EM 2008 in Österreich: Gastgeber sollen nicht mitspielen

Neun Spiele ohne Sieg - Österreichs Kicker sind nicht gerade Weltspitze. Eine Initiative will bei der Heim-EM 2008 vor einer Blamage bewahren - durch Teilnahme-Verzicht.

Die Fans haben genug: Protest beim Spiel Schweiz gegen Österreich (3:1) . Bild: dpa

WIEN taz Die Sensation liegt in greifbarer Nähe: Verliert die österreichische Fußballnationalmannschaft morgen ihr Freundschaftsspiel gegen die Elfenbeinküste, dann wäre der Rekord von zehn sieglosen Spielen in Serie perfekt. Und das acht Monate vor Beginn der Heim-Europameisterschaft, bei der Österreich als Veranstalter glücklicherweise automatisch qualifiziert ist. Nur aus eigener Kraft könnten die österreichischen Kicker bei der "Euro 2008" in der Kabine sitzen bleiben. In diesem Jahr haben sie überhaupt noch keinen Sieg erspielt. In der Fifa-Weltrangliste rangiert Österreich derzeit auf Platz 85 und damit hinter Ländern wie dem Kongo, Bosnien-Herzegowina und Guinea.

Am vergangenen Samstag setzte es gegen den Mitveranstalter Schweiz eine 1:3-Niederlage. Während sich Trainer Josef Hickersberger ("Man hat gesehen, dass die Mannschaft unbedingt ein gutes Resultat holen wollte") und Kapitän Andreas Ivanschitz ("Darauf können wir aufbauen") danach wie immer als Meister des Schönredens hervortaten, rumort es in Fußball-Österreich. Vor gut einem Monat hat der Innsbrucker Michael Kriess mit zwei Mitstreitern die Initiative "Österreich zeigt Rückgrat" gestartet. Der 35-jährige Eventmoderator will mit seiner Unterschriftenliste erreichen, dass die österreichische Fußballnationalmannschaft "dem Fußball zuliebe" freiwillig auf die Teilnahme an der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz verzichtet. Der so frei werdende Platz soll an den bestplatzierten aus den sieben Qualifikationsgruppen weitergegeben werden.

"Volk begnadet für das Schöne", heiße es in der ersten Strophe der österreichischen Bundeshymne. Man sei immer eine Kulturnation und dem Schönen verpflichtet gewesen, sagt Kriess. Unter www.rueckgrat.cc haben bisher 8.000 Freunde des "blind geschlagenen Passes", "unwiderstehlichen Dribblings", "gekonnt gezirkelten Freistoßes ins Kreuzeck" die Petition unterzeichnet. "Diese Geste wird die Welt mit Staunen zur Kenntnis nehmen und mit Beifall beklatschen", glaubt Kriess. "Das Ansehen unseres Landes wird trotz seiner Vergangenheit und DJ Ötzi eine dramatische Steigerung erfahren."

Die österreichische Fußballseele indes zehrt noch immer vom Córdoba-Sensationserfolg aus 1978, als man Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Argentinien mit einem 3:2 aus dem Bewerb schoss. Auch wenn die lang versäumte Nachwuchsarbeit nun zu greifen scheint, die U-20-Mannschaft erkämpfte sich kürzlich bei der Weltmeisterschaft den vierten Platz, in der obersten Spielklasse läuft es alles andere als rund: Missmanagement, überdurchschnittlich bezahlte Kicker und Vereine, die trotz Millioneninvestments, wie zuletzt Red Bull in Salzburg, auf Europaebene einfach kein Leiberl haben.

Im Gespräch mit der taz stieg Michael Kriess, dessen Vater in den 1970er-Jahren fünfzehn Mal für das österreichische Team aufgelaufen ist, gestern auf die Bremse. Er will seine Forderung vom Selbstrückzug Österreichs vor allem als Absurdität verstanden wissen. "Wir sind überrascht, wie ernst das Thema genommen wird und wie wenig Ironie die handelnden Personen im österreichischen Fußball verstehen." Man wollte mit der Initiative lediglich eine Strukturdebatte lostreten. "Wir fordern, dass endlich auch Fachmänner wie Ex-Fußballprofis Klartext über den Zustand der österreichischen Operettenliga reden."

Fußballforscher Roman Horak überrascht es nicht, dass eine solche Initiative im Westen der Alpenrepublik entsteht. Er sagt: "Der Sport als eine das Nationalbewusstsein fördernde Einrichtung hat nach 1945 zwei Wurzeln: Fußball in Wien und Skifahren in der Provinz". Sozusagen das sozialdemokratische Wien auf der einen und das katholische Tirol auf der anderen Seite. "In der Vergangenheit haben es nur zwei Figuren geschafft, diese beiden Linien zusammenzuführen: Abfahrtsolympiasieger Franz Klammer 1976 und das Fußballnationalteam von 1978." In Zeiten von Fußball-Notstand offenbart sich eine andere Eigenschaft des Österreichers: seine "heimliche Lust an der Selbstgeißelung", wie Klaus Stimeder, Chefredakteur des Monatsmagazins Datum, sagt. "Wenn das Team gut spielen würde, gäbe es so etwas nicht - aber so, wie es jetzt spielt, eignet es sich hervorragend als Projektionsfläche, an der man die eigenen Unzulänglichkeiten abarbeiten kann."

Auch wenn derzeit in Österreich ein Sommermärchen à la Deutschland 2006 außer Reichweite scheint, Reinhard Krennhuber gibt sich - gemäß der österreichischen Manier des Durchwurschtelns - durchaus optimistisch. Der Chefredakteur des österreichischen Fußballmagazins ballesterer sagt zuversichtlich: "Wir nehmen das erste Mal an einer Europameisterschaft teil - und werden damit automatisch das beste Resultat der Geschichte einfahren."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.