"Lateinamerika Nachrichten": Kreide und Matetee

Die Monatszeitschrift "Lateinamerika Nachrichten", ein Produkt der Siebzigerjahre, erscheint in der 400. Ausgabe. Ein Redaktionsbesuch.

Der Putsch in Chile 1973 - Anhänger der Solidaritätsbewegung gründeten "LN. 1973" Bild: dpa

BERLIN taz Auf dem Kühlschrank liegen Matetee-Packungen. Vor den Fenstern im fünften Stock des Mehringhofs treiben Wolken, die Türme der St.-Bonifatius-Kirche in Kreuzberg werden von der Abendsonne angeleuchtet. Es ist Donnerstag, kurz vor 20 Uhr. Die wöchentliche Redaktionssitzung der Lateinamerika Nachrichten beginnt.

Die Gruppe nennt ihr Produkt zärtlich LN. 1973, wenige Monate vor dem Putsch in Chile, wurde die Zeitschrift von Anhängern der Solidaritätsbewegung gegründet, damals unter dem Namen Chile Nachrichten. 1977 wurde sie in Lateinamerika Nachrichten umbenannt, seitdem erscheinen Berichte und Analysen aus ganz Lateinamerika. Was als Matrizensammlung begann, ist heute eine Monatszeitschrift im A5-Format und wird von Wissenschaftlern, Bibliotheken und linken Aktivisten abonniert. Es gibt Schwerpunktseiten zu "Gewalt und Staat in Lateinamerika" oder "Bolivien in schwierigem Wandlungsprozess"; mit Bildern und aufgelockertem Layout.

Aus der Gründerzeit arbeitet niemand mehr fest mit, das Durchschnittsalter der Redaktion hat sich seit 1973 kaum verändert. Olga Burkert, 27, koordiniert die Jubiläumsausgabe, die heute erscheint, eine Doppelausgabe: die Nummern 399 und 400. Olga hat Lateinamerikanistik studiert und sucht einen Job. Deshalb hat sie viel Zeit. Davon profitieren die LN. "So ein Heft zu produzieren ist verdammt viel Arbeit", sagt sie, "je näher das Produktionswochenende rückt, desto stressiger wird es. Am tollsten ist der Umbruch, wenn wir das Heft layouten und zusammenbauen. Dann dampft die Luft, und wir bleiben bis spät in die Nacht. Keiner geht nach Hause, ehe das Heft fertig ist."

An diesem Abend geht es um die Grobplanung. Um den Konferenztisch sitzen sieben Leute, Olga moderiert die Sitzung. "Geht jemand an die Tafel?", fragt sie. Anne Becker ist 29. Sie hockt sich auf ein Sofa, Kreide in der Hand. Was gibt es Aktuelles? Was ist Wichtiges passiert in Lateinamerika? Anne füllt die Tafel. Die Lateinamerika Nachrichten leisten sich zwei Bürokräfte, die "alles abseits des Redaktionellen" machen. Die 15 bis 20 Redaktionsmitglieder arbeiten ehrenamtlich. Schreiben, Redaktion, Layout, Bildbearbeitung, sogar das Eintüten der 1.700 Abo-Exemplare erledigen sie selbst. Fast alle haben eine mehr oder weniger enge Bindung an Lateinamerika, die meisten haben dort gelebt. Nur leidet die Redaktion unter Fluktuation. Früher blieb man für die Dauer eines Studiums, heute oft nur für ein oder zwei Semester. Regina Prohaska jedoch ist seit 13 Jahren bei den LN. "Es hat sich einiges geändert", sagt sie, "wir haben weniger Grundsatzdiskussionen. Und wir sind pragmatischer geworden."

Anne hat fast die ganze Tafel gefüllt, die Ausgabe ist in Gedanken komplett. "Ich gucke mal, dass ich zur nächsten Woche eine Seitenplanung hinbekomme", sagt Olga. Zum Ende der Sitzung gibt es eine inhaltliche Debatte. Die LNer sind sich nicht einig, ob sie sich im Editorial mit dem Fall des Berliner Soziologen Andrej H. befassen wollen, der verdächtigt wurde, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, oder ob es um ihr eigenes Jubiläum gehen sollte. "Um das zu entscheiden, sind wir heute zu wenige. Das besprechen wir beim nächsten Mal", sagt Olga. "Wer kommt noch mit in die Kneipe?"

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