Kolumne: Wurscht unter der Glocke

Das Leben in Shanghai birgt ungewöhnliche Gefahren für Fußgänger und den europäischen Gaumen.

Wurscht unter der Glocke

Das Leben unter einer Glocke ist toll. Der Horizont ist nicht allzu fern. Man ist vor Überraschungen gefeit. Kurzum, die Glocke schützt vor störenden Einflüssen. In Schanghai gibt es tausende solcher Einflüsse, die das Leben unter der Glocke kompliziert machen würden. Da gibt es die Rückwärtsläufer im Park und die vermeintlich unmotiviert In-die-Hände-Klatscher, es gibt die Lauthalssänger und die mit großer Emphase agierenden Schreihälse in der Debattierecke, es gibt den verrückten Verkehr, der bereits ein Opfer unter den deutschen Journalisten gefordert hat - die SZ-Reporterin wurde von einem Auto leicht angefahren, ihr geht es aber wieder gut.

Die Straßenüberquerung ist in der Tat nicht ohne, denn auch bei Grün ist der rettende Bordstein weit. Busse und Mopeds rauschen auf uns schwache Verkehrsteilnehmer zu, als gäbe es Kopfgeld für Verkehrstote. Wenigstens ist das Dauerhupen vor einiger Zeit verboten worden, doch nun kündigen die Kopfgeldjäger ihre Hasardaktionen nicht mehr trötend an. Auch der Restaurantbesuch hat seine Tücken. Wir können bis auf die Begrüßungsformel "Ni hau!" kein Chinesisch, die Kellnerinnen nur bruchstückhaft Englisch. Hilfreich sind bebilderte Speisekarten, doch bei unscharfen Fotos wird aus zweidimensionalem Rindfleisch schnell einmal Tintenfisch. Egal, fast alles schmeckt gut in den Küchen von Schanghai.

Ausprobieren wollen das die deutschen Fußballerinnen nicht. Sie wollen sich in aller Ruhe auf das Turnier konzentrieren, sozusagen unter der Glocke den Tunnelblick entwickeln. Es soll ja nichts schiefgehen während der Weltmeisterschaft. Deswegen haben die Deutschen ihren eigenen Koch, so wie die Männer während ihrer WM; die ließen den Italiener Saverio Pugliese für sich kochen. In Schanghai rotiert Guang Feng an den Töpfen, ein junger Chinese mit Ausbildung in Deutschland. Fragt man ihn nach seinen kulinarischen Vorlieben, antwortet der Pekinger: "Ne Wurscht." Am liebsten Frankfurter.

Der Koch wurde in Konstanz ausgebildet, ist im Pekinger Restaurant "Der Landgraf Beerhouse" angestellt und spezialisiert auf europäisches Kochgut: Spätzle, Spaghetti Bolognese und so weiter. Nur ein Mal will er den Spielerinnen in China Chinesisches auftischen, "Rindfleisch süßsauer", mehr nicht. Die Frauen wollen das so. Trotzdem ist der chinesische Spätzlekoch in den Verdacht geraten, das Projekt Titelverteidigung torpedieren zu wollen. Etliche Spielerinnen haben eine Magenverstimmung und sie rätseln, woran es liegt. Dabei waren sie doch unter ihrer Glocke übervorsichtig, haben sogar die Zähne mit Mineralwasser geputzt und das Obst geschält. Vielleicht wars die Dusche, aus der dann doch normales chinesisches Leitungswasser sprudelte.

Nein, sie mögen China nicht. Nur Birgit Prinz hat sich bisher zaghaft positiv über das Land geäußert. "Faszinierend zu sehen, wie viel hier los ist", hat sie gesagt. Für ihre Kolleginnen ist Schanghai voller Unwägbarkeiten. Renate Lingor sagt: "China ist nicht mein Favorit, weil ich eine Tierliebhaberin bin, und hier werden Hunde und Katzen in kleinen Käfigen gehalten." Lingor hat zu Hause selbst Katzen, und nach der Karriere will sie sich einen Hund zulegen. Sie lässt unerwähnt, was in den kalten Provinzen Chinas mit den gemarterten Viechern noch so angestellt wird. Kerstin Stegemann sagt: "Mein Land ist es auch nicht." Die Luft sei zu dick und dann noch "die krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Da kann der Wolkenkratzer noch so schön sein, ich sehe eher den armen Menschen." Sie sei beim Teamausflug an die Flusspromenade The Bund von Bettlern bedrängt worden, sagt Stegemann, und Melanie Behringer scheint auch ganz froh zu sein, wieder im klimatisierten Vier-Sterne-Hotel Hua Ting zu sein, wo die Springbrunnen plätschern und das Personal beflissen ist. Schön ist es, das Leben unter einer Glocke.

MARKUS VÖLKER

* Die Rolle des Gastes in die des Gastgebers umkehren (altchinesisches Kriegsstrategem)

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