Biennale Istanbul: Politik und Kamasutra

Einer Skulptur wurde ein Finger abgebrochen. Waren es Kinder? Radikale? Spekulationen der türkischen Presse gefährden die Künstlerin Hamra Abbas.

Hamra Abbas "Lessons on Love" erregen die Gemüter. Bild: ap

Hamra Abbas, Künstlerin und ehemalige Studentin und Dozentin der Universität der Künste in Berlin, war zur 10. Biennale in Istanbul eingeladen worden, um ihren Beitrag zu dem Motto "Which Way is East?" zu leisten.

Abbas hatte zwei Monate in Istanbul an der Herstellung ihrer Skulpturen gearbeitet. Bei den Plastiken handelt es sich um Liebespaare in unterschiedlichen Stellungen - mit Waffen in der Hand, die von Miniatur-Abbildungen aus dem Kamasutra inspiriert sind.

Das Projekt trägt den Titel "Lessons In Love" und soll, so die erklärte Absicht der Künstlerin, auf spielerische Weise das zerstörerische Potential illustrieren, das in jeder Liebesbeziehung angelegt sei. Zum Spielen verleitete vielleicht auch das grellbunte Material, aus dem die Figuren modelliert sind: deutsche Knete. Aufgrund mangelhafter Beaufsichtigung der Kunstwerke hatten Besucher die Skulpturen immer wieder berührt. Kinder brachen schließlich einer weiblichen Figur den Finger ab.

Die türkische Zeitung Sabah berichtete über diesen Vorfall, stellte die Geschichte allerdings in einen überraschend neuen Zusammenhang. In einem Bericht vom 10. September 2007 zitierte Sabah die Künstlerin mit Worten, die sie so nie gesagt hatte: "Kann sein, dass es Kinder waren, vielleicht waren es Radikale, aber jeder in meiner Situation hätte jetzt Angst".

In dem Interview hatte Abbas lediglich die fehlende Aufsicht und spielende Kinder für den Übergriff verantwortlich gemacht. Die Spekulationen der Zeitung, dieser kleine Akt des Vandalismus könne religiöse Hintergründe haben, hatte Abbas zurückgewiesen. Nichtsdestotrotz lockte nun die Titelseite mit der explosiven Mischung der Schlagwörter "Erotik" und "Radikalismus" - und legt ein ideologisches Motiv für die Beschädigung nahe. Die Leitung der Biennale hat die Zeitung zwar umgehend zu einer Gegendarstellung aufgefordert, mittlerweile haben jedoch sämtliche andere Zeitungen und Online-Magazine den Artikel übernommen.

Die Ursache für die verzerrte Darstellung des Falls ist wohl vor allem politischer Natur. Die türkischen Medien sind derzeit ernsthaft besorgt um das Fortbestehen der säkularen türkischen Demokratie, wie auch die aktuelle Diskussion um die Aufhebung des Kopftuchverbots in der Türkei zeigt. Der Fall Abbas dient den türkischen Medien offensichtlich als Beleg für die antidemokratischen Tendenzen religiöser Kräfte.

Die Darstellung ist für die Künstlerin, die bei ihrer Rückkehr eine Assistenzprofessur an der Kunsthochschule in Islamabad antreten wird, und für ihren Ehemann, Professor für Islamische Geschichte, nicht ungefährlich: sie könnte schlafende Hunde wecken. Gerade für sie als gläubige Muslime wäre es besonders ärgerlich, wenn die Falschmeldung Fundamentalisten in Pakistan zu Ohren käme. Während die türkischen Medien den Fall instrumentalisieren, um dem Image religiöser Kräfte im eigenen Land zu schaden, droht die Kampagne für die Künstlerin in ihrer Heimat nach hinten loszugehen, wo tatsächlich solche Kräfte am Werk sind.

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