Afghanistan-Debatte: Opium für das Volk

Die Debatte um Sicherheitsfragen verstellt den Blick auf die sozialen Nöte in Afghanistan. Ohne Wirtschaftshilfe und Entwaffnung wäre es besser, die Bundeswehr abzuziehen.

Sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban ist Afghanistan wieder das, was es in seiner Geschichte schon oft gewesen ist: ein Pufferstaat. Auch heute prallen am Hindukusch wieder mächtige Einflusssphären aufeinander; die afghanische Bevölkerung zählt dabei nur am Rande. Sie ist ebenso unbedeutend wie die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, meint der Ökonom Marc Herold von der University of New Hampshire. Afghanistan sei der Prototyp eines "Neokolonialstaates" - und der zeichne sich dadurch aus, dass seinen Herren nur noch an der Sicherung eines leeren, von feindlichen Kräften befreiten Raumes gelegen ist.

Das sind harte Worte angesichts all der Wiederaufbauhilfe, die in Afghanistan zweifellos geleistet wird. Die Fakten aber sprechen für sich: Sechs Jahre Besatzung haben Afghanistan nicht sicherer gemacht, Kriminalität und Korruption wuchern bis in die Spitzen des Staates. Das Bemühen um Gerechtigkeit ist auf der Stecke geblieben: Dies spüren nicht zuletzt die afghanischen Frauen, in deren Namen der Krieg gegen die Taliban geführt worden ist.

Heute plagen vor allem soziale und wirtschaftliche Probleme die Bewohner Afghanistans. Das neue Wirtschaftsmodell, das die neoliberalen Berater dem Land verordnet haben, ließ die Arbeitslosigkeit auf ein nie gekanntes Ausmaß schnellen: 50 bis 70 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung sind ohne geregeltes Einkommen. Reihenweise mussten Handwerksbetriebe schließen, als die Märkte Afghanistans für billige Produkte aus dem Ausland geöffnet wurden.

Die Debatte über Tornados und Spezialkommandos hat den Blick für die sozialen Nöte der Menschen in Afghanistan verstellt. Expertenstäbe erwägen sicherheitspolitische Strategien, nicht tragfähige Wirtschaftskonzepte. Nicht die Interessen der Afghanen bestimmen den Diskurs, sondern die Sicherheitsinteressen der Interventionsmächte. Das passt in eine globalisierte Wirtschaft, der die Menschen in Afghanistan entbehrlich sind: Weder als Konsumenten noch als Produzenten sind sie gefragt. Afghanistan ist nicht der Ort für lukrative Export- und Anlagegeschäfte. Denn außer ein paar Trockenfrüchten und Teppichen hat das bettelarme Land nur eines zu bieten: Opium.

Die Drogenwirtschaft ist heute Afghanistans einzige "nachhaltige Ökonomie". Deren Ausweitung ist nicht allein der skrupellosen Bereicherungsgier mafiöser Kriegsfürsten, Politiker und Geschäftemacher geschuldet, sondern vor allem der Verarmung der Menschen. Solange Drogen den Zugang zu Land, Einkommen und Krediten sichern, ist der Mohnanbau eine völlig rationale Überlebensstrategie.

Gegenüber den Erlösen aus dem Drogengeschäft nimmt sich die internationale Hilfe mickrig aus. Für die meisten Afghanen machen die Hilfsgelder ohnehin keinen Unterschied, diente doch das Gros bisher mehr der Legitimation des Krieges als dem Wiederaufbau. Um rasche Erfolge vorweisen zu können, wurde das Land mit Straßen, Schulen und Gesundheitsstationen zugepflastert, ohne die Bevölkerung wirklich an Planung und Ausführung der Vorhaben zu beteiligen. Nicht entwicklungspolitische Grundsätze kamen zum Tragen, sondern das Interesse, selbst noch aus dem Wiederaufbau Profit zu schlagen.

Aber auch die vielen ernst gemeinten Wiederaufbaubemühungen leiden unter dem Mangel eines kohärenten Gesamtkonzeptes. Unbestritten ist es ein Erfolg, wenn afghanische Kinder heute wieder zur Schule gehen. Völlig unklar aber ist, ob sie jemals einen Job finden werden. Das immer undurchsichtiger werdende Gestrüpp aus Korruption, Vetternwirtschaft und Rechtsfreiheit nutzt die neue, von außen eingesetzte Führungsclique mehr und mehr dazu, um sich selbst zu bereichern. Frieden aber basiert auf Vertrauen, und das haben die Menschen in Afghanistan verloren. Kinder, die den Schutztruppen anfangs noch zugewinkt haben, schmeißen heute Steine. Niemand hatte den Taliban eine Träne nachgeweint. Doch die enttäuschten Hoffnungen und die vielen zivilen Kriegsopfer spielen den ehemaligen Unterdrückern heute wieder in die Hände.

Nun rächt es sich, dass der US-geführten Intervention im Herbst 2001 nicht an nachhaltigen Veränderungen gelegen war, sondern nur an rascher Vergeltung. Ein schneller Sieg über die Taliban musste her, möglichst ohne eigene Verluste. Dies gelang gemeinsam mit jenen Warlords und Mudschaheddinführern, die Afghanistan in den Jahren des Bürgerkriegs in Schutt und Asche gelegt hatten: Der Teufel wurde mit dem Beelzebub ausgetrieben.

So falsch es damals gewesen war, die Taliban mit militärischen statt mit politischen Mitteln zu bekämpfen, so notwendig ist heute die weitere Präsenz von internationalen Schutztruppen; das betonen nicht zuletzt die Vertreter der noch immer schwachen afghanischen Zivilgesellschaft. Würden die Truppen abgezogen, wäre ein erneuter Bürgerkrieg unvermeidlich die Folge. Auf der Strecke blieben dabei zuallererst die aufgeklärten demokratischen Initiativen, die Selbsthilfegruppen von Frauen, die Menschenrechtsstandards in der Gesetzgebung und das Bemühen um umfassende Bildung.

Verhindern aber lässt sich der Weg in die Katastrophe nur, wenn das Vertrauen der Menschen zurückgewonnen wird. Mit dem Beharren auf einem Militäreinsatz, der offenkundig gescheitert ist, wird das nicht gelingen. Es ist höchste Zeit zu erkennen, dass die Idee des "guten Kriegs" ein blutiger Irrtum ist. Statt weitere Zugeständnisse an eine offenkundig irregeleitete US-Politik zu machen, sollte die Bundesregierung den Weg freimachen für einen glaubwürdigen Prozess der Entmilitarisierung Afghanistans.

An erster Stelle - und nicht zuletzt als Signal für den Strategiewechsel - bedarf es dafür des Ausstiegs aus der Operation Enduring Freedom (OEF). Zweitens müsste die weitere Beteiligung deutscher Soldaten an den Schutztruppen davon abhängig gemacht werden, dass das internationale Isaf-Mandat wieder auf Friedenssicherung und defensive Schutzaufgaben beschränkt wird. Drittens muss die afghanische Seite an der Entscheidung über die Dauer des Isaf-Mandats beteiligt werden, beispielsweise über eine repräsentative Loja Dschirga. Viertens muss endlich ernsthaft mit der Entwaffnung der Milizen und Warlords begonnen werden.

Frieden und Entwicklung in Afghanistan sind möglich. Sie erfordern aber deutlich mehr soziales und wirtschaftliches Engagement. 530 Millionen Euro verschlingt der deutsche Militäreinsatz jährlich, aber nur ein Viertel davon steht für den Wiederaufbau zur Verfügung. Nur mit ein paar Millionen mehr ist nichts gewonnen, will man die am Boden liegende afghanische Wirtschaft wieder ankurbeln.

Besteht keine Bereitschaft zu einer solchen entwicklungspolitischen Offensive, dann ist es besser, die Soldaten schon heute abzuziehen. Sonst dienen sie tatsächlich nur der Verteidigung deutscher Sicherheitsinteressen - nicht aber der afghanischen Bevölkerung.

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