Holocaust-Mahnmal: Schaulust statt Mahnung

Ein Ort des Gedenkens - oder zum Stelen-Jumping? Die Künstlerin Simone Mangos hat in ihrer Fotoserie verschiedene Möglichkeiten festgehalten.

Auf den Stelen wird auch gerne mal fangen gespielt. Bild: Simone Mangos

Zwei Frauen mit Eistüten sitzen auf einem grauen Betonquader. Sie haben ihre Schuhe ausgezogen und lassen ihre nackten Füße in der Sonne baumeln. Eine ganz alltägliche Szene, die keine Aufmerksamkeit verdiente, handelte es sich bei der Sitzgelegenheit nicht um eine der Stelen des "Denkmals für die ermordeten Juden Europas".

Als suche sie Beweise für Gerhard Schröders berühmt gewordenes Diktum vom "Mahnmal, zu dem man gerne geht", hat die australische Künstlerin Simone Mangos, die seit 1988 in Berlin lebt, solche Momente nach der Fertigstellung des Denkmals fotografisch festgehalten. Wissenschaftlich in ihrer kürzlich fertig gestellten Dissertation und jetzt künstlerisch in ihrer aktuellen Ausstellung im Berliner Museum für Fotografie untersucht sie am Beispiel des Mahnmals die "Ideologie der Erinnerung". Das Studienobjekt ist gut gewählt, denn kaum ein Mahnmal wurde unter so vielen falschen Prämissen, gegen so viele Widerstände und berechtigte Einwände und trotz so vieler Pannen realisiert.

Mit Lonsdale-Pulli auf dem jüdischen Mahnmal. Bild: Simone Mangos

Und da die Massen strömen, scheint am Ende nichts wirklich falsch gelaufen zu sein. Doch es bleiben Zweifel. Daher schlägt Simone Mangos das Kapitel der Entstehungsgeschichte, der Debatte und des Bauprozesses erneut auf und trägt Schicht für Schicht ab. Dabei geht es ihr weniger um eine lineare Chronologie als vielmehr um Momentaufnahmen, deren absichtslose Metaphorik die ideologische Schieflage des Mahnmals verdeutlichen. Ein liegender Schäferhund an der Leine und hinter ihm die Brandmauer der DG-Bank mit dem riesigen Transparent einer schönen Alpenlandschaft und dem Satz: "den holocaust hat es nie gegeben". Mit dieser Posterkampagne, die auf die tatsächlich weitverbreitete Holocaustleugnung anspielte, um die Notwendigkeit des Mahnmals zu untermauern, versuchte die Denkmalsinitiative Gelder einzuwerben. Es sind diese Entgleisungen und Fehler, die Simone Mangos im Bild festhielt und zu einem Patchwork aus Fotografien, Plänen, Luftaufnahmen, Zeitungsausschnitten und historischen Fotos arrangierte; zu einem dekuvrierenden Blick auf das symbolische Bauwerk, dessen Entstehung den Vereinigungsprozess der beiden deutschen Staaten 15 Jahre lang begleitete.

Manche werden ihr Bösartigkeit vorwerfen, weil sie die gerahmte Titelseite einer Boulevardzeitung mit einem großen Foto von Lea Rosh zeigt, auf der die Mahnmalsinitiatorin den Backenzahn eines ermordeten Juden wie eine Trophäe hochhält und ankündigt, diesen Zahn in einer der Stelen zusammen mit einem Judenstern einzulassen. Doch das Dokument ist wichtig, denn die Szene verdeutlicht, dass Lea Rosh die wesentlichen Punkte der zehnjährigen Debatte, vor allem aber der Einwände von jüdischer Seite nie verstand.

Grundsätzlich sollte der Erinnerungsort Mahnung an die Nachkommen der Täter sein. Die aber maßen sich stattdessen an, einen Ort für die Opfer bauen zu wollen. Denn Eberhard Jäckel, der Historiker und Ideengeber, und Lea Rosh hatten sich in Israel von Jad Vaschem inspirieren lassen, um das Gedenken dann an einem Ort zu realisieren, der einstmals der der Täter und Planer des Holocausts war.

Heute, zwei Jahre nach Einweihung des Denkmals, ist zu beobachten, dass es wirklich ein Touristenmagnet ist und während der Fußballweltmeisterschaft laut Berliner Zeitung als Urinal genutzt wurde. Ansonsten kann es ein Ort für ein Stelldichein sein oder zur körperlichen Ertüchtigung im Stelen-Jumping. Simone Mangos überschreibt dieses Kapitel bitterböse mit "So macht die Shoah Spaß". Weil sich herausstellte, dass die Architektur zu unverbindlich ist, um unmissverständlich die Bedeutung des Ortes zu vermitteln, wurde der - gelungene - Ort der Information eingerichtet und eine Platte mit einem Verhaltenskodex im Boden eingelassen.

Doch ein grundlegendes Problem des Ortes bleibt: Er ist nicht nur in der Erinnerung als Ort der Täter kontaminiert, sondern birgt ganz faktisch die Gebäudereste der Nazi-Nomenklatura. Obgleich immer betont wurde, dass das Gelände vorher von allen Nazi-Reminiszenzen befreit worden sei, fand Simone Mangos in ihrer Recherche heraus, dass unter der nordöstlichen Ecke des Denkmals sich der Bunker der Goebbels-Villa sowie im Süden die Reste des Bunkers von SS-Obergruppenführer Joachim von Ribbentrop befinden. Für die Ausstellung konnte sie eine Karte des Geländes von 1998 vom Büro für Geophysik Lorenz in Berlin organisieren, auf der die verborgenen Grundrisse zu sehen sind.

Haben sich die Besucher in den ersten beiden Räumen des Hauses in der Jebenstraße mit dem Denkmal - von seiner Errichtung bis zu seiner heutigen Nutzung - befasst und auch mit dem Gelände, auf dem es steht, dürfen sie im dritten Raum in die Katakomben der Geschichte vordringen. Denn im ruinösen Kaisersaal des Museums, der einmal den Offizieren der preußischen Landwehr als Ballsaal und Versammlungsort diente und nun zum letzten Mal vor seiner Renovierung genutzt wird, hat die Künstlerin in einer Art rekonstruierenden Archäologie den Grundriss von Goebbels Bunker nachgebaut - mit Mobiliar aus dem Keller des Museums.

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