Kaffee, Kuchen, Krieg

Mit einem Erzählcafé bietet die Stiftung Überbrücken ein Gesprächsforum für Opfer von Kriegen in aller Welt.

In einer Kaffeekränzchenatmosphäre über Krieg, Tod und Traumata sprechen, geht so was überhaupt? Die in der Kreuzberger Großbeerenstraße ansässige "Stiftung Überbrücken" hat ein mutiges Experiment begonnen. Beim "Café am Mittwoch" können Kriegsopfer aller Herren oder Frauen Länder über ihre Erlebnisse berichten. Begzada Alatovic, die in Bosnien ihren Mann verloren hat, und Barbara Martin, die als Kind den Zweiten Weltkrieg erlebte, sprachen bei der Auftaktveranstaltung am Mittwoch miteinander. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ja, es ist möglich, bei Kaffee und Kuchen entsetzliche Dinge zur Sprache zu bringen, und es tat der Psyche der rund 20 Mitdiskutierenden sichtlich gut.

Die Gesprächsmoderatorin Bosiljka Schedlich, Initiatorin des "Südosteuropa Kulturzentrums" und der "Stiftung Überbrücken", betreut seit nunmehr 16 Jahren Opfer des Krieges im einstigen Jugoslawien. Die jetzt auch in Berlin praktizierte Form des "Erzählcafés" hat sie vorher bereits viele Male in Bosnien ausprobiert. Zwei Grundsätze sind ihr dabei wichtig: Erstens darf nur in "Ichform" gesprochen werden, nur die eigenen Erfahrungen und Gefühle zählen. Die "Wirformen", die Ideologien und Rechtfertigungen, müssen außen vor bleiben.

Zweitens sollten stets Betroffene aus verschiedenen Nationen und Kriegen miteinander sprechen. Denn vor allem in Bosnien ist es noch immer schwer, den jüngsten Krieg zu thematisieren. "Die Täter sind noch immer da, die Angst der Menschen vor ihnen ist real", erklärt Schedlich. "Also begannen wir, über den Zweiten Weltkrieg zu sprechen, und mit dem Sprechen über das Alte hat sich das Sprechen über das Neue eröffnet."

Auch für die 45-jährige Begzada Alatovic, Projektleiterin des "interkulturellen Gartens" im Gleisdreieck, war dieses Reden sichtlich nicht ganz einfach. Die bosnische Muslimin hatte sich vor dem Krieg mit den Serben, Kroaten und Roma in der Kleinstadt Modrica immer "gut verstanden". Die ersten Anzeichen ethnischer Spannungen wollte sie damals "nicht wahrhaben", sie merkte nur, dass ihre Nachbarn ihr plötzlich "nicht mehr in die Augen sehen konnten".

Als serbische Tschetniks 1992 Modrica angriffen, floh sie mit ihrem kleinen Sohn und landete schließlich in Berlin. Ihr Mann verschwand, sie suchte sechseinhalb Jahre nach ihm. Die Nachbarn, die nun zu Feinden geworden waren, wussten von seinem Tod, sagten ihr aber nicht, dass er in einem Massengrab lag. "Ich kann den Menschen nicht mehr so vertrauen wie früher", sagte Alatovic. Und deshalb möchte sie, trotz aller Sehnsucht, auch nicht mehr nach Bosnien zurückkehren.

Ihre Gesprächspartnerin, die wissenschaftliche Dokumentarin Barbara Martin, wurde 1941 in Kassel geboren. Weil die Stadt im Zweiten Weltkrieg heftig bombardiert wurde, zog ihre Familie neun- oder zehnmal um. Das Gefühl von Entwurzelung, sagte sie, habe sich bei ihr eingegraben, die Angst ihrer Mutter habe sich auch auf die drei Kinder übertragen. Der Vater, ein aktiver Nazi, kam krank und rheumatisch aus dem Krieg zurück und schwieg fortan. "Er beschwieg sein ganzes Leben und puppte sich ein für Jahrzehnte." Sein Schweigen sei auch eine "Waffe" gewesen, um "seine autoritäre Position in der Familie zu behalten".

Das "Café am Mittwoch" soll nunmehr alle vierzehn Tage stattfinden und offen sein für Menschen aller Nationen, die aus Kriegen kommen und in dieser Stadt leben. "Außen Frieden, innen Krieg" - das ist, auf eine Kurzformel gebracht, die psychische Wirkung von Kriegstraumata. "Außen Frieden, innen Frieden" - das ist, was die in diesem Jahr gegründete "Stiftung Überbrücken" für die Menschen erreichen möchte, mit Projekten, Gesprächen, Kunst und Kultur.

http://www.stiftung-ueberbruecken.de/

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