Die Sehnsucht des Schauspielers: Der teure Weg zum Ruhm

Schauspieler ist ein Traumberuf. Weil die Plätze an den Universitäten rar sind, schießen immer mehr private Schulen aus dem Boden. Der Traum muss teuer bezahlt werden.

Franka Potente hat es ohne Schauspielschuldiplom auch geschafft Bild: REUTERS

Langsam schreitet André Borning den verwaisten Flur auf und ab. Wild gestikulierend murmelt er unverständliche Worte. Ein Poster an der Wand zeigt Franka Potente. Als Lola, die rennt. Die Schauspielerin hat es geschafft. Sie ist über Deutschland und Europa hinaus bekannt. Sie hat sogar in Hollywood gedreht. Borning hat es noch nicht geschafft. Er muss erst einmal durch die Tür am Ende des Flurs. Dahinter wird der 26-Jährige vorsprechen. Für eine Ausbildung an der Berliner Filmschauspielschule.

Seit 2005 unterrichtet die Berliner Filmschauspielschule (FSS) Nachwuchstalente für Film und Fernsehen. Sie ist das erste Institut, das sich auf diesen Bereich konzentriert. Nach der knapp dreijährigen Ausbildung erhalten Absolventen ihren Abschluss als Schauspieler. Auf den Zusatz "staatlich anerkannt" aber müssen sie verzichten. Den gibt es nur an den staatlichen Hochschulen - in Berlin an der Universität der Künste (UdK) und der Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst (HfS). Zudem müssen die Schüler an der Privatschule tief in die Tasche greifen: 2.313 Euro pro Halbjahr. Die gesamte Ausbildung kostet knapp 14.000 Euro.

Doch die Plätze an den Staatlichen sind rar: An der UdK werden jährlich nur zwölf Schauspielstudenten angenommen, an der HfS rund 20. Der Rest kann aufgeben - oder sein Glück bei den zahlreicher werdenden Privatschulen versuchen.

Seit August laufen an der FSS die Castings für das kommende Semester. In der ersten Runde treten die Bewerber mit zwei dramatischen Texten und einem Lied vor Kamera und Jury. Die Überzeugendsten werden später zu einem Workshop eingeladen. Dann müssen sie in Kleingruppen Szenen erarbeiten und improvisieren. "Bisher haben wir pro Jahrgang 8 bis 15 Schüler aufgenommen, je nachdem, wie viele der Bewerber wir für talentiert und bei uns ausbildbar hielten", sagt Schulleiter Norbert Ghafouri.

Diesmal möchte André Borning unter den Auserwählten sein. Schon seit seiner Schulzeit spielt er Theater. Als 19-Jähriger, direkt nach dem Abitur, hat er bei mehreren Schauspielschulen vorgesprochen - unter anderem bei der HfS. Nach drei Absagen war er entmutigt. "Außerdem wollten meine Eltern, dass ich was Vernünftiges lerne", erzählt Borning. So wurde er zunächst Bankkaufmann. Dann begann er ein Lehramtstudium, Politik und Geografie. Mittlerweile steht er kurz vor dem ersten Staatsexamen. Doch statt ins Klassenzimmer zieht es ihn immer noch auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Seit einigen Jahren tritt Borning regelmäßig mit der freien Theatergruppe Winternachtstraum auf. Sogar seine Eltern haben inzwischen eingesehen, dass der Wunsch, Schauspieler zu werden, keine vorübergehende Spinnerei, sondern der Lebenstraum ihres Sohns ist. "Jetzt würden sie mir auch die Ausbildung finanzieren", sagt Borning.

Ähnliche Ausbildung

"Als direkte Konkurrenz zu den Staatlichen sehen wir uns nicht", sagt Schulleiter Ghafouri. Schließlich konzentriere sich sein Institut nicht auf die Ausbildung von Theaterschauspielern, sondern vor allem von Film- und TV-Darstellern. Doch die Ergebnisse ähneln sich. Filmstars wie Nina Hoss, Julia Jentsch oder Jan Josef Liefers lernten ihr Handwerk an staatlichen Theaterschulen wie der HfS.

Auch auf den Lehrplänen sind viele Gemeinsamkeiten zu finden: Kurse in Improvisation, Rollenarbeit, Bewegung, Sprecherziehung und ein Szenenstudium stehen hier wie dort im Mittelpunkt. An der HfS wird im Laufe des achtsemestrigen Studiums zudem Schauspiel-, Kunst- und Kulturgeschichte angeboten, auch eine musikalische Grundausbildung und Bühnenfechten stehen auf dem Programm.

Die FSS hingegen setzt in ihrer wesentlich kürzeren Ausbildung auf praxisnahe Kurse zu Filmwissenschaft, Berufsbild, Marketing, Castingtraining und Camera Acting. "So sollen sich die Schüler möglichst früh ein realistisches Bild von Erwartungen, Konkurrenz und Chancen auf dem Markt machen", erklärt Ghafouri. Um beim Vorsprechen in ihre Rolle zu finden, dürfen sich die Bewerber so viel Zeit nehmen, wie sie wollen. Borning stellt sich mit dem Gesicht zur weiß getünchten Wand. Er atmet ein paar Mal tief ein und aus, bevor er sich wieder umdreht. Dann hat er sich in den primitiven und verwahrlosten Tunichtgut Bruno Mechelke aus Gerhard Hauptmanns Stück "Die Ratten" verwandelt. Er sitzt breitbeinig am Tisch und nimmt immer wieder einen Schluck imaginären Schnaps aus seinem Becher. Im - absichtlich teilweise schwer verständlichen - Berliner Dialekt erzählt er seiner Schwester ziemlich selbstgefällig vom Mord an der jungen Pauline.

"Wie lange hast du gebraucht, um diese Szene zu erarbeiten?", will Jurymitglied Katharina Bellena wissen. "Ungefähr eine Woche", antwortet Borning. Bellena ist von seiner Leistung begeistert: "Der ist eine richtige Type", sagt die Dozentin, die selbst aktiv in Filmen und am Theater mitspielt. Sorgen ihrer Kollegen, Borning könne durch seine bisherigen Erfahrungen auf der Bühne schon zu vorgeformt sein, teilt sie nicht: "Es ist wichtig, theoretisch Gelerntes früh in der Praxis anzuwenden. Die Welt wartet schließlich nicht händeringend auf jeden Schauspielabsolventen." Und ob jemand später zum Theater oder Fernsehen gehe, diese Entscheidung entwickle sich ohnehin erst während der Ausbildung, meint Bellena.

Zu alt für die Uni

Borning würde gern weiter auf der Bühne stehen. Dennoch bewirbt er sich jetzt bei der Fernsehschule. Denn Traumberuf hin, Traumberuf her: Die Arbeit bei Film und TV sei einfach wesentlich lukrativer als die im Theater, weiß Borning. "Außerdem ist inzwischen der Druck vom Alter her sehr stark." Mit seinen 26 Jahren kann er sich an den meisten Schauspielschulen gar nicht mehr bewerben. Die FSS ist eine seiner letzten Chancen, seinen großen Traum doch noch zu verwirklichen.

Dabei ist auch die Ausbildung keine Garantie auf einen späteren Job. In der Künstlervermittlungsdatei der Bundesagentur für Arbeit werden jährlich rund 300 neue Schauspieler aufgenommen. "In dem dafür verpflichtenden Vorsprechen ist es immer noch so, dass Absolventen staatlicher Schulen die Nase vorn haben", erläutert die Fachbereichsleiterin Kerstin Holdt. Von den rund 200 Absolventen staatlicher Schulen würden nahezu alle aufgenommen, von den bis zu 300 Bewerbern aus privaten Ausbildungsstätten nur ein Drittel. Das läge nicht unbedingt daran, dass Absolventen privater Schulen unbegabter sind, betont Holdt. Aber die Staatlichen hätten mehr Mittel und somit auch bessere Möglichkeiten, ihre Studenten auszubilden.

Zudem könnten nur rund 200 Bewerber in Engagements vermittelt werden, weiß die Fachfrau vom Arbeitsamt: "Die privaten Schulen produzieren sozusagen Überschuss." Zwar könnten einzelne Privatschulen qualitativ mit den Staatlichen mithalten. Dennoch rät sie dem Nachwuchs, es zunächst bei den staatlichen Hochschulen zu probieren. "Nicht zuletzt, um die hohen Ausbildungskosten zu umgehen."

Doch die finanzielle Hürde scheint kein Schrecken. Über einen Mangel an Bewerbern können sich die privaten Ausbilder in Berlin nicht beklagen. An der FSS kommen fünf Bewerber auf einen Platz - und das ist noch relativ wenig. Der erste Jahrgang der Filmschauspielschule hat in diesem Frühjahr seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Trotz der schlechten Prognosen der Künstlervermittlung fanden vier der sechs Absolventen direkt ein Engagement - bei der von der ARD-Krimiserie "Polizeiruf 110", einem Theater im Ruhrgebiet oder wenigstens als Darsteller in der Fernsehwerbung.

Nach dem Vorsprechen fühlt sich Borning "von der Last befreit". Er hat es in die zweite Runde geschafft. Erleichtert lässt er sich auf einen Sessel im Flur fallen.

Ihm gegenüber hängt das Poster von Franka Potente. Die, die es bis nach Hollywood geschafft hat - sogar ohne Abschluss. Ihre Schauspielausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule hatte Potente nach zwei Jahren abgebrochen.

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