstoff, zum Beispiel die hochexplosive Mischung aus Wasserstoffperoxid und Aceton, die schon bei den Anschlägen in der Londoner U-Bahn vor zwei Jahren verwendet wurde. Sie hofften auf größtmöglichen Schaden und eine große Zahl von Opfern.

Der Weg zur Bombe ist verwirrend unübersichtlich. Er ist zugleich ein bisschen banal. Und es wirkt nur im ersten Augenblick beruhigend, dass Verfassungsschutz, Polizei und Kriminalämter das beobachten. Es ist in Wahrheit auch sehr beunruhigend zu sehen, wie viel die Sicherheitsbehörden heute über den Werdegang eines einzelnen Islamisten wissen. Und ganz offenbar wissen müssen. Weil die Bombe sonst explodieren könnte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.